Als neues Big Thing wird schon seit längerem immersive Technologie gehandelt: Augmented-Reality-Brillen, mit denen wir nicht in eine virtuelle Welt, sondern in die „verbesserte“ reale Welt eintauchen können. Zum Beispiel „Oculus Rift“, ein Headset, entwickelt von einem kalifornischen Spieldesigner. Die Oculus-Brille wird nächstes Jahr zu kaufen sein. Die Firma Oculus wurde im Frühjahr 2014 von Facebook übernommen, und Stephen Zuckerberg kriegte sich schon damals nicht mehr ein vor Begeisterung über die bevorstehende Zukunft der total „immersierten“ Menschheit mit Hör-und-Sehgarnitur auf dem Neurokranium.
Die ganze Welt ein Game
Hören wir ihm einen Augenblick zu: „Unsere Mission ist, die Welt offener und vernetzter zu gestalten. In den letzten paar Jahren bedeutete dies, mobile Apps zu bauen, die einem ein gemeinsames Leben mit Mensch ermöglichten (..) Jetzt befinden wir uns an einem Punkt, (..) wo wir bereit sind, uns auf Plattformen zu fokussieren, die künftig noch nützlichere, unterhaltendere und persönlichere Erfahrungen zu machen erlauben.“ - so Zuckerberg auf Facebook.
Vorhang auf, Tusch, und es betritt Oculus die Bühne: „Oculus baut Virtual-Reality-Technologie, wie zum Beispiel das Oculus-Rift-Headset. Setzt man die Garnitur auf, taucht man ein in eine immersive computergenerierte Umwelt, wie in einem Game oder Film (..) Das Unglaubliche an dieser Technologie ist, dass man sich wirklich an einen andern Ort mit andern Menschen versetzt fühlt.“ Das Gamen aber wird erst der Anfang sein. Unser ganzes Leben wird zu einem einzigen Game: „Stell dir vor, du schaust dir ein Basketballspiel direkt vom Rand des Feldes; du besuchst eine Vorlesung in irgend einer Universität der Welt; du hast eine Sprechstunde beim Arzt – indem du dir einfach zuhause das Headset aufsetzest. Das wird eine wirklich neue Kommunikationsplattform sein. Indem du dich wahrhaft anwesend fühlst, kannst du unbegrenzt Räume und Erfahrungen mit andern Menschen teilen. Und zwar nicht nur für ein paar Augenblicke, sondern für die Dauer eines ganzen Abenteuers (..) Eines Tages, so glauben wir, wird diese Art von immersiver, augmentierter Realität Bestandteil des Lebens von Milliarden von Menschen sein.“
Der Altmeister übergeschnappter Visionen: Mc Luhan
Eine Welt, in der „Milliarden von Menschen“ mit aufgesetztem Headset umherstolpern – eine Weiterentwicklung jener schon heute beobachtbaren Mutanten, die ihr Nervensystem direkt dem Smartphone angeschlossen haben: jeder auf der Suche nach „seinen“ unbegrenzten Erfahrungen und Abenteuern? Die Mission von Oculus-Facebook ist das Design unserer Erfahrungen, möglichst total und möglichst nach Muster und Massgabe der Firma. Ist das nun eine Verheissung oder eine Drohung?
Eher ein Neuaufguss, wie das Meiste aus der kollektiven Infantilität von Silicon Valley. Der Altmeister übergeschnappter Technovisionen, Marshall McLuhan, sprach bereits 1969 in einem „Playboy“-Interview von einer Totalimmersion. Hier ein Ausschnitt:
MCLUHAN: Automatisierung und Kybernetik können eine wesentliche Rolle darin spielen, den Übergang in eine neue Gesellschaft zu ebnen.
PLAYBOY: Wie?
MCLUHAN: Der Computer könnte ein globales Netzwerk von Thermostaten kontrollieren, um das Leben in Richtung einer Optimierung des menschlichen Bewusstseins zu gestalten. Schon jetzt ist es technisch möglich, den Computer zum Programmieren von Gesellschaften in nützlicher Absicht zu verwenden.
PLAYBOY: Wie programmiert man eine ganze Gesellschaft – in nützlicher oder anderer Absicht?
MCLUHAN: Es ist überhaupt nicht schwierig, Computer in Positionen einzusetzen, wo sie fähig sein werden, das sensorische Leben einer ganzen Bevölkerung durch sorgfältig orchestriertes Programmieren zu leiten. Ich weiss, das klingt sehr nach Science Fiction, aber wenn man etwas von Kybernetik versteht, leuchtet einem ein, dass das heute möglich wäre. Der Computer könnte die Medien so programmieren, dass diese ihre Nachrichten nach den Bedürfnissen der Leser gestalten, und dadurch eine totale Medienerfahrung schaffen, die alle unsere Sinne absorbiert und prägt. Wir könnten fünf Stunden weniger Fernsehen in Italien programmieren, um die Leute dazu anzuhalten, während den Wahlen Zeitungen zu lesen; oder wir könnten in Venezuela 25 Stunden Fernsehen hinzufügen, um die Temperatur in den Volksgruppen abzukühlen, die im vorigen Monat durch Radiosendungen gestiegen ist. Durch ein solches orchestriertes Zusammenspiel aller Medien liessen sich jetzt ganze Kulturen dazu programmieren, ihr emotionales Klima zu stabilisieren und zu verbessern, genaus so, wie wir lernen, ein Gleichgewicht zwischen den konkurrierenden Weltwirtschaften einzurichten (sic).“ii
„Man wird nicht mehr arm und reich: beides ist zu beschwerlich. Wer will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich. Kein Hirt und eine Herde! Jeder will das Gleiche, jeder ist gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig ins Irrenhaus,“ spricht Nietzsches Zarathustra.