Und in diesem Jahr stehen mehrere Landtagswahlen an, darunter die im Stammland der FDP, Baden-Württemberg. Schafft es Guido Westerwelle, wenigstens rhetorisch den Scherbenhaufen zu beseitigen, den er angerichtet haben soll?
Kurz vor Weihnachten brach die Rebellion gegen ihn offen aus. Wolfgang Kubicki, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein, verglich die FDP mit der DDR in ihren letzten Zügen. Der bis dahin als farblos, inkompetent und provinziell verspottete Wirtschaftsminister Rainer Brüderle wurde plötzlich als möglicher neuer Vorsitzender gehandelt. Andere wie die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger brachten den 31-jährigen Generalsekretär Christian Lindner als neuen Vorsitzenden ins Gespräch, der nun wieder das exakte Gegenteil von Brüderle ist. Die beiden können sich nicht ausstehen.
Irgendwie erinnert das Ganze an ein munteres Tontaubenschiessen. Personen werden nach oben katapultiert und – Peng! So funktioniert eher die Boulevardpresse. Aber auch die Politik? Was glaubt wohl Herr Westerwelle, wie Politik funktioniert?
Simple Botschaft, überdimensionierter Auftritt
Westerwelle hat es meisterhaft verstanden, den Trend zur Personalisierung von Politik zu verstärken und für sich zu nutzen. Der Auftritt ist das eine, die faktische Wirksamkeit das andere. Seit jeher standen die Liberalen in dem Zwiespalt, dass ihre Anliegen wie eine Art negative Theologie gewirkt haben. Die Ansprüche des Staates zu begrenzen, ist in Zeiten der progressiven Entgrenzung des Staates zunehmend schwierig. Westerwelle spitzte diese Aufgabe auf die simple Formel, „Steuern runter“, zu.
Gemessen an dieser simplen Botschaft wirkte sein Auftritt überdimensioniert. Er sei ein genialer Trommler, schrieb Heribert Prantl einmal in der Süddeutschen Zeitung, aber ein Blechtrommler, ein Nachfahre von Oskar Mazerath aus der Blechtrommel von Günter Grass. Und als im Sommer 2002 die Oderflut ausbrach und dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder die Gelegenheit bot, sich vor Ort als Retter zu präsentieren, weigerte sich Westerwelle, diese Gebiete zu besuchen. Es genüge ja auch nicht, dort etwas gute Laune zu verbreiten, kommentierte süffisant die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Es ist dieses Missverhältnis zwischen persönlichem Starkult und politischer Bedeutung, das jetzt in Stuttgart die Diskussionen motiviert. Als hätte man das nicht von vornherein wissen können. Warum hatte Westerwelle so viel Erfolg, und warum steht er jetzt so an der Wand?
Politische Ungereimtheiten
Er sei gut in der Opposition gewesen, aber schlecht als Aussenminister, er sein ein guter Parteistratege, aber schlecht in der Durchsetzung politischer Ansprüche in einer Koalitionsregierung, wird bemerkt. Das klingt plausibel, trifft aber nicht den Kern. Der Kern besteht in der Frage, wie Politik funktioniert. Und da stossen wir schnell auf Ungereimtheiten.
So müsste man Folgendes annehmen: Die FDP hatte fast 15 Prozent der Zweitstimmen bei der letzten Bundestagswahl bekommen, weil angeblich viele Wähler von CDU und CSU die FDP als künftigen Koalitionspartner stärken wollten. Entsprechend hätten die späteren Verluste in den Umfragen wieder der CDU bzw. der CSU zugute kommen müssen. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Auch die Christdemokraten haben an Zustimmung verloren, und es ist keine Wählerwanderung von der FDP zu ihnen hin zu beobachten.
Eine andere Ungereimtheit: Der Reputationsverlust wird immer wieder mangelnder Qualifikation, mangelndem Intellekt zugeschrieben. Aber in der Koalition sind zwei FDP-Minister, denen man Seichtheit nicht vorwirft: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Philipp Rösler. Rösler ist studierter Mediziner, gilt als Überflieger und zappelt als Gesundheitsminister in den Fallstricken der diversen Gesundheitslobbyisten und Bürokratien. Ihm geht es nicht besser als seiner Vorgängerin Ulla Schmidt, der wiederum keinerlei intellektuelle Brillanz unterstellt worden ist.
