Das ist keine Überraschung. Die Stossrichtung entspricht dem neuen SVP-Parteiprogramm 2011-2015, das die Demontage der SRG verlangt. Die Begründung ist, wie so häufig bei Roger Köppel, eine Flickenteppich von Versatzstücken, die er für seine Zwecke zurechtschneidert. Ansonsten diffamiert er, wie üblich in seinen Kreisen, die SRG – ein privater Verein mit einem öffentlichen Auftrag – als „Staatssender“. Und unterstellt den SRG-Bundeshaus-Journalisten unkritische Hofberichterstattung: „Man darf von keinem SRG-Journalisten erwarten, dass er die Hand beisst, die ihn füttert.“ – Das ist erstens falsch und zweitens beleidigend. Aber auch das passt zu Roger Köppel.
Man könnte das ansonsten so stehen lassen. Aber man wird darauf zurück kommen müssen, denn Köppels Tirade und die Meinungsmache der „Weltwoche“ gehören zu einer politischen Strategie. Sie wird im Kern formuliert von Christoph Blocher und der SVP. Sie findet Sympathie bei der Economiesuisse und Teilen der FDP. Und überlappt sich scheinbar mit Wirtschaftsinteressen mancher Schweizer Zeitungsverleger. Doch zunächst ein Blick zurück.
Verlegertagung: Alle Probleme ausgeblendet – alle Chancen verpasst
Vor zehn Tagen, am 12. Januar 2011, traf sich der Verband SCHWEIZER MEDIEN zur Dreikönigstagung in Zürich im World Trade Center. Der Tagungsort hatte Symbolwert. Es ging um Geld und nicht um Geist. Und es war eine typisch schweizerische Tagung. Viele sprachen. Wenige sagten etwas. Die wesentlichen Differenzen wurden mit dem Mantel des Schweigens zugedeckt und Hiebe nebenbei verteilt. Eine offene, faire Diskussion gab es nicht.
Verlegerpräsident Lebrument erklärte, es gebe keine Qualitätskrise in den Medien. Und erwähnte „das Staatsfernsehen SRG“ in einem Atemzug mit Ungarns staatlich gegängelten Medien. Die Qualitätskritiker waren nicht anwesend. Und der Ausrutscher wurde nicht moniert.
Die Medienforscherin Gabriele Siegert erklärte, es gebe kein Geschäftsmodell der Presse für das Internet. Lösungsansätze wurden nicht erörtert.
SRG-Generaldirektor Roger de Weck erklärte, es gebe keine Klarheit über die Zukunft der Medien und skizzierte seine ersten Massnahmen. Die im Hintergrund brodelnde Debatte über Stellung und Aufgabe der nationalen SRG fand auf dem Podium nicht statt.
Ringier CEO Marc Walder erklärte, sein Haus sei kein Medienunternehmen mehr sondern ein Unterhaltungskonzern mit publizistischen Fördermitteln. Eine Diskussion war überflüssig.
Und so ging es weiter, vor dem Kaffee und nach dem Stehlunch.
Wertschöpfung und Vermarktung sind das Kerngeschäft
Des Tages-Anzeigers Co-Chefredaktor Res Strehle liess ein Gespräch über die Latrineninformationen aus WikiLeak dahinplätschern. – Haben die Amerikaner in Libyen wirklich geholfen? Ist Frau Calmy-Rey tatsächlich so undurchschaubar? -, und er verzichtete auf jede insistierende Nachfrage nach dem Sinn der Informationsfreiheit und einem vielleicht auch mal berechtigten Wunsch nach Vertraulichkeit oder Geheimhaltung. Obwohl der Gesprächspartner für solche Fragen tauglich gewesen wäre: Botschafter Benedikt Wechsler war Kabinettschef von Aussenministerin Calmy-Rey, nach jahrelanger Arbeit für Moritz Leuenberger und Kaspar Villiger. Nun ist er Chef der neuen „Cellule Diplomatique“, der den/die Bundespräsidentin in der Aussenpolitik unterstützen und die Verbindung zum EDA sicherstellen soll. Ein Mann von diskreter Offenheit, der die Kunst der Mitteilung zwischen den Zeilen durchaus beherrscht.
Und was war noch? – Peter Kropsch, Geschäftsführer der Austria Presse Agentur, sprach über die multimediale Differenzierung und die internationale Zusammenarbeit der Agenturen (zum Beispiel mit der Schweizerischen sda), sprich: über die Entwicklung von Nachrichten als Lieferanten von Inhalten und umfassenden Dienstleistungen auf dem Gebiet der Informationsvermittlung. Eine nachvollziehbare Überlebensstrategie.
