Bilder aus Syrien, Bilder vom Krieg – die fast tägliche Normalität via TV oder Smartphone. Schauen wir nach acht Jahren noch hin, haben die Bilder auf den Zuschauer noch eine Wirkung? 144 Minuten lang konfrontiert der neue Film "Fi al-thawra" auf der Kinoleinwand das Publikum mit Eindrücken aus Syrien: Lange Kamerafahrten durch zerstörte und fast menschenleeren Strassenzüge grösserer Städte.
Frage nach der Perspektive
In einer anderen Situation hocken Kinder mitten auf der Strasse und schauen zu wie Männer beginnen Trümmer wegzuräumen - eben erst hat sich eine Staubwolke nach einer massiven Detonation verzogen. Ein älterer Mann repariert mit einem einfachen Hammer ein herausgerissenes verbogenes Metalltor eines Ladens. In einer anderen Szene wird ein verletztes Kind weggetragen. Oder wir sind in einem Spital und man fürchtet, dass die ärztlichen Anstrengungen in einem einfachen Operationsraum für den Verletzten vergeblich sein könnten.
Unmittelbar stellt sich dem Betrachter im Kinosessel die Frage nach der Perspektive dieser Menschen in Syrien angesichts der sichtbaren Zerstörungen, die kaum Hoffnung auf Zukunft ermöglichen. Das Elend, das Ausmass der Verwüstungen, die Alltagssituationen der Menschen, die in dieser Not weiterleben müssen - das alles beeindruckt, raubt dem Zuschauer die Ruhe. Und dies, obwohl wir doch seit Jahren mit Bildern und Berichten vom Krieg in Syrien konfrontiert werden.
Die Waffen der Kunst
Das Kollektiv "Abounaddara" produzierte nicht nur diesen Dokumentarfilm, es formuliert auch Bild- und Medienkritik: „Unsere Arbeit ist anders als jene der Journalisten" deklariert Charif Kiwan, Sprecher des sonst anonymen Kollektivs anlässlich der Pressekonferenz am Filmfestival Locarno, wo der Film im internationalen Wettbewerb als Weltpremiere lief. Das Kollektiv habe den Anspruch, vom Krieg in Syrien „andere Bilder“ zu vermitteln.
Der Film zeigt dokumentarische Situationen aus Syrien - wo ist der Unterschied zum Journalismus? Charif Kiwan beschreibt das in Locarno so: "Der Journalismus verlangt schnelle Bilder von Protestierenden, von Zerstörungen nach Angriffen. Er berichtet über die aktuellen Ereignisse, über Kriegsparteien, lässt deren Exponenten zu Wort kommen. Aber es fehlt die Anbindung an den Alltag."
2016 war das Kollektiv „Abounaddara“ mit ihren Positionen Gast an der Documenta 14 in Athen. In Verlautbarungen formuliert das Filmkollektiv grundsätzliche und oft pauschale Medienkritik, publiziert auch zum Beispiel in der ZEIT und in Libération: Den Opfern des Regimes in Syrien werde von den Medien verweigert, ihre Ansichten zu verbreiten. Das in den Medien gezeichnete Bild der syrischen Gesellschaft widerspiegle nicht deren Realität. „Die Bildschirme geben Ansichten des Verbrecherstaats wieder, das Böse wird banalisiert.“ Und die ihrer Würde beraubten Körper der Opfer würden schamlos zur Schau gestellt. Es sei deshalb an der Zeit, die Waffen der Kunst, des Kinos und des Journalismus zu ergreifen, um der (syrischen) Gesellschaft zu erlauben, ihr eigenes Bild zu zeichnen.
Keine Story
Das Kollektiv "Abounaddara" will deshalb „die Beschränkung der Sprache anderer Medien“ aufheben und für ihre Filme eigene Regeln definieren. Es praktiziert in seinen Dokumentarfilmen eine eigene Handschrift und lässt dabei das ABC des Journalismus ausser Acht. Der Kontext wird bewusst ausgelassen: Keine Namen, keine Ortsangaben, keine Daten, keine Kommentierung. Eine durchlaufende Handlung oder eine Story gibt es nicht. Es sei ein Film der Präsenz im Alltag, zeige Fragmente und Details – etwa ein Gespräch eines Paars beim Kochen, oder immer wieder die Perspektive der Kinder. Es sind dies unspektakuläre Situationen, aber immer vor dem Hintergrund des Kriegs. Indem die Menschen in Syrien nicht nur in „exotischen“ Situationen gezeigt würden, werde der Horizont des Publikums erweitert. Man versuche damit, eine komplexe Realität des Alltags nahe an der Intimität der Menschen zu begreifen. Das ergebe das Bild eines Volkes "in der Revolte" - man müsste wohl eher formulieren „eines Volkes ausgeliefert im Krieg".
Der Film „Fi al-thawra“ stellt sich auf die Seite der Opposition gegen das al-Assad-Regime und dokumentiert aus dieser Optik. Er zeigt den Widerstand allerdings in seiner politischen Breite und Zerstrittenheit. Ein Teil des Films dokumentiert Szenen von kontroversen Konferenzen der Opposition oder von feindlichen Abgrenzungen innerhalb von Demonstrationen gegen das al-Assad-Regime.
Unendliche Kriegskatastrophe
"Abounaddara" wolle nicht nur eine "Ergänzung zum Newsjournalismus" realisieren, sondern reflektiert auch über das Medium Film und die Wirkung von Bildern. In Syrien sei der Film delegitimiert, sagt Charif Kiwan in Locarno. Es existierten weder Kinos noch Filmschulen, "Film" werde von der Bevölkerung mit der Glitzerwelt des roten Teppichs im Westen assoziiert. "Wir möchten unser Publikum nicht mit diesem reduzierten Aspekt von Kino alleine lassen. Das Kino muss Formen finden, welche für alle zugänglich sind." Die Sprache des Films solle die Menschen in Syrien befreien, ihre Sehnsucht ausdrücken, ihnen ihre Würde zurückgeben. Und die Bilder sollen Energie freisetzen.
Die Kritik von "Abounaddara" an „den“ Medien fällt allzu pauschal aus, die Theorie über Bilder wirkt bruchstückhaft. Aber dem Film „Fi al-thawra“ gelingt es, die Präsenz des Kriegs im Alltag, die Innensicht, die Nähe zur Bevölkerung zu transportieren, ohne in Voyeurismus abzugleiten. Und er schafft es bei seinem Publikum zu verhindern, dass die unendliche Kriegskatastrophe von Syrien als gewohnte Newsroutine abgelegt wird. Das syrische Kollektiv belebt mit ihren Überlegungen zu Bildern eine Debatte, welche nicht neu ist, aber das mediale Handwerk, den professionellen Alltag von Journalisten, Journalistinnen und Filmschaffenden dauernd begleiten sollte.
Fi al–thawra (During Revolution), Syrien/Schweden, 2018, 144 Min., Kollektiv Abounaddara, Maya Khoury