Argentinien hat gewählt. Und Argentinien hat (noch) nicht gewählt. Der siegessichere Peronist Daniel Scioli, Kandidat der amtierenden Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, verfehlte die erforderliche Mehrheit. Sein konservativer Rivale Mauricio Macri ist ihm dicht auf den Fersen und rechnet sich für die Stichwahl vom 22. November Chancen aus. Der Peronismus scheint angeschlagen.
Was ist der Peronismus? Eines der erfolgreichsten politischen Rezepte der jüngeren Geschichte. Begründet nach dem Zweiten Weltkrieg von General Juan Domingo Perón, hat die Bewegung alles überdauert, was sich ihr in den Weg gestellt hat. Ihr Markenzeichen, das ist die unglaubliche Dehnbarkeit, die Wandelbarkeit, die mit dem Begriff verbunden sind.
Alles im politischen Kontext Argentiniens kann Peronismus heissen – und das Gegenteil ist meistens auch möglich: Guerilla, linke Revolution (in den Anfängen), aber auch neoliberale Marktwirtschaft (zu Zeiten Präsident Menems), glühender Nationalismus, vehementer Antikommunismus so gut wie sozialistisch geprägter Internationalismus. „Alles hat in ihm Platz“ meinte schon der Gründervater und einer seiner Minister fügte hinzu: „Wir Peronisten sind das, was die Zeiten verlangen, das wir sein sollen.“ Besser kann man das Prinzip Opportunismus nicht definieren.
Erst zweimal in den siebzig Jahren, die seit dem Zweiten Weltkrieg vergangen sind, ist es Nicht-Peronisten gelungen, das höchste Amt im Land zu erobern; beide kapitulierten vorzeitig. Peronismus: ein Begriff, eine Bewegung, eine Partei ohne greifbaren Inhalt. Stark adhäsiv. Und bis jetzt erfolgreich. Aber seine amtierenden und kandidierenden Vertreter scheinen angeschlagen. Und es könnte sein, dass sich ein Grossteil des Volkes abwendet von der undefinierbaren, unfassbaren Chimäre, die ein General und Caudillo 1946 ins Leben gerufen hat.