Vor etwas mehr als drei Wochen kündigte der Chef der Europäischen Notenbank (EZB), Mario Draghi, an, dass der Leitzins von lachhaften 0,15 auf lächerliche 0,05 Prozent gesenkt wird. Zudem stellte er weitere «Hilfsprogramme» in einem Volumen von bis zu 1000 Milliarden Euro in Aussicht. Und was ist seither passiert? Nichts.
Was ist Gratisgeld?
Da es schwer vorstellbar ist, dass der Treibstoff jeder kapitalistischen Wirtschaft umsonst zu haben ist, erläutern wir es mit einer Analogie. Nehmen wir an, Benzin sei gratis. Zudem wird eine Strafabgabe erhoben, wenn es nach dem Einfüllen zu lange im Tank schwappt. Die Auswirkungen einer solchen Politik würde man immerhin daran erkennen, dass der Privatverkehr zusammenbräche.
Bei Gratisgeld ist es aber fataler: Ist diese Absurdität bereits seit Längerem eingeführt, merkt man eben nichts. Nach der letzten Ankündigung Draghis gab es ein kleines Börsenfeuerwerk, und Besitzer von Immobilien, die sie mit Libor-Hypotheken finanzieren, freuten sich, dass sie mit diesem Wahnsinn fröhlich fortfahren können.
Aber die eigentlich geplante Wirkung, eine weitere Senkung des Leitzinses hat Auswirkungen auf das gesamte Zinsniveau, es sinkt, das ist ein Anreiz für Investitionen, der Wirtschaftsmotor fängt an zu brummen, Konjunktur, wir steigern das Bruttosozialprodukt – nichts ist.
Schlimmer geht’s immer
Während grossartig verkündet wird, dass für den Euroraum völlig unerhebliche Volkswirtschaften wie die Griechenlands angeblich «positive Signale» erkennen lassen, also ein höchstwahrscheinlich schöngerechnetes klitzekleines Wirtschaftswachstum, können sich die beiden grossen Kranken, Italien und vor allem Frankreich, zurücklehnen. Frankreich verkündete bereits, dass es auch in den nächsten Jahren nicht gedenkt, die Maastricht-Kriterien, keine Neuverschuldung über 3 und keine Staatsschulden über 60 Prozent des BIP, einzuhalten. Das brachte dem neuen Premierminister bei seinem Antrittsbesuch bei Mutti Merkel einen strengen Blick und herabgezogene Mundwinkel ein, aber auch nicht mehr.
Der Wirtschaftskolumnist Wolgang Münchau bringt es mal wieder auf den Punkt: «Firmen wollen keine Kredite, sie wollen Nachfrage.» Und Banken wollen auch keine Kredite, um sie an die Wirtschaft weiterzugeben, sondern höchstens, um damit alte Kredite abzulösen und ihre Bilanzen zu verbessern. Oder ganz einfach: Wir haben es mit einem Nachfrage-, keinem Angebotsproblem zu tun. Wenn nicht genügend Nachfrage vorhanden ist, dann werden keine Investitionen getätigt, weil sie keine Rendite versprechen.
Weiter im Wahnsinn
Da es selbst Draghi klar ist, dass eine kosmetische Senkung des Leitzinses von fast Null auf eigentlich Null nun wirklich nichts bringt, kommt zudem das «Hilfsprogramm» ins Spiel. Aber wem soll wie geholfen werden? Da die Notenbank schon tut, was sie niemals tun dürfte, nämlich Staatsschuldpapiere garantieren, könnte sie auch tun, was sie ebenfalls niemals machen sollte. Direkt Geld in der Wirtschaft, also an Unternehmen, verteilen.
Man könnte dafür zum Beispiel den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) verwenden. Der war zwar ursprünglich dafür gedacht, überschuldete Mitgliedstaaten durch Notkredite und Bürgschaften vor Zahlungsunfähigkeit zu schützen. Aber das ist ja eigentlich auch verboten, also was soll’s. Es müssen ja immer nur Transmissionsriemen gefunden werden, mit deren Hilfe man etwas tun kann, was eigentlich per Todesstrafe untersagt ist.
Aber das ist nicht mal das eigentliche Problem. Viel schlimmer ist: Es nutzt nichts. Wenn der Tank dank Gratisbenzin voll ist, aber trotz Strafabgaben nicht geleert werden kann, weil alle Strassen verstopft sind, dann nützt das Angebot, man muss nicht mal zur Tankstelle fahren, Benzinkanister werden zur Garage geliefert, auch nichts mehr.
Der alte Friedman
Diversen Wirtschaftsanalysten kommt da automatisch der gute alte Monetarist Milton Friedman in den Sinn. Wohl kaum jemand sonst hat so vertieft über den Zusammenhang zwischen Geldmenge und Wirtschaft nachgedacht wie der Nobelpreisträger. Er machte sich schon früh unbeliebt, indem er konstatierte, anderer Leute Geld für andere ausgeben, was vornehmlich der Wohlfahrtsstaat mache, sei die Ursache für den Verfall der westlichen Industrienationen.
In der Euro-Union wird das auf überstaatlicher Ebene wiederholt. Können kleine Mitglieder wie Griechenland oder grosse wie Frankreich und Italien auf überfällige Strukturreformen verzichten, weil sie die Folgen ihrer verfehlten Politik auf übergeordnete Zahlmeister, also EZB und als «last man standing» Deutschland abwälzen können, nützt noch so absurdes Zuschütten mit Neugeld und die Übernahme von Schuldengarantien überhaupt nichts.
Aber Friedman fand auch ein schönes Bild für das, was Draghi und die EU zurzeit machen. Es ist unter dem Namen «helicopter drop» in die Geschichte eingegangen, die aber wohl weder an der HSG noch an einer anderen Kaderschmiede für Volkswirte gelehrt wird. Friedman schlug nämlich vor, dass man zur Bekämpfung von Deflation, und vor diesem weiteren Schreckgespenst steht ja die Eurozone, etwas ganz Einfaches unternehmen könne.
Man belädt Helikopter mit Geldnoten und wirft sie einfach ab. Da Geld bekanntlich gratis ist, braucht es doch wirklich keine dummen Formalien wie Schuldverträge, Rückzahlungsvereinbarungen und ähnlichen Unsinn mehr. Die Aufforderung genügt: «Bringt’s dann irgendwann mