Am Abstimmungssonntag ist die Buchpreisbindung in der Schweiz endgültig gefallen. Die Vorteile werden geringer als erwartet sein, die Nachteile wiegen dagegen schwer.
«Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch noch etwas Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. – Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.» – Douglas Adams. Er wäre am 11. März sechzig Jahre alt geworden.
Populistische Neinsager
Gut, dass es endlich vorbei ist. Zwar gab es auch Lichtblicke in der breit geführten Diskussion um die besondere Schutzwürdigkeit der Buchbranche: In einer «Brennpunkte»-Sendung von Radio DRS zum Beispiel Hans-Jürg Fehr, der mit der Erfahrung der Verlegerperspektive gesellschaftlich argumentierte und die ökonomischen Hintergründe der kulturellen Vielfalt verteidigte. Oder Ruth Schweikert mit ihrem geistvollen und witzigen Text über illusorische Ersparnisse und den anderen Reichtum, den Bücher geben.
Aber zu oft fühlte man sich in den vergangenen Wochen wie in einem unfreiwillig komisch vor sich hineiernden Dorftheater, wenn man den Argumenten der Gegner einer Buchpreisbindung zuhörte. Mal durfte ein lokaler Platzhirsch, der Buchhandlung und Druckerei geerbt hat, von sich geben, dass ihm als Unternehmer die Preisbindung «ein grosses Stück Handlungsfreiheit» nehmen würde. Mal versuchte der SVP-Nationalrat Reimann seinen Zuhörern weiszumachen, es seien ausländische Verlage, die mit überhöhten Preisen Schweizer Buchkäufer abzocken wollten. Erkennbar waren die populistischen Neinsager an ihren Worthülsen, die vor allem eins ahnen ließen: ihre eigene Ferne zu Büchern und nachdenklichem Lesen.
Geiz als Motivation des Politischen
Zu den Formen, mit denen die Niederlage am Tag nach derAbstimmung verarbeitet wurde, gehörte ein Facebook-Link. Marianne Sax, Buchhändlerin in Frauenfeld und durch ihre Arbeit für den SBVV ohnehin eine Befürworterin der Preisbindung, verwies neben ihrem Foto mit dem roten Ja-Button auf ein Tagi-Interview mit der Überschrift «Viele Deutsche sehen in Schweizern eine Art verschärfte Schwaben». Der Korrespondent der «Süddeutschen Zeitung» erläuterte darin, wie anders er die Schweizer zu sehen gelernt hat, differenzierter als es das Schwaben-Etikett seiner Landsleute meint; zugleich bereitete er mit subtilen Komplimenten die Werbekampagne für sein neues Buch über die Schweiz vor.
Dem Artikel fehlt aber eine erläuternde Fußnote: denn der aus Hessen stammende Journalist versteht unter «Schwaben» vermutlich noch etwas anderes als Schweizer Zeitungsleser. Schwaben sind für ihn jene süddeutsche Mentalitätsgruppe rund um die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart, die sich neben ausgeprägtem Ordnungssinn immer wieder durch besonders individualisierten Geiz und ein nerviges Gelddenken auszeichnet. Verschärftes Erkennungszeichen: Jener Mietshaustyp im Schwäbischen mit einem individuellen Lichtschalter in jeder Wohnung für die Beleuchtung des gemeinsamen Kellergangs; der sorgt dafür, dass keiner die (mikroskopischen) Kosten einer 60-Watt-Funzel mittragen muss, die ein anderer Mieter aus Versehen mal nicht ausknipst.
Gestern hat in der Schweiz, um es knapp zu sagen, das kurzatmige Gelddenken einer Minderheit für eine weitere Schwächung eines differenzierten Angebots von Büchern vor Ort votiert. Ein Viertel aller Stimmbürger gab, zusammen mit jener schweigenden Mehrheit, die seit langem demokratische Abstimmungen am liebsten rechts liegen lässt, den Ausschlag.
Reguliertes Glücksspiel – deregulierter Buchmarkt
Es bleibt eine kuriose Koinzidenz: Am Tag, als das Stimmvolk mit überdeutlicher Mehrheit eine Deregulierung des bisherigen Glücksspiel-Systems ablehnte – dort darf alles übersichtlich weitergehen, wie es war – am selben Tag stimmte es auch mit deutlichem Mehr dafür, dass die Organisation eines Kulturguts namens Buch ohne den geregelten Schutz bleibt, den es gebraucht hätte. Notwendig gebraucht, um den schwierigen Übergang in der Darreichungsform, dem Wechsel vom Papier zum Display, in einem geordneten Rückzug zu verkraften. Dass die Neinsager sich vorstellen können, welche Marktmechanismen sie in weitere Bewegung setzten, kann bezweifelt werden.
