Stefan Gubser, schauen Sie am 5. Juni «Schutzlos», Ihren neuesten Luzerner «Tatort», nochmals an?
Ja, auf jeden Fall. Ich sehe die meisten Folgen bereits nach ihrer Fertigstellung. Dann gibt es eine interne Premiere für Crew and Cast. Wenn ich nicht dabei sein kann, schaue ich mir den Film am Fernseher an. Es ist sehr wichtig, die eigene Arbeit anzuschauen. Man sieht Fehler, noch lieber Szenen, in denen man gut war, man kann sich dabei weiterentwickeln und verbessern.
Wenn Sie einen neuen Luzerner «Tatort» am TV sehen: auf Schweizerdeutsch bei SRF oder auf Hochdeutsch bei ARD und ORF?
Ich schaue meistens beide Fassungen, denn ich sehe ja auch die fertige hochdeutsche Synchronfassung. Zu Hause sehe ich lieber die ursprüngliche schweizerdeutsche Version.
Sie arbeiten doppelt an jedem «Tatort». Es muss mühsam sein, post festum auch noch einen hochdeutschen Text zu sprechen.
Synchronisieren gehört zu meinem Beruf als Schauspieler; ich habe viel Erfahrung damit. Viele Filme drehte und drehe ich in Deutschland wie in der Schweiz, sehr oft für das Fernsehen, deshalb bin ich die anderssprachige Version gewohnt.
Wie erarbeitet ein routinierter Schauspieler wie Sie eine Synchronisation?
Es ist eine eigenständige Arbeit. Ich muss mich dabei sehr konzentrieren, weil ich in der richtigen Zehntelsekunde mit meinem Text bereit sein muss. Aber nicht nur damit, sondern auch mit allen Emotionen. Das ganze Gefühl der Rolle muss auch auf Hochdeutsch herüber kommen.
Haben Sie beim Drehbuch eines «Tatorts» ein Mitspracherecht?
Wir führen vor Drehbeginn immer Gespräche mit dem Regisseur, der Redaktion und meist auch mit dem Drehbuchautor. So können wir unsere Auffassungen einbringen, wenn wir denken, dass wir hier oder dort unsere Figuren anders darstellen würden. Aber den Inhalt des Films bestimmt die Redaktion.
Am Anfang gab es in deutschen Medien und daraufhin auch in schweizerischen Blättern einige Häme über den neuen Luzerner «Tatort». Erst die letzte Folge mit dem Titel «Verfolgt» fand Beifall. Wie verkraftet man schlechte Kritiken?
Es gab glücklicherweise schon viel früher Beifall. Wir wurden bald positiv besprochen, beispielsweise in der «Frankfurter Allgemeinen», und auch die «Zeit» fand uns gleich super. Leider ist es oft so, dass sich im Mediengeschäft etwas Negatives viel schneller multipliziert als das Positive. Eine begründete Kritik kann positiv wirken und mich weiterbringen. Wenn es allerdings unter die Gürtellinie geht, stelle ich die Ohren auf Durchzug. Zum Glück habe ich ein dickes Fell entwickelt. Kann ein Schauspieler oder eine Schauspielerin Kritik nicht ertragen, so hat man in diesem Beruf nichts verloren.
Diesmal spielt Ihr «Tatort» im Milieu der nigerianischen Asylsuchenden in Luzern. Entspricht die Geschichte der Realität?
Der Regisseur hat genau recherchiert; er sprach mit Behördenmitgliedern, mit Betroffenen, mit Betreuern. Deshalb konnte er dieses Milieu gut und sehr authentisch darstellen. Der Film zeigt ausser einem Kriminalfall auch die Situation der Asylsuchenden, ihren Weg bis hierher, die Problematik, sobald sie in der Schweiz sind. Sie sind dazu verdammt, nicht arbeiten zu dürfen. Die Situation ohne Zukunft ist schlimm für Leute aus einem fernen Land.
Der neue «Tatort» zeigt einige junge Nigerianer, die kriminell geworden sind.
