JD Vance und Tim Walz, die beiden US-Vizepräsidentschaftskandidaten, haben ohne persönliche Animositäten eine für amerikanische Verhältnisse überraschend sachliche Fernsehdebatte geführt – laut Umfrage mit leichten Vorteilen für Vance. Doch am 5. November wählt Amerika in erster Linie einen Präsidenten und keinen Vizepräsidenten.
Es überraschte nicht, dass am Dienstabend die erste Frage der beiden CBS-Moderatorinnen an Vance und Walz jene nach der Aktualität im Nahen Osten war. Stunden zuvor hatten iranischen Raketenangriffe auf Israel die internationale Berichterstattung dominiert und die sonst langfädigen Vorschauen auf die 100-minütige Fernsehdebatte vorübergehend aus den News verdrängt – ein Event, dem das amerikanische Kommentariat mehr Bedeutung zugemessen hatte, als es das gewöhnlich bei Duellen zwischen Vizepräsidentschaftskandidaten tut.
Solche Debatten hatten bisher kaum einen messbaren Einfluss auf den Ausgang einer Wahl gehabt. Es hiess, angesichts der Enge der Auseinandersetzung zwischen Donald Trump und Kamala Harris könnte dies 2024 aber unter Umständen anders sein. In erster Linie gelte für Vizes das Gebot: «Do no harm» – richte keinen Schaden an! Was für Vance eher gilt als für Walz, denn der Senator aus Ohio hat mit seinen Kommentaren über kinderlose Frauen und haitianische Einwanderer, die angeblich Hunde und Katzen essen, etliche Leute gegen sich und Trump aufgebracht.
Yale-Jurist gegen Highschool-Lehrer
Der Demokrat Tim Walz brachte als früheres Mitglied des Repräsentantenhauses und als Gouverneur des Staates Minnesota zwar mehr Erfahrung mit Debatten ins CBS-Studio nach New York mit, aber der Republikaner JD Vance galt aufgrund seines häufigeren und intensiveren Umgangs mit Fragen der Medien im Wahlkampf als gewiefterer Debattierer. Auch wurde erwartet, dass der 40-jährige Vance, in Yale zum Juristen ausgebildet und Autor des Beststellers «Hillbilly Elegy», rhetorisch dem 60-jährigen früheren Highschool-Coach Vance überlegen sein würde.
Beiden Politikern aus dem Mittleren Westen der USA wurde aber aufgrund früherer Auftritte zugestanden, dass sie von persönlichen Attacken, wie Donald Trump sie gegen Kamala Harris reitet, eher absehen und sich auf Themen konzentrieren würden, ohne sich dabei aber allzu sehr auf Details festlegen zu lassen. Vance geht aber auch der Ruf voraus, als Trumps Stellvertreter bei Wahlkampfauftritten das Publikum gezielt gegen Medienschaffende aufzubringen, um danach den toleranten Versöhner spielen zu können.
Walz beliebter als Vance
Für Tim Walz sprach der Umstand, dass er laut einer Umfrage der «New York Times» und des Siena College in den drei Swing States Ohio, Michigan und Wisconsin mit 44 Prozent Zustimmung populärer ist als JD Vance mit 42 Prozent. Derweil führt im Mittleren Westen Kamala Harris vor Donald Trump mit 48 gegen 47 Prozent. Wobei wahrscheinlicher war, dass Wählerinnen und Wähler Walz als «ehrlich und vertrauenswürdig» erachteten, während sie fanden, auf Vance treffe das weniger zu.
Tim Walz, der sich selten zu aussenpolitischen Themen äusserst, wirkte zu Beginn der Debatte, als es um die Attacke des Irans auf Israel ging, unsicherer als sein Kontrahent, der Kamala Harris vorwarf, es als Vizepräsidentin während dreieinhalb Jahren versäumt zu haben, anstehende Probleme wie die ungebremste Einwanderung zu lösen. Doch keiner der beiden Kandidaten sagte, ob er einen Gegenangriff Israels auf Iran gutheissen würde.
