„Suburbicon“ spielt 1959 und beginnt mit einem munterbunten Werbespot. Darin buhlt eine am Reissbrett entworfene Vorstadtsiedlung um Einwohner. Arbeitsam, patriotisch, gottesfürchtig und – selbstverständlich – weiss sollen sie sein. Und die uniformen Häuser füllen, in den manikürten Vorgärten grillieren und das Sternenbanner hissen. Als Zeichen dafür, dass der American Dream nicht bloss für die Kapitalisten der New Yorker Wall Street in Erfüllung gehen kann, sondern ebenso für wackere Leute aus dem Mittelstand.
American Dream für alle
Viele Filme aus den „Fifties“ handelten davon. Und wer sich an Vorabend-TV-Serien wie „Mutter ist die Allerbeste“ („The Donna Reed Show“) oder „Vater ist der Beste“ („Father Knows Best“) erinnert, weiss, dass sie einst in Europa und der Schweiz Strassenfeger waren. Viele staunten und waren sich sicher: Amerika, du hast es besser. Realiter ging es in den „Potemkinschen Dörfern“ mit Walt-Disney-Anmutung natürlich nicht ganz so keim- und friktionsfrei zu und her.
Genau davon erzählt der US-Starschauspieler und Regisseur George Clooney in „Suburbicon“. Der Film fusst auf einem 1986 entstandenen Skript von Joel und Ethan Coen, mit denen Clooney schon mehrmals als Darsteller – etwa in „Hail, Caesar!“, „Burn After Reading“ oder „O Brother, Where Art Thou?“ – zusammengearbeitet hat. „Suburbicon“ ist ein schwarzhumoriges Thriller-Drama mit teils abstrusen Ideen und durchgeknallten Charakteren. Da kommt einem das Coen-Meisterwerk „Fargo“ (1996) in den Sinn: Dort geht es um einen Autoverkäufer, der die Entführung seiner Ehefrau so dilettantisch organisiert, dass die Gaunerei in Mord und Totschlag mündet.
Horror im Paradies
Bei George Clooney heisst der „Loser“ Gardner Lodge und ist Finanzexperte. Zusammen mit seiner Ehefrau – sie ist seit einem Unfall an den Rollstuhl gebunden –, dem Söhnchen Nicky und der Zwillingsschwester seiner Gattin lebt er in der eingangs erwähnten, putzigen Retorten-Stadt ein ruhiges Leben.
Das ändert sich, als eines Nachts zwei Ganoven – grössenwahnsinnige Laurel-und-Hardy-Verschnitte – ins Haus eindringen und die Familie mit Chloroform betäuben. Das amateurhafte Vorgehen der Täter zeitigt fatale Folgen. Und es stellt sich heraus, dass das Ganze kein Raubüberfall ist, sondern ein abgefeimtes innerfamiliäres Schurkenstück.
Angezettelt hat es Gardner Lodge. Matt Damon suhlt sich förmlich im Part dieser reptilienhaft-emotionsarmen Dumpfbacke. Und der Pas de deux mit seiner Film-Partnerin Julianne Moore (sie mimt Gardners Gattin und Zwillingsschwester in einer Doppelrolle) ist bestechend. Man nimmt Damon ab, dass er unter Druck seine kriminelle Energie ohne Rücksicht auf Verluste abruft.
Und so bahnt sich ein brutaler Vernichtungskampf an, weil ihm ein misstrauischer Schadensfall-Ermittler, argwöhnische Polizisten und mafiose Gangster arg zusetzen. Und was macht Gardners Sohn Nicky? Der ist ein ganz schlaues Bürschchen, dem nichts entgeht. Aber erstaunlicherweise hellsichtig genug ist, um den Vater und die Tante nicht mit seinen Beobachtungen zu konfrontieren und zu reizen.
Draussen blanker Rassismus
Nicky (beeindruckend: Noah Jupe) nimmt eine Scharnierfunktion zwischen zwei Handlungsebenen wahr: Beim lockeren Baseball-Training im Garten lernt er Andy kennen, den ersten afroamerikanischen Jungen im Quartier. Er ist mit Vater und Mutter im Nachbarhaus eingezogen, was keine so gute Idee war. Entwickelt haben diesen Teil der Story George Clooney und sein langjähriger Ko-Autor Grant Heslov. Er basiert auf wahren Begebenheiten in Levittown (Pennsylvania) von 1957: Damals zügelten dort die ersten Afroamerikaner, William und Daisy Myers, in ein „weisses“ Quartier. Sie wurden Opfer von extremen rassistischen Auswüchsen und erlangten landesweit traurige Bekanntheit.
