Die Bill & Melinda Gates Foundation hat rund 30 Milliarden Dollar in Hilfsprojekte investiert. Es ist grossartig, dass der Mitbegründer von Microsoft und Milliardär Gates seinen Reichtum so einsetzt. Respekt. Ein typisch amerikanischer Optimist, der im jüngsten Jahresbericht seiner Stiftung behauptet, im Jahr 2035 werde es fast keine armen Länder mehr geben. Das ist bedenklich, weil die meisten von uns erleben werden, dass das natürlich reine Fantasterei ist.
Zum Beispiel Botswana
Neben China, Indien und Brasilien erwähnt Gates den Staat Botswana, der Anlass zu Optimismus gebe. Auch in Subsahara-Afrika hätten sich die Lebensumstände verbessert, die Lebenserwartung sei gestiegen, weniger Menschen litten Hunger.
Nach neusten erhältlichen Zahlen sind 24 Prozent der rund 2 Millionen Einwohner von Botsuana mit HIV infiziert, weltweit Platz zwei. Auf dem Human Development Index der UNO steht das Land auf Rang 119 von 187 Ländern, bei denen das überhaupt gemessen werden kann. 70 Prozent der Exporte machen Diamanten aus, die als Joint Venture vom botswanischen Staat und dem Giganten De Beers geschürft werden. Es besteht keine Schulpflicht, Kinderarbeit, vor allem von Aids-Waisen, ist abundant.
Nichts ist relativ
Natürlich geht es Botswana, wenn man es mit gescheiterten Staaten wie Süd-Sudan, Somalia, Kongo, Mali oder der Zentralafrikanischen Republik vergleicht, ziemlich gut. Vergleichsweise wenig rechtsfreie Räume, keine Warlords, keine marodierenden Banden mit Kindersoldaten, keine Flüchtlingsheere, kein abgrundtiefes Elend. Aber auch dieses Land bietet zurzeit nicht den geringsten Anlass für Optimismus, ausser man will gewaltig relativieren.
Subsahara-Afrika insgesamt ist zudem der einzige Halbkontinent der Welt, in dem laut allen erhältlichen Statistiken die Zahl der absolut Armen und der Hungernden zunimmt. Soweit das in gescheiterten Staaten überhaupt gemessen werden kann.
Nichts ist relativ; dass sich die Gates-Stiftung eine führende Stellung in der Entwicklung von Impfstoffen gegen Malaria, Gelbfieber usw. erarbeitet hat (die Globale Allianz für Impfstoffe und Immunisierung, GAVI, wird zu 75 Prozent von ihr finanziert), ist grossartig. Die GAVI ermöglichte insgesamt die Impfung von rund 300 Millionen Kindern. Wunderbar, ist das überhaupt relativierbar?
Köpft den Boten
Ein irischer Journalist und Afrika-Kenner, der kürzlich Somalia bereiste (und es überlebte), wagte folgende Analyse: Was nützt eigentlich die ganze Not- und Nahrungsmittelhilfe, mit der unbestreitbar Tausende von Kleinkindern vor dem Hungertod gerettet werden? Wenn die danach durch Mangelernährung zu mental gestörten Jugendlichen heranwachsen, als Kindersoldaten mit Kalaschnikows mangels anderer Zukunftsperspektiven die Bevölkerung terrorisieren und sich fortpflanzen, worauf dann die folgende und absehbare Hungersnot die nächste Nothilfe auslöst, durch die die nächste Generation von Kleinkindern heranwächst, usw.
Es ist nicht bekannt, ob sich dieser Journalist anschliessend noch in einem irischen Pub blicken lassen konnte, denn eine solche Schlussfolgerung ist natürlich ein Affront erster Güte gegen alle unsere humanistischen Gefühle, die uns eins ums andere Mal dazu verleiten, unsäglichem Elend, abgrundtiefer Misere und herzerweichender Brutalität nicht einfach ungerührt und tatenlos zuschauen zu können.
Unsere moralischen und ethischen Grundwerte verstellen uns den Blick auf die Schlussfolgerung, dass wir mit all unserer Hilfe der Geist sind, der stets das Gute will und stets das Schlechte schafft, um Goethe zu paraphrasieren. Es ist viel einfacher, den Boten der Nachricht zu köpfen und sich in der Illusion zu wiegen, dass damit die Nachricht aufhört zu existieren.
Schöne Worte
Eine Welt, die genügend Nahrungsmittel für alle Bewohner herstellt und in der trotzdem Hunger herrscht, ist ungerecht. Eine Welt, in der bis zu einem Drittel aller produzierten Nahrungsmittel weggeschmissen werden, ist krank. Eine Welt, in der wenige Inseln des allgemeinen Wohlergehens in einem Meer von Elend schwimmen, ist ausser Rand und Band.
Das ist alles wahr und unbestreitbar. Wenn sich aber der Financier und Gründer der bedeutendsten Wohltätigkeitsorganisation dieser Welt als Traumtänzer erweist, hat die Welt ein weiteres Problem. Nichts gegen amerikanischen Optimismus und «yes, we can». Aber wie sich am Beispiel des Friedensnobelpreisträgers und Drohnenkriegers Obama erweist: schöne Worte und hässliche Taten lassen sich problemlos miteinander verbinden.
Nichts wird besser
Gerne möchten wir den schönen Worten vertrauen und die Augen vor der hässlichen Realität verschliessen. Alles wird gut, «make poverty history», wunderbar. Erinnert sich noch jemand an Haiti? Stimmt, vor ziemlich genau vier Jahren gab es in diesem ärmsten Land Amerikas ein fürchterliches Erdbeben. 250'000 Tote, über eine Million Obdachlose.
In Scharen flogen Hilfsorganisationen ein, Multimilliarden wurden zugesagt (und zu einem kleinen Teil auch ausbezahlt), viele Hollywood-Stars und die üblichen Verdächtigen aus der Musikindustrie sahen ein neues Betätigungsfeld. Endlich ein Lichtblick im Elend.
Die bittere Realität ist: Bis heute wurden für die Million Obdachlose ganze 6000 Häuser gebaut. 90 Prozent aller Hilfsgelder landeten in den Taschen ausländischer Berater und Baufirmen. Nur 2,5 Prozent wurden direkt an die Opfer ausbezahlt. Aber wen interessiert denn heute noch Haiti? Wen wird morgen die Zentralafrikanische Republik oder Botsuana interessieren?