Er war laut, böse, frech, grausam, talentiert, unanständig, witzig, zynisch – und ungemein beliebt. Zeitweise hörten bis zu 20 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner seine dreistündige Radiosendung, die unter der Woche von mehr als 650 Radiostationen während dreier Jahrzehnte über Mittelwelle (AM) landesweit ausgestrahlt wurde. Sein Studio zu Hause glich einem Bunker, eine amerikanische Flagge unübersehbar im Hintergrund.
Viermal verheiratet und dreimal geschieden, gab er sich als Fürsprecher und Sprachrohr der kleinen Leute, obwohl er selbst bis zu 85 Millionen Dollar im Jahr verdiente, einen Privatjet besass, der 54 Millionen Dollar kostete, und in Palm Beach (Florida) in einer Luxusresidenz lebte, die laut Augenzeugen selbst Louis XIV. vor Neid hätte erblassen lassen. Er war aber auch als Wohltäter unterwegs, unter anderem für Leukämie-Patienten. Nun ist Rush Limbaugh, ein Zigarrenraucher, am 17. Februar im Alter von 70 Jahren an Lungenkrebs gestorben. Noch zwei Wochen zuvor war er zum letzten Mal mit seiner «Rush Limbaugh Show» auf Sendung gewesen.
Nur an Radio interessiert
«Er begann nicht zu sprechen, bevor er zwei Jahre alt war», hatte seine Mutter Mildred einst gesagt: «Danach aber hörte er nicht mehr auf.» Der junge Rush, ein pummeliger Knabe, wuchs als älterer von zwei Söhnen in Cape Girardeau (Missouri) ohne enge Freunde oder Freundinnen auf. Er ging nicht gern zur Schule und verliess das College bereits nach einem Jahr ohne Abschluss. Radio war das Einzige, was ihn interessierte. Als er zwölf war, ging sein grösster Traum in Erfüllung: Er erhielt einen Remco Caravelle, ein blaues Transistorradio aus Plastik, auf dem er fortan seinem Helden Larry Lujack, einem Discjockey aus Chicago, zuhörte. Dessen bombastischen Stil übernahm er später.
«Hier ist Rush Limbaugh, der gefährlichste Mann Amerikas, mit dem grössten Hypothalamus in Nordamerika, welcher der Menschheit dient, wenn er nur sein Maul öffnet, prädestiniert für meinen eigenen Flügel im Museum of American Broadcasting, der alles, was er macht, makel- und fehlerlos macht, der diese Show mit der Hälfte meines Gehirns hinter meinem Rücken festgebunden realisiert, um es fair zu machen, weil ich mein Talent von Gott geliehen habe», hat er einst eine seiner Sendungen begonnen.
Politisch inkorrekt
Rush Limbaugh, Sohn eines republikanischen Aktivisten, der im 2. Weltkrieg als Kampfpilot der US Air Force gedient hatte, machte sich über alles lustig, was Demokraten, sozial Engagierten und Liberalen wichtig war. Frauen, die die Abtreibung verteidigten, waren für ihn «Feminazis», Umweltschützer «Bäume umarmende Knallköpfe», Fürsprecher von Obdachlosen «gefühlvolle Faschisten». Er mokierte sich wiederholt und erbarmungslos über Aids-Kranke, Behinderte, Homosexuelle und Schwarze. Covid-19 war für ihn nicht mehr als «eine gewöhnliche Erkältung» und im Übrigen ein Virus, das die Chinesen mutmasslich als Biowaffe in einem Labor entwickelt hatten.
2012 beschimpfte der Radio-Moderator eine Studentin als «Schlampe» und «Prostituierte», weil sie sich dafür einsetzte, dass Krankenkassen auch Verhütungsmittel bezahlen sollten, wie das ein Gesetzesentwurf Barack Obamas vorsah. Es war eine der wenigen Beschimpfungen, für die er sich entschuldigen musste, weil Sponsoren seiner Sendung abzuspringen drohten: «Meine Wortwahl war nicht die allerbeste und beim Versuch, witzig zu sein, habe ich landesweit Aufsehen erregt.» Sonst pflegte er nach ausfälligen Bemerkungen Kritikern zu antworten, er habe ja nur einen Witz gemacht oder lediglich Fragen gestellt, was gemäss der in der Verfassung verankerten Redefreiheit wohl erlaubt sei.
Gegen Clinton und Obama
«Ich hoffe, er versagt», hatte Rush Limbaugh Anfang 2009 vor Obamas Vereidigung verkündet. Der 44. Präsident war denn eines seiner Lieblingsziele. «Noch muss er beweisen, dass er ein (amerikanischer) Bürger ist», sagte er 2009, jener Verschwörungstheorie anhängend, wonach Barack Obama nicht in den USA geboren worden war. Er behauptete ferner, dessen Reform der Gesundheitsvorsorge würde zu «Todesgremien» führen und ältere Amerikanerinnen und Amerikaner «euthanasieren». Ein Gast in seiner Sendung sang den Song «Barack the Magic Negro».