Blanker Rassismus schlägt auch Andy und seinen Eltern (im Film heissen sie Mayers) entgegen. Die freundlichen, diskreten Leute werden grundlos in der Öffentlichkeit blossgestellt, müssen verängstigt und ohnmächtig mitansehen, wie hasserfüllte Einwohner meterhohe blickdichte Zäune aufziehen, als wären die friedvollen Mayers das Böse an sich. Dass das wahre Grauen nur ein paar Meter nebenan, im Lodge-Anwesen, immer monströsere Züge annimmt, registriert der fanatisierte, pöbelnde Strassenmob natürlich nicht.
Leider wird man als Zuschauer den Eindruck nicht los, dass sich in „Suburbicon“ zwei starke Plots in die Quere gekommen sind: Jeder für sich hätte genug Potenzial für einen eigenen Film gehabt. Bei Clooney berühren sich die Ebenen, warum auch immer, nur sehr selten – aber wenn, dann immerhin berührend über die Buben Andy und Nicky.
Vor allem das gesellschaftspolitisch relevantere Mayers-Drama wird stiefmütterlich behandelt. Und so entsteht kein stimmig ineinander verzahnter Handlungsablauf. Aber Film-Routinier Clooney weiss natürlich, wie man trotzdem den magischen Flow erzeugt, der einen Kinofilm dieser Anspruchsklasse funktionstüchtig macht.
Er punktet mit sattem Coen-Brothers-Groove, gut dosiertem Suspense à la Alfred Hitchcock und einer untadeligen Besetzung: Wer wüsste besser als Superstar Clooney, wie man seinen Darstellern auf dem Set die Reverenz erweist, sogar für kleine Auftritte.
Clooneys Affinität zu zeitgeschichtlichen Themen
„Suburbicon“ hat noch andere Meriten, die eng mit der Persönlichkeit George Clooney verbunden sind, einem spannenden Zeitgenossen mit Charisma. Und der Affinität zu zeitgeschichtlicher Problematik. Schon 2005 hat er mit „Good Night, and Good Luck“ ein Doku-Drama kreiert, das sich mit dem bis heute nachhallenden McCarthyismus befasst: Es geht in den Jahren 1953–54 um den Konflikt zwischen dem antikommunistischen Hexenjäger, US-Senator Joseph McCarthy, und seinem zivil-couragierten Widersacher, Edward R. Murrow, einem hochgeachteten, investigativen, den Bürgerrechten verpflichteten Medienmann.
Politische Zivilcourage gehört auch zum Credo des George Clooney – weit über gut gesetzte Worte bei Oscar-Verleihungen oder PR-trächtige humanitäre und karitative Auftritte hinaus. Clooney, aktuell der wohl populärste Exponent im US-Filmbusiness, nimmt als US-Staatsbürger rege am nationalen und globalen politisch-ethischen Diskurs teil. 2008 und 2012 hat er für die Demokraten die Präsidentschafts-Wahlkämpfe von Barack Obama aktiv unterstützt, 2016 machte er sich für die Kandidatin Hillary Clinton stark.
In „Suburbicon“ stösst man – es erstaunt nicht – fiktional verschlüsselt auf zeitlose Inhalte, die sich von den 1950er-Jahren ohne Mühe in die Gegenwart übertragen lassen. Clooney hat diesbezüglich erwähnt, dass er seinen Film mit den täglichen Wahlkampfreden von Donald Trump im Ohr realisiert und fertiggestellt habe. Anzunehmen, dass Clooney von Trumps repetitiv abgefeuerten „America First“- Wortgranaten inspiriert worden ist, in seinem Film da und dort noch ein paar codierte Ausrufezeichen zu setzen.
„Make America great again“ – welches Amerika?
Jetzt, wo das eigentlich Undenkbare zur politischen Realität geworden ist, Trump seinen „Klimawandel“ im weiteren Sinne kraft seines Amtes herbeizwingen will, drängt sich die Frage auf: Was meint der 45. Präsident der USA eigentlich, wenn er den Slogan „Make America great again“ weiterhin gebetsmühlenartig zitiert? Denkt er an das Amerika der späten 1950er-Jahre unter dem republikanischen Präsidenten Dwight David „Ike“ Eisenhower, das George Clooney in „Suburbicon“ persifliert?
So gesehen gewinnt „Suburbicon“ an Substanz: Themen wie Abschottung, Ausgrenzung, Rassismus, Isolationismus, Waffenmissbrauch plus rüpelhaftes Auftreten und mit Füssen getretenes diplomatisches Fingerspitzengefühl sind in der konfus anmutenden Trump-Administration so virulent wie lange nicht mehr. Darum ist, allen filmischen Mängeln zum Trotz, George Clooneys Werk nicht nur sehenswert, sondern wichtig: „Suburbicon“ ist der richtige Film zur rechten Zeit.
„Suburbicon“ ist jetzt im Kino.