Man spricht immer über die Kriminalität der Asylsuchenden. Der kleine Teil, der kriminell wird, kommt nicht mit kriminellen Absichten in die Schweiz. Aber sie wollen Geld in ihre Heimat schicken, manchmal um jeden Preis. Ich unterstütze diese Kriminalität überhaupt nicht, aber ich begrüsse es, dass unser Film die Hintergründe beleuchtet. Er zeigt einen Teil der riesigen menschlichen Katastrophe. In unseren europäischen Ländern würde es mehr Verantwortung brauchen, um so viel Leid zu lindern.
Das Asylwesen ist in allen drei «Tatort»-Ländern, in der Schweiz wie auch in Deutschland und in Österreich, ein heisses Eisen. Wird der Film eher Verständnis wecken oder Vorurteile verstärken?
Ich hoffe auf Verständnis, zumindest darauf, dass das Publikum sich über die schlimme Situation von Flüchtlingen Gedanken macht. Gefestigte Vorurteile könnten allerdings noch bestätigt werden. Aber das ist sicher nicht die Absicht unseres «Tatorts».
Seit Monaten dominiert das Flüchtlingselend die internationalen Schlagzeilen. Was denken Sie nach der Arbeit am «Tatort» vom 5. Juli über die Schweizer Flüchtlingspolitik?
Ich glaube, dass wir mehr machen sollten. Wir sind ein Land mit einer grossen humanitären Tradition. Hier wurde das Rote Kreuz gegründet. Natürlich kann die Schweiz nicht alles Leid der Welt lindern und nicht alle Geflüchteten aufnehmen. Es stünde uns jedoch gut an, uns stärker zu engagieren, zusammen mit europäischen Nachbarn, um das Richtige für jene Menschen zu tun, die in grosser Not sind.
Wo sollte eher geholfen werden, im Heimatland der Flüchtlinge oder hier?
Nun denke ich an Nigeria, auch an Eritrea - ja, im Land selber sollte mehr geholfen werden, damit es gar nicht so weit kommt, dass so viele Menschen sich auf die Flucht begeben müssen. Dort wäre der Hebel anzusetzen, aber das ist sehr schwierig.
Sie selber helfen dort, wo Sie können. In Äthiopien halfen Sie vor wenigen Jahren bei der Herstellung eines Films mit.
Der Film heisst «Horizon beautiful»; er feierte vor einigen Wochen seine Premiere in der Schweiz. Es ist ein Spielfilm, ein Entwicklungshilfe-Filmprojekt, erarbeitet durch eine äthiopische Filmschule, die wir unterstützten. Er handelt von einem Bub, der einen korrupten schweizerischen Fussballmanager entführt. Die Realität holte uns seither ein! Regisseur war Stefan Jäger, damals mein Geschäftspartner in einer Produktionsfirma, bei der ich heute nicht mehr Partner bin. Teils wurden wir von der Deza unterstützt, auch von der Raiffeisen-Bank. Wir investierten auch eigene Mittel, und wir arbeiteten gratis.
Welche beruflichen Projekte planen Sie?
Bis jetzt war ich mit den Dreharbeiten für den nächsten «Tatort», der im Oktober zu sehen sein wird, und anschliessend mit der Arbeit in der Jury des «Festivals des deutschen Films», das just am 5. Juli zu Ende geht, ausgelastet.
Wie lange dauert die Arbeit an einer Luzerner «Tatort»-Folge?
Die reine Drehzeit dauert fünf Wochen. Aber das ist längst nicht die ganze Arbeit. Ich bin mit einem «Tatort» drei Monate lang voll beschäftigt. Zuerst kommt die Vorbereitung, es folgen die Gespräche mit dem Regisseur, die Drehbuchbesprechung, dann muss ich den Text lernen. Den Abschluss bildet die Past-Production. Da gibt es Verbesserungen, manchmal muss eine Szene nachgedreht werden, und für das Synchronisieren muss ich mich mit einem neuen Text beschäftigen. Ich habe einmal alle Stunden und Tage aufgeschrieben, die ein «Tatort» insgesamt erfordert, und bin auf drei Monate gekommen. Bezahlt werden wir allerdings immer nur pro Drehtag.