Früher war bereits Obamas Amtskollege Bill Clinton eine der bevorzugten Zielscheiben Rush Limbaughs gewesen. Die demokratischen Clintons, tönte er an, hätten in den 1990er-Jahren ihren Mitarbeiter Vince Foster ermorden lassen. Chelsea Clinton, die zwölfjährige Tochter des Präsidenten, nannte er einen «White House dog». Nach dem Attentat eines weissen Extremisten auf ein Bundesgebäude in Oklahoma City, das 168 Menschen tötete, kritisierte Bill Clinton die «Förderer der Paranoia» am Radio, womit er wohl in erster Linie Limbaugh meinte.
Pionier des Talk Radio
Ohne Rush Limbaugh gäbe es heute in Amerikas vielleicht keine reaktionär-konservativen Medien. Er war der erste der Spezies des Radio Talker, des geschwätzigen Radiosprechers. Als solcher hat er inzwischen im Lande zwar viele Nachahmer gefunden, aber keinen, der ihm in Sachen Können und Popularität das Wasser hätte reichen können. Fox News und erzkonservative Websites wie Breitbart kamen erst später.
Möglich machte Limbaugh und seine rechten Nachfolger am Mikrofon der Umstand, dass die Federal Communications Commission (FCC) 1987 die «Fairness Doctrine» widerrief, ein Gesetz, wonach Radio- und Fernsehstationen politisch «ausgewogene» Programme zu senden hatten. Talk Radio wurde über Nacht populär und Radiostationen schossen wie Pilze aus dem Boden: Hatte es 1960 erst zwei Sender gegeben, die vor allem Talk offerierten, waren es 1995 bereits 1’130 Stationen.
Trump als Nachfolger?
Inzwischen wird in den USA spekuliert, wer Rush Limbaughs Nachfolge antreten könnte. Dabei fällt der Name eines eingefleischten Konservativen, den die Rechte liebt und der zurzeit arbeitslos ist: Donald Trump. Doch wohl nur wenige Leuten halten den Ex-Präsidenten für fähig und talentiert genug, um als Radiomoderator zu fungieren. Trump, nicht eben für sein Arbeitsethos bekannt, müsste an fünf Tagen die Woche während drei Stunden ans Mikrofon und sich jeweils gründlich vorbereiten. Limbaugh jedenfalls war stets bestens gerüstet, auch wenn es sich am Radio anhörte, als würde er improvisieren.
Rush Limbaugh, sagt der frühere Radiomoderator Charles Sykes, sei für Donald Trump stets ein Vorbild gewesen. Zwar hatte Limbaugh im Präsidentschaftswahlkampf 2016 zuerst Senator Ted Cruz aus Texas unterstützt und über den Immobilien-Mogul aus New York gesagt, er sei «kein echter Konservativer». Doch nach Donald Trumps Sieg reihte er sich windschlüpfrig hinter dem Präsidenten ein und liess nichts mehr auf ihn kommen. Die beiden spielten zusammen in Florida Golf und der Präsident verlieh ihm vor einem Jahr anlässlich der Rede zur Lage der Nation die «Presidential Medal of Freedom», die höchste Auszeichnung, die ein Zivilist in Amerika gewinnen kann.
Der loyale Trump-Verteidiger
Rush Limbaugh seinerseits verteidigte den Präsidenten gegen alle Anfeindungen, seien es die Vorwürfe wegen dessen fahrlässigem Management der Corona-Pandemie oder zuvor die Vermutung russischer Wahlhilfe: «Diese Attacke kommt aus den Schatten des tiefen Staates, wo frühere Angestellte Obamas nach wie vor in den Geheimdiensten tätig sind.»
Bis zuletzt insistierte Limbaugh auch, Joe Biden sei am 3. November lediglich durch Wahlbetrug an die Macht gekommen und der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar ein Versuch der Demokraten gewesen, Donald Trump in ein schiefes Licht zu rücken: «Trump repräsentiert in diesem Lande einen Volksaufstand gegen Washington, gegen das Establishment und das hat sich seit längerem abgezeichnet (…). Trump war einfach der erste Kerl, der gekommen ist und diesen Aufstand instrumentalisiert hat.
