Doris Fiala hat am Sonntag als offizielle Wahlbeobachterin rund ein Dutzend Wahllokale in Kiew besucht. Sie bildete zusammen mit einem italienischen Abgeordneten des Europarats ein Zweierteam. Ihnen standen ein Auto mit Fahrer und eine lokale Übersetzerin, die sehr gut Englisch sprach, zur Verfügung. Fiala äussert sich am Montagmorgen per Telefon aus Kiew beeindruckt und bewegt von der seriösen Organisation in den besuchten Loakalen und vom Ernst und dem Engagement der Wähler, die in überwältigender Zahl ihre Stimme in jenen Wahllokalen abgegeben haben, die sie besucht hat.
Warten über zwei Stunden in der Wählerschlange
Die Wahlbüros in Kiew waren am Sonntagmorgen schon ab 7 Uhr bis 20 Uhr geöffnet. In einigen wurde bis um 1 Uhr 30 nachts gearbeitet, bis die letzten Stimmen – nach einem zeitlich aufwendigen, von Vertretern verschiedener Parteien mit verfolgten Prozedere – ausgezählt waren. Vor verschiedenen Wahlurnen aus durchsichtigem Plexiglas warteten die Stimmbürger geduldig bis zu zweieinhalb Stunden in der Schlange.
Jeder Wähler musste seinen Pass vorzeigen, dessen Nummer mit derjenigen auf der im Wahlbüro aufliegenden Wahlliste minutiös verglichen wurde. Auf der offiziellen Liste der Präsidentschaftskandidaten gab es 21 Bewerber, doch mehrere unter diesen hatten vor dem Urnengang ihre Kandidatur wieder zurückgezogen. Nach dem Eindruck von Doris Fiala haben in dem Wahllokaal, in dem sie die Stimmzettelauszählung verfolgte, um die 70 Prozent aller Stimmenden auf der Wahlliste den Namen des Favoriten Poroschenko angekreuzt.
In Kiew war das Auszählungsverfahren auch deshalb sehr zeitaufwendig, weil gleichzeitig noch die Stadtregierung gewählt wurde. Bei dieser letzteren Wahl ist nach vorläufig en Resultaten der frühere Boxweltmeister Witali Klitschko, der bei der Maidan-Bewegung eine bedeutende Rolle spielte, zum neuen Bürgermeister der Hauptstadt gewählt worden.
Vier Generationen in einer Blockwohnung
Doris Fiala hat am Wahltag im Rahmen ihrer Beobdachtermission auch ein Krankenhaus in Kiew besucht. Sie äusserte sich bewegt über die dürftigen Verhältnisse in dem Spital. Es mangle dort einfach an allem - an Medikamenten, Apparaten, Pflegepersonal.
Ebenfalls am Sonntag traf sie eine Familie in einem Kiewer Wohnblock, zu der man eine mobile Wahlurne brachte, weil die Grossmutter bettlägerig war und nicht mehr zum Wahlbüro gehen konnte. In der bescheidenen Wohnung leben laut ihrem Bericht vier Generationen zusammen. Die Tochter der bettlägerigen Frau sei in Tränen ausgebrochen, als die mobile Wahlurne in Begleitung zweier ausländischer Wahlbeobachter in ihre Wohnung gebracht wurde. Sie konnte es kaum fassen, dass Politiker von weither aus dem Westen Europas angereist waren, um sich um die Wahlen in ihrem schwer erschütterten und verarmten Land zu kümmern. Aber auch Frust über die düsteren Entwicklungen der letzten Jahre und Angst über die ungewisse Zukunft hätten diese Tränen wohl hervorgerufen, meint Doris Fiala.
Die Leitung der der Europarats-Delegation hatte beschlossen, aus Sicherheitsgründen keine Wahlbeobachter in die immer noch umkämpften Städte der Ostukraine zu schicken. Nach Informationen von Doris Fiala und laut Darstellung aus andern Quellen war es am Sonntag unter den 34 Millionen Wahlberechtigten rund 10 Prozent verwehrt, an der Päsidentenwahl teilzunehmen – entweder weil im Osten des Landes viele Wahllokale nicht geöffnet oder von militanten separatistischen Gruppen mit Waffengewalt bedroht wurden.
Respekt statt kleinliche Kritik
Beim Debriefing der OSZE-Wahlbeobachter, das am Montagmorgen in Kiew stattgefunden hat, hat laut Auskunft Fialas kein Beobachter in den observierten Wahllokalen nennenswerte Unregelmässigkeiten gemeldet. Die Europaratsabgeordnete und Nationalrätin plädiert entschieden dafür, im Spannungsfeld von strikter Legalität und pragmatischer Legitimität, das in einer jungen, ungefestigten, innerlich zerrissenen und von aussen zum Teil bedrohten Demokratie wie der Ukraine zweifellos existiere, sich nicht in der Pose des überlegenen Musterschülers aufs hohe Ross absoluter juristischer Buchstabentreue zu setzen. Mit andern Worten, Poroschenkos Wahl zum neuen ukrainischen Präsidenten sollte trotz der Misshelligkeiten im Osten des Landes im Ausland akzeptiert und respektiert werden.