Der Zufall wollte es, dass an eben diesem Abstimmungs-Sonntag im Branchen-Magazin «BuchMarkt» einer der erfolgreichsten Buchhändler, Hermann-Arndt Riethmüller vom süddeutschen Filialisten Osiander, bei einer Frage nach der «digitalen Revolution» zu Protokoll gab: „Das ist richtig. Wir haben aber auch (im Gegensatz zum übrigen Einzelhandel) das Privileg der Preisbindung, und wir sollten die Chance nutzen, die unserer Branche dadurch gegeben wird, dass sich der Wettbewerb im Dienstleistungsbereich, nicht im Preisbereich, abspielt.“
Der Sinn des "Tiefen Lesens"
Osiander, mit einer der größten Filialen in Konstanz nur wenige hundert Meter hinter der Grenze, kann dem ohnehin starken Einkaufstourismus Schweizer Buchliebhaber nach dieser gezielten Schwächung des Schweizer Buchhandels durch ein Viertel der Stimmberechtigten noch gelassener entgegen sehen. Man vertut weder in Deutschland noch in Österreich oder Frankreich als Buchhändler seine Zeit mit dem Revidieren von Preisschildern. Schnäppchen für die Jäger gibt es nebenbei genug. Dass eine militante Geiz-ist-geil-Gruppe ein gewachsenes Qualitätssystem der Buchbesorgung aufs Spiel setzen könnte – diese Option hatten deutsche Wähler glücklicherweise bisher nicht. Dort sichert eine vom Parlament beschlossene Preisbindung einen Rahmen, in dem vorerst die Qualität der Dienstleistung für Kunden finanziert werden kann. In einem Buchhandel, der seit Jahren mit Umsatzschwund zu kämpfen hat, muss neben qualifizierter Beratung ein Ambiente entwickelt werden, das auf gesteigerten Bedürfnis der Käufer nach Lustgewinn rund um den Kauf der Ware Buch reagiert.
Denn es gibt immer noch beträchtliche Zielgruppen der Buchkäufer («Hedonisten», «Performer», «Liberal-Intellektuelle», wie sie in neuen Sinus-Studien unterschieden werden). Sie kommen aus einkommensstarken Milieus, die «Tiefes Lesen» weiterhin zur Lebensqualität rechnen. Wer die Thesen der amerikanischen Neurowissenschaftlerin Maryanne Wolf ernst nimmt, sorgt dafür, dass Kinder in einem Haus mit Büchern aufwachsen, deren Inhalt auf Papier gedruckt ist und die Freude einer tieferen Leseerfahrung ermöglichen.
Wind of Change
In der Schweiz wird man zuschauen können, wie das lukrative Segment des Buchgeschäfts, die ständig wechselnden Bestseller, bald von anderen Verteilern angegangen wird. Die Prognose steht, dass sich spezialisierte Discounter die saisonalen Seller greifen werden. Profitmaximierung über das problemlose Geschäft mit den schnellen Drehern. Dieser Teil der Ware Buch wird abwandern in andere Läden des Einzelhandels und den bestehenden Buchhandlungen einen Umsatzanteil wegbrechen, den für die risikoreichere Arbeit mit langsamer gängigen Titeln gebraucht haben.
Es gehört zu den atrocities, dass man nun noch die rostigen Worthülsen um einen der markanten Aberglauben der westlichen Neuzeit lesen muss, die fatalistische Mär vom sich selbst regulierenden Markt, wie sie am Abstimmungsabend die NZZ auftischte («Jetzt hat das Stimmvolk diesem regulatorischen Übereifer einen Riegel geschoben. Genauer: Die Deutschschweizer Stimmberechtigten haben verfügt, dass nicht Verleger und Buchhändler die Preise ihrer gedruckten Produkte bestimmen sollen, sondern der Markt.»)
«Markt» meint in diesem Fall den langsamen Niedergang von Buchhandlungen in ruinösen Preiskämpfen, die den Online-Händlern nützt mit Steuersitz in Anderswo. Und was nützt es, möchte man fragen, einen Riegel zu schieben, wenn durch die Wucht dann Steine in einer Mauer gelockert werden, durch die ohnehin der Wind of Change pfeift.