Ein Alliierter reaktionärer weisser Männer
Rush Limbaugh hat wiederholt damit geprahlt, er habe Millionen von Amerikanerinnen und Amerikaner instruiert, was sie von Politik zu halten hätten. Bei anderer Gelegenheit gab er sich jedoch als blosses Echo der öffentlichen Meinung: «Ich orchestriere, diktiere oder rege Leute nicht zum Denken an, ich validiere nur.» Wie dem auch sei, der Einfluss des rechten Radiopioniers auf die amerikanische Politik ist kaum zu überschätzen. Limbaugh habe Gift in den nationalen Blutkreislauf geträufelt, sagt der Historiker Rick Perlstein, Autor mehrerer Werke über modernen Konservatismus: «Und danach hat er im Grunde jeweils gesagt, ‘Versteht ihr denn keinen Spass?’».
Rush Limbaugh, argumentiert der Historiker in einem Interview, habe den Leuten das Gefühl gegeben, sie seien Teil einer Gemeinschaft oder einer Bewegung. «Politisch entfremdete, reaktionäre weisse Männer hatten den Eindruck, sie hätten einen Alliierten, der sie beschützt.» Der Radiomoderator habe die Mentalität der Rechten aus den 1970er-Jahren unter Richard Nixon geerbt, wonach hinter den Kulissen ein transzendentes Böse lauere, das einen zerstören wolle: «Den Leuten ist eingebläut worden, dass nichts, was die Liberalen oder die Demokraten tun könnten, etwas anderes als eine teuflische Verschwörung sei, um sie zu vernichten.» Limbaugh habe diese Fiktion der Republikaner clever instrumentalisiert und sei folglich für die jüngsten Versuche, Amerikas Demokratie zu überwerfen, «extrem verantwortlich».
Die Taktik des Ressentiments
«Ohne Rush Limbaugh lässt sich die Entwicklung der (republikanischen) Partei von George W. H. Bush zu Donald Trump nicht erklären», sagt Brian Rosenwald, der an der Harvard University über Desinformation am Radio forscht: «Während mehr als 32 Jahren hat er seine Hörerschaft darauf abgerichtet, zu hören, was sie hören wollte und worauf sie Appetit hatte. Und es hat sie begeistert, jemanden sagen zu hören, was sie insgeheim dachten, aber nicht auszusprechen wagten. Und Trump hat das auf seine Politik angewandt.»
Es sei unbestreitbar, analysiert CNN-Mitarbeiter Chris Cillizza, dass Donald Trump die lebendige Verkörperung der Politik des Grolls sei, die Rush Limbaugh während Jahrzehnten gepredigt habe: «Während Limbaugh Rasse und Frauenfeindlichkeit als Waffe für Einschaltquoten benutzte, hat Trump dies für Stimmen getan. Während Limbaugh oft davon sprach, die republikanische Partei von Moderaten und Weicheiern zu säubern, hat Trump sein Amt und seine Macht dazu benutzt, um all jene in der Partei loszuwerden, die nicht willens waren, ihm zu folgen. Limbaugh redete, Trump handelte.»
Ein steinreicher Demagoge
Rush Limbaugh habe die republikanische Partei radikal verändert, sagt auch Nicole Hemmer, Dozentin für Radiogeschichte an der Columbia University: «Er hat konservative Medien in einen gleichberechtigten Zweig der Parteipolitik umgewandelt und einen Stil der Rhetorik, des Argumentierens und des Unterhaltens begründet, der die konservative Politik in der Folge prägen sollte. Was wir heute für besonders Trump-eigene Merkmale des Konservatismus halten – die Beschimpfungen, die Verschwörungen, die Vermischung von Unterhaltung und Politik und Zorn –, Limbaugh hat das während mehr als einem Viertel Jahrhundert gepflegt, bevor Trump auf der Party erschien.»
Nachdem sich die Nachricht von Rush Limbaughs Tod verbreitet hatte, unterbrach Fox News sein reguläres Programm und gedachte ohne Werbeunterbrechungen des Radiomoderators. Unter den Zuschauern, die anriefen, war auch Donald Trump. Im ersten Interview als Ex-Präsident beschrieb er den Verstorbenen als eine jener Legenden, von denen es nicht mehr viele gebe: «Er hat mich von Anfang an unterstützt. Er war ein einzigartiger Typ und hatte aussergewöhnliche Einsicht.» Und Trump konnte es erneut nicht lassen, zu behaupten, bei der Präsidentenwahl am 3. November 2020 sei es zu Wahlbetrug gekommen: «Rush war der Meinung, dass wir gewonnen haben, und ich war es auch. Er war deswegen ziemlich wütend.»
Weniger gnädig als Trumps Erinnerung fällt am Ende die Einschätzung von Shannon Watts aus, der Gründerin einer Bewegung für schärfere Waffengesetze in Amerika: «Rush Limbaugh hat mitgeholfen, das heutige polarisierte Amerika zu erschaffen, indem er Rassismus, Bigotterie, Frauenfeindlichkeit und Spott salonfähig gemacht hat. Er war ein Demagoge, der dank Hassrede, Streitsäen, Lügen und Gifteln reich geworden ist. Das ist seine Hinterlassenschaft.»