Und? – Michael Brockhaus, Mitglied der Geschäftsleitung der „mittelständischen“ Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck (Umsatz: 2,5 Milliarden Euro) referierte zu „coopetition“ – zur Kooperation mit Konkurrenten im allseitigen Interesse. Ein Thema, das von Interesse sein könnte. Auch für die Verleger und die SRG.
Christoph Bauer, CEO der AZ Medien, sagte nichts über die AZ Medien, und erklärte redaktionelle Arbeit als Teil der „Vermarktung von Zielgruppen“. Der materielle Träger – Zeitungspapier, Radio-Fernsehen oder iPad-Display als „Interface“ – sind aus seiner Sicht heute fast unerheblich und in manchen Fällen betriebswirtschaftlich sogar belastend (Druck und Zeitungsvertrieb). „Redaktion und Vermarktung ist unser Kerngeschäft“.
Nach all dem war es passend, dass Marc Walder, der CEO von Ringier Schweiz und Deutschland, sozusagen das Schlusswort sprach: „Who killed the Newspaper?“ war seine Einstiegsfrage. Und „Circus Ringier – The Entertainment Family“ sein Schlussbild (in einer Karikatur von Nico - man muss zugeben, der Ringier-CEO hat trotz allem den Humor noch nicht verloren). Medien sind aus dieser Sicht Fördermittel für den Erfolg von Inseraterubriken (scout24), Konzertvermarktung (ticketcorner) und Konzertorganisation (good news), und wenn einmal ein Verriss angesagt ist, wie beim Madonna-Konzert, schadet’s auch nix. Auch schlechte Publicity ist Publicity. Hauptsache, die Wertschöpfungskette funktioniert.
Dabei könnte man es belassen. Wenn da nicht so viel Zündstoff im Raum gewesen wäre für heisse und dichte Debatten. Aber selbst heftige Provokationen blieben ohne Reaktionen, massive Ausrutscher wurden nicht einmal offen vermerkt.
Die tägliche Qualitätskrise – offen oder verdeckt
Hanspeter Lebrument, Präsident, bewegt sich durchaus im Rahmen der Usancen von Schweizer Verlegern, wenn er die Qualitätskrise der Medien ganz einfach für nicht existent erklärt und sich dabei keiner Diskussion stellt. Tamedia-Präsident Pietro Supino hat diese schon fast päpstlich unfehlbare Stellung des Verlegers vor nicht allzu langer Zeit vorexerziert. Lebrument seinerseits verzichtet – anders als Supino - auf eine ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Bericht des Soziologen Kurt Imhof und anderer zur „Qualität der Medien“ in der Schweiz. Er behauptet einfach, die Studie sei „vollgepackt mit Schwerfälligem, Unverständlichen und Wesensfremden“. Sie sei bloss „akademisches Gerede“. Er darf das so sehen. Sein Urteil entbehrt nur jeder sachlichen Begründung. Es ist herabsetzende Polemik. Und spielt auf dem schon ziemlich verstimmten Klavier der anti-akademischen Vorurteile – in Abwesenheit der Verfasser der Studie. Diskussion unerwünscht.
Dabei hätte Lebrument für sein eigenes Haus von einer Qualitätsdebatte wohl weniger zu befürchten als die meisten anderen, grösseren Medienhäuser. Es ist ihm gelungen, unter dem Dach der „Südostschweiz“ Journalisten von herausragender Qualität zu versammeln, die sich in Kommentaren regelmässig mit unbestechlicher Klarheit äussern – ohne opportunistischen Blick nach links oder rechts – und für eine professionelle journalistische Arbeit besorgt sind. Aber als Verlegerpräsident klaubt er alle möglichen „Argumente“ zusammen, um die Qualitätsdebatte abzuwürgen.
„Keine Qualitätskrise“, oder: umso schlimmer für die Tatsachen
Lebrument hat wohl recht mit der Feststellung, dass das Feld der Kommunikation breiter geworden ist, wenn man alle Formen vom klassischen Journalismus bis hin zu Werbung und Public Relations einbezieht. Nachdenklich stimmt aber, wenn der Medienpräsident Abhängigkeiten schönredet und uns glauben machen will, dass unterbezahlte freie Journalisten, die sich für PR-Aufgaben verdingen, bei ihrer journalistischen Arbeit frei und unabhängig und risikolos über ihre gegenwärtigen oder vielleicht künftigen Auftraggeber berichten können.