Weshalb sind eigentlich die meisten «Tatort»-Kommissare und auch andere TV-Cops neurotisch, unglücklich, krank, einsam? Keiner lebt in einer glücklichen Familie, jeder wacht allein auf, wenn der Anruf kommt, es sei eine Leiche gefunden worden.
Ich bin als Reto Flückiger viel normaler, das war auch eine Absicht. Dass meine Figur alleine lebt, ist in Ordnung, aber Flückiger steht mit beiden Füssen auf dem Boden. Ich wollte authentisch sein. Das alles wird noch viel besser, Sie werden es sehen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Einsamkeit der Kommissare einen praktischen Aspekt hat. So braucht die Produktion nicht noch mehr Schauspieler, und die Geschichte wird nicht breiter mit noch mehr Locations. In der einsamen Konstellation können wir uns alle auf den Kriminalfall konzentrieren.
Kennen Sie Ihre deutschen und österreichischen «Tatort»-Kollegen?
Ich kenne einige von ihnen. Mit Miroslav Nemec habe ich Theater gespielt. Ich kenne auch Jan Josef Liefers, und mit Meret Becker, der neuen Berliner Kommissarin, habe ich schon gedreht. Man läuft sich jeweils spätestens an der Berlinale über den Weg und kommt ins Gespräch.
Sie spielen seit Jahren einen Cop in einer Mordkommission, erst bei den Eurocops, dann mit Eva Mattes im Bodensee-«Tatort» und jetzt ermitteln Sie im Luzern «Tatort» als «Fachstellenleiter Leib und Leben». Könnten Sie sich vorstellen, mal im richtigen Leben ein Polizist zu sein?
Das käme für mich eher nicht in Frage. Höchstens der kriminaltechnische Bereich würde mich interessieren.
Schauen Sie sich TV-Krimis an?
Ich mag Dokumentationen über Kriminalfälle; die gab es im Schweizer Fernsehen. Oder Dokus über neueste Ermittlungs-Methoden, die finde ich sehr spannend. Skandinavien bringt interessante Sendungen, und die amerikanische TV-Serie «True Detective» gefiel mir gut.
Ihre Figur Reto Flückiger ist ein Segler. Er wohnt in Luzern sogar auf seinem Schiff. Segeln Sie auch privat?
Wegen Reto Flückiger habe ich damit begonnen, erst auf dem Zürichsee, wo ich die erste Segelprüfung bestand. Ich bin ohnehin ein See- und Bootsmensch. Dann entdeckte ich das Segeln auf dem Meer und machte vor zwei Jahren auch gleich noch den Hochseeschein. Seither segle ich regelmässig mit meiner Frau und mit Freunden auf einem der sieben Meere.
Besitzen Sie ein Schiff?
Wir chartern jeweils eines. Aber am Zürichsee sind wir mit anderen Familien Mitglieder in einer Bootsgemeinschaft. Unser Schiff ist ein besseres Motorschlauchboot.
Wo segeln Sie diesen Sommer?
Das werden keine Ferien sein. Im letzten Oktober wurde ich aus Deutschland angefragt, ob ich an einer Regatta zugunsten von Knochenmarkspenden teilnehmen will. Die Regatta heisst «The Rose of Charity» und soll Leute animieren, sich als mögliche Knochenmarkspender testen zu lassen. 25 Schauspieler sind eingeladen, die aus dem Fernsehen bekannt sind. Firmen werden die Regatta sponsern, und die Medien werden über die Regatta berichten
Das Segelturnier findet im Oktober in Sardinien statt, und wir absolvierten dort bereits ein Training. Die ARD wird täglich einen Bericht senden. Ich habe sofort zugesagt, denn es handelt sich um einen sehr guten Zweck. Wir Schauspieler stehen auf der Sonnenseite des Lebens, und wir wollen der Gesellschaft etwas zurückgeben.