«Eine entlarvende Nicht-Antwort»
Doch Walz wurde im Verlauf des Rededuells zunehmend sicherer und punktete am Ende, als es um Donald Trumps Wahl-Lüge ging. Vance mochte die Frage nicht beantworten, ob Trump die letzte Wahl verloren habe und kritisierte stattdessen Zensurbemühungen. Er sei, sagte er, «auf die Zukunft fokussiert». Walz nannte die Antwort «eine entlarvende Nicht-Antwort». Es gelte aufzuhören zu verneinen, was am 6. Januar 2021 geschah, als ein amerikanischer Präsident versuchte, einen Wahlausgang rückgängig zu machen: «Es reisst unser Land auseinander.»
JD Vance wurde auch in die Defensive gedrängt, als es um das Thema Abtreibung ging. Er räumte ein, seine Partei müsse in dieser Sache mehr tun, um das Vertrauen der amerikanischen Wählerschaft zu gewinnen: «Ich will, dass die republikanische Partei im wahrsten Sinn des Wortes mehr für Familien tut. Ich will, dass wir es ermöglichen, dass es sich Mütter leisten können, Kinder zu haben.» Walz hingegen antwortete, die Meinung der demokratischen Partei zur Frage der Abtreibung sei ganz einfach: «Wir sind für die Frauen. Wir sind für ihre Freiheit, sich selbst entschieden zu können.»
Der letzte Showdown?
Die Fernsehdebatte zwischen JD Vance und Tim Walz fünf Wochen vor der Wahl dürfte für die Kandidaten beider Parteien die letzte Gelegenheit gewesen sein, einander direkt zu konfrontieren. Ob der Umstand, dass das Rededuell einigermassen sachlich und zivilisiert verlief, für den Rest des Wahlkampfs Gutes verheisst, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall wurden die beiden Mikrofone, deren eines während der Debatte zwischen Donald Trump und Kamala Harris jeweils auf stumm geschaltet war, nur in einem Fall abgestellt: Als die CBS-Moderatorin versuchte, die Behauptung von JD Vance zu korrigieren, dass Einwanderer aus Haiti illegal im Lande seien.
«Debatten zwischen Vizepräsidentschaftskandidaten spielen keine Rolle. Vance gewann den ganzen Abend nach Punkten», sagte ein früherer Berater des republikanischen Senators Marco Rubio (Florida): «In den letzten fünf Minuten aber hat Walz Vance aufgrund einer Schlüsselfrage in Sachen Charakter und Demokratie zerstört.»
Unentschiedene Umfragen
Laut einer Umfrage des TV-Senders CBS unmittelbar nach der Debatte lag JD Vance mit 42 Prozentpunkten vor Tim Walz, der auf 41 Punkte kam; 17 Prozent der Befragten erachteten den Ausgang des Rededuells als unentschieden. Dafür fand eine Mehrheit, Walz habe vernünftiger und weniger extrem argumentiert als sein politischer Gegner. Auch sei der Demokrat wohl besser darauf vorbereitet, eines Tages unter Umständen Präsident zu werden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine CNN-Umfrage unter registrierten Wählerinnen und Wählern. Sie sahen JD Vance mit 51 zu 49 Punkten vor Tim Walz – in starkem Kontrast zu Umfragen nach den Fernsehdebatten unter den Präsidentschaftskandidaten. Diese hatten Donald Trump zuerst deutlich vor Joe Biden und Kamala Harris danach ähnlich klar vor Donald Trump gesehen.
«Letztendlich wird die Debatte trotz der enttäuschenden Leistung von Walz und der Maskerade von Vance die Meinung vieler Wählerinnen und Wähler wahrscheinlich nicht ändern», schloss in der «New York Times» David Firestone: «Es gab nicht viel Wahrheit oder Feuer auf der Bühne, aber es gab auch nicht viel Schaden über einen Abend, der weitgehend zum Vergessen ist.» Tim Walz indes kam zu folgendem Schluss: «Amerika, ich glaube, du hast eine wirklich klare Wahl, wer diese Demokratie ehren und wer Donald Trump ehren wird.»