Die Ausstellung ist dem künstlerischen Austausch zwischen Persien und Europa im 16. und 17. Jahrhundert sowie ausgewählten Werken zeitgenössischer Kunst aus Teheran gewidmet.
Es gibt wohl kaum jemanden, der nicht an Märchen, Teppiche und fein kolorierte Miniaturen denkt, wenn der Name Persien fällt. Die Geschichten von „1001 Nacht“ sind in den meisten Bibliotheken ebenso präsent wie die Teppiche in der guten Stube. Persien war für Europäer über Jahrhunderte Inbegriff von Exotik und Luxus: ein Land der Sehnsucht, von dem sich umso besser träumen liess, je weniger man von ihm wusste.
Erst um 1600 kamen Europa und Persien sich ein wenig näher. Man fing an miteinander Handel zu treiben, man tauschte Delegationen und Ideen aus, man inspirierte sich gegenseitig in Lebensstil und künstlerischer Ausdrucksweise. Künstler im Westen begannen die Bildsprache der persischen Miniaturen zu studieren. Künstler in Persien entdeckten in der Malerei des Westens neue Motive, allen voran den weiblichen Akt.
Aufregende Gegenwartskunst aus Teheran
Diesem künstlerischen und kulturellen Austausch zwischen Persien und Europa ist die jüngste Ausstellung im Museum Rietberg in Zürich gewidmet. Sie zeigt an Hand einmalig schöner und kaum je gesehener Exponate, wie persische Stoffmuster plötzlich auf europäischen Gewändern und Teppichen auftauchen und persische Notabeln Wert darauf legen, sich mit westlichen Kunstgegenständen zu umgeben. Der Handel florierte, Export und Import blühte, der Austausch zeigte Wirkung. Zum Teil wurde direkt kopiert, zum Teil wurden Formen und Motive übernommen und dem eigenen Stilempfinden anverwandelt. Am ausgeprägtesten geschah dies im Polen des 17. Jahrhunderts, wo die Oberschicht sich mit dem ostiranischen Nomadenvolk der Sarmaten identifizierte und deren Ornamentik bis ins Detail hinein auf Gewändern und Teppichen kopierte. Dabei entstanden prächtige und bei aller Aneignung des Fremden eigenständige Werke, die interessante Rückschlüsse auf ihre Vorbilder zulassen. Umgekehrt fanden bisher unbekannte Motive wie die Opferung Isaaks, die liegende Venus oder Amor und Psyche Eingang in die persische Kunst, ohne dabei den für persische Miniaturenmalerei typischen Malstil zu verlassen.
Dies alles ist kulturgeschichtlich interessant und prächtig anzuschauen. Wirklich aufregend aber ist derjenige Teil der Ausstellung, der der Gegenwartskunst aus Teheran gewidmet ist. Dabei haben die Ausstellungsmacher die zum Teil auf Anregung des Rietbergmuseums entstandenen Arbeiten von sieben iranischen Kunstschaffenden, die Mehrheit von ihnen Frauen, klug in die Gesamtschau integriert und durch geschickte Gegenüberstellungen den Blick zusätzlich geschärft für die Wechselwirkungen zwischen Orient und Okzident. Das beginnt gleich am Eingang zum Abegg-Saal, wo die grossflächige Arbeit der iranischen Künstlerin Paristou Forouhar neben einem kostbaren Teppich aus dem 17. Jahrhundert liegt. Streng ornamental aufgebaut sind sie beide, nur dass sich hinter den traditionellen Mustern eine Thematik verbirgt, die man auf den ersten Blick nicht vermuten würde: Gewalt und existentielle Bedrohung. Bei dem eigens für Europa gefertigten sog. Portugieserteppich sind es die für Orientteppiche sonst unüblichen Darstellungen von Schiffbrüchigen, die das Thema aufgreifen, bei Forouhars Arbeit „Spielfeld“ stark abstrahierte Gewaltszenen, die sich, bei flüchtigen Hinsehen kaum erkennbar, zu einem flächendeckenden Muster fügen. Für beide typisch ist, dass aus der Ferne nur das Ornament sichtbar ist und erst aus der Nähe sich das Detail offenbart, aus dem es gebildet ist. Auf diese Weise wird dem Betrachter gleich beim Betreten des ersten Saales vor Augen geführt, worum es der Ausstellung eigentlich geht: nicht nur um den Dialog von Ost und West, sondern auch um die Beziehung von Gegenwart und Vergangenheit.