Richtig ist gewiss, dass seit über dreissig Jahren etliche Schulen sich um die Ausbildung von Journalisten kümmern. Richtig ist aber auch, dass in immer neuen Wellen teure, ältere und kenntnisreiche Journalist_innen auf die Strasse gestellt und junge, billige, wertfrei funktionierende Arbeitskräfte angeheuert werden, mal als VJ für Lokalfernsehstationen, mal als Schreibkräfte für online-Medien. Beispiele finden sich regelmässig.
Zum Beispiel, wenn Philippe Zweifel im „Tages-Anzeiger online“ (13.1.2010) den Bericht über die offenbar sehr unterhaltsame Debatte zwischen Christoph Blocher und Jean-Claude Juncker im Zürcher Schauspielhaus mit dem Satz beendet: „Und warum nicht? Hitler als Running Gag – auch eine Art Völkerverständigung“.
Manche Leserinnen und Leser mag es bei diesem Satz geschaudert haben.
Wir können ja Milde walten lassen und dem Autor zubilligen, dass die debattierenden Politiker die Hiebe unter die politische Gürtellinie selbert mit nicht ganz stilsicherem Humor zu parieren versuchten. Und nach dieser Vorgabe hat der Journalist sich vielleicht einfach mit verunglückter Ironie aus seinem Bericht verabschiedet.
Aber es fehlt offenkundig das Bewusstsein dafür, was da von der Rechten seit Jahren mit Erfolg betrieben und deshalb bis ins Extrem weiter betrieben werden soll: die systematische Tabuverletzung als Mittel der politischen Agitation.
Tabu-Verletzung – das Erfolgsmodell der Rechten
Eine Berichterstattung, die dieses Spiel kritiklos mitspielt, lässt sich benutzen für die Methode der nationalen Rechten, mit Tabu-Verletzungen Aufmerksamkeit zu gewinnen – der Ausländer ist ein schwarzes Schaf, der europäische Politiker Jean-Claude Juncker wird (von Christoph Blocher) in die Nähe von Hitler gerückt. Die rechtsnationale Propaganda macht solche Verletzungen durch Wiederholung zur Gewohnheit, und sie besetzt damit erfolgreich immer mehr Terrain. Ein Terrain, auf dem man ungestraft und immer rücksichtsloser zuerst beleidigen, dann diffamieren und dann abschiessen kann: politische Gegner oder einfach Gruppierungen, die man zu Feindbildern stempelt. Solange nicht durch Medien, Politik oder auch Justiz konsequent und klar die Grenzen gesetzt werden.
Eine Entschuldigung kommt nie und nimmer in Frage; die amerikanische Rechte von Sarah Palin bis zu Glenn Beck exerziert das vor. Und bei uns lassen die leitenden Redaktoren im boulevardisierten Marketing-Journalismus diese Provokationen immer wieder ungestraft durchgehen, weil sie die Click-Rate und vielleicht sogar die Auflage steigern.
Aber nicht diesen Marketing-Journalismus kritisiert der Verlegerpräsident, sondern er watscht die Medienkritiker ab. Ihre Untersuchung sei nur „akademisches Gerede“.
Einfach nur schlechter Stil? Oder doch ein Mangel an Qualität? - Sei’s drum.
Ungarische Verhältnisse in der Schweiz?
Wenn Lebrument hingegen die Staatsmedien in Frankreich und Italien, das neue ungarische Mediengesetz, „das diktatorische Züge zeigt“, und „die staatlichen Medien, bei uns verharmlosend öffentlich-rechtliche Medien genannt“ (Lebrument) in einem Atemzuge nennt, dann ist das nicht mehr eine Frage des Stils, es ist eine politische Verirrung.
Die völkisch-nationalistischen Strömungen sind aus der Geschichte Ungarns bekannt genauso wie die Tatsache, dass rassistische und antisemitische, antidemokratische Haltungen heute wieder in der ungarischen Regierungspartei Fidesz salonfähig sind. In der Schweiz sind solche Tendenzen glücklicherweise weder in der Regierung noch im Service Public der SRG zu suchen.
Aber da machen die privaten Unternehmerinteressen der Verleger den Präsidenten Hanspeter Lebrument offenbar geschichtsblind. Für ihn kommt alle Gefahr von den öffentlich-rechtlichen Medien, der nationalen Medienanstalt SRG.
Die Stellung, die Ausstattung und die Rolle des Service Public muss unter neuen Bedingungen auch immer wieder neu diskutiert werden, auf der Basis des Verfassungsauftrags, der die Unabhängigkeit der SRG und die Autonomie der Programmgestaltung garantiert.
Aber warum muss man die SRG SSR als „Staatssender“ diffamieren, wenn man sie doch einfach mit dem Massstab ihres gesellschaftlichen Auftrags kritisieren könnte?
(Wird fortgesetzt)