Der Gang der Dinge
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war schon einmal Justizministerin und ist 1996 unter Tränen zurück getreten, weil sie das von der CDU/CSU auf den Weg gebrachte Abhörgesetz mit ihren liberalen Grundsätzen nicht vereinbaren konnte. Heute sind wir schon viel weiter. Was sie damals verhindern wollte, mutet gegenüber den heute üblichen Praktiken wie ein harmloses Vorgeplänkel an.
So funktioniert eben Politik: Es kommt sowieso das, was kommt, und im Grunde spielt es keine Rolle, ob die „verantwortlichen“ Politiker das gerade gut finden oder nicht. Politiker wissen das, sagen es aber nicht und wollen es noch weniger hören. Denn wofür sollten sie gewählt werden? Da macht man doch lieber auf lustig wie Guido und unterstreicht so seine Wichtigkeit: „Ein jedes Schiff, das dampft und segelt, hat einen, der die Sache regelt. Und das bin ich.“ So sprach er, eindrucksvoll aber schief, auf dem FDP-Parteitag im Mai 2001.
Dagegen hatte die FDP in ihrer Geschichte immer wieder intellektuelle Schwergewichte. Eines der bedeutendsten war sicherlich der Soziologe Ralf Dahrendorf, aber man sollte auch nicht vergessen, dass der Gründer und Herausgeber des Spiegel, Rudolf Augstein, 1972/73 für die FDP im Bundestag sass. Hildegard Hamm-Brücher hat in der Bildungspolitik eine grosse Rolle gespielt und Gerhart Baum hat als Staatsekretär und Minister in der Innenpolitik liberale Grundsätze so nachdrücklich vertreten, dass er dem Kanzler Helmut Schmidt damit gehörig auf die Nerven gegangen ist. In der heutigen Diktatur der groben Vereinfachung lassen sich liberale Abgrenzungen dieser Art einem breiteren Publikum kaum noch vermitteln.
Aber es gab in der FDP auch politische Akteure von höchster Wirksamkeit. Nicht umsonst sind sie bis heute Ehrenvorsitzende: Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher. Beide haben im Zusammenhang mit der Ostpolitik und der Wiedervereinigung Herausragendes geleistet. Aber sie hatten auch eine Gelegenheit dazu. Sie wussten „den Mantel der Geschichte“ zu ergreifen. Der Gang der Politik aber hält selten solche Highlights bereit.
Freiheitsrechte statt Sicherheitsversprechen
Im politischen Normalbetrieb gibt es wenig Profilierungsmöglichkeiten. Schon in den 60er Jahren, als die FDP mit knirschenden Zähnen immer wieder als kleinerer Koalitionspartner Beschlüsse der CDU/CSU mitgetragen hat, die ihren eigenen Ansprüchen zuwider liefen, hat der Kabarettist Dieter Hildebrandt vorgeschlagen, die FDP solle als Parteiabzeichen Sicherheitsnadeln nehmen.
Allerdings wird Guido Westerwelle immer wieder mit Karl-Theodor zu Guttenberg verglichen. Wieso ist der eine ein Shooting Star und der andere so blass? Guttenberg inszeniert sich ebenso wie Ursula von der Leyen noch perfekter in den Medien und beide setzen sich gezielt immer wieder über Gremien hinweg. Als Aussenminister, dem zudem sowieso ständig von der Kanzlerin in die Parade gefahren wird, kann sich Westerwelle das gar nicht leisten. Dass er es könnte, hat er 2004 bewiesen. Damals hat er mit Merkel jenseits aller Gremien den Plan ausgeheckt, Horst Köhler zum Bundespräsidenten zu machen.
Man wird beim Dreikönigstreffen der FDP sehen, ob die Partei den leichten Weg der Personalisierung einschlagen will und damit weiterhin den Kern des Politischen verfehlt. Wenn sie diesen Fehler vermeidet, könnte sie es auch in Zeiten der groben Vereinfachung schaffen, Menschen neu für sich zu gewinnen, die ihre Freiheitsrechte nicht einfach gegen Sicherheitsversprechen eintauschen wollen.