Etwas ungeheuer Subversives
Wie Parastou Forouhar, die in ihren Arbeiten die Ermordung ihrer Eltern und die Gewalterfahrungen während der Revolution verarbeitet, so sind auch die übrigen Künstlerinnen und Künstler aus Teheran nicht denkbar ohne die Auseinandersetzung sowohl mit den Ausdrucksmitteln westlicher Kunst als auch mit der Formensprache der traditionellen persischen Malerei. Dass sie dabei fast ausnahmslos um ein und dasselbe Thema, um den Menschen in seiner Verletzlichkeit und seiner Gefährdung, kreisen, mag den Auswahlkriterien geschuldet sein. Zufall ist es angesichts der Widersprüchlichkeit der modernen iranischen Gesellschaft gleichwohl nicht. Es sind versehrte, ausgelieferte, gebrochene Existenzen, die sich hier Gehör verschaffen. Es sind Geschichten von Gewalt, die Menschen erleiden und Menschen einander antun. Es geht um Zwänge, die man erleidet, die man unterläuft oder denen man sich entzieht.
Sämtliche der hier ausgestellten Arbeiten haben etwas ungeheuer Subversives und verraten, wie geübt man im Umgang mit staatlicher Überwachung sein muss, wenn man in diesem Land künstlerisch überleben will. Deutlich wird das etwa in den Installationen von Mandana Moghedan, die ihr riskantes Spiel mit Haar und Verschleierung treibt, aber auch in den surrealistisch anmutenden Miniaturen von Hamed Sahili oder den als „Afterschock Poetry“ bezeichneten grossformatigen Zeichnungen von Farhad Fozouni, auf denen sich, warnend und drohend, die rote Linie der Zensur durch sämtliche Darstellungen zieht.
Sich der sozialen Kontrolle entziehen
Keine der Künstlerinnen bringt die Zerrissenheit und Widersprüchlichkeit der iranischen Gegenwart indes so eindrücklich und so beklemmend zum Ausdruck wie Samira Eskandarfar mit ihrer Video-Arbeit „108 Tage“. In verstörenden Bildern lässt die Künstlerin Frauen zu Wort kommen, die auf der Suche sind nach sich selbst und gleichzeitig alles daran setzen, sich der sozialen Kontrolle durch politische und geistliche Instanzen zu entziehen. Es sind Frauen, die fragil erscheinen und zugleich sehr stark sind. Es sind versehrte, verletzte Frauen, die der Hilfe bedürfen, aber sich nicht länger mit der Opferrolle begnügen wollen. „I wanted to show you my insides“, sagt eine von ihnen, beinlos, an den Rollstuhl gefesselt, nachdem sie sich mit einem Messer den Leib aufgeschnitten hat. Wer je den Iran bereist hat, weiss, wie konsequent in diesem Land zwischen der von Zwängen beherrschten Aussen- und einer Freiheiten aller Art gewährenden Innenwelt unterschieden wird. Drastischer als in dieser Video-Sequenz lässt sich dieser im heutigen Iran allgegenwärtige Gegensatz nicht mehr darstellen.
Es ist das Verdienst dieser Ausstellung im Rietbergmuseum, dass sie nicht nur die kulturhistorisch bedeutsamen ost-westlichen Bezüge in der Vergangenheit dokumentiert, sondern auch die Besonderheiten einer Gegenwartskunst aufzeigt, die sich sowohl im Spannungsfeld zwischen Ost und West als auch in den Widersprüchlichkeiten der eigenen Gesellschaft zu behaupten weiss.
Sehnsucht Persien. Kunst im europäischen Dialog (1590 – 1720) & Gegenwartskunst aus Teheran.
Museum Rietberg, Zürich, vom 27. September 2013 bis 12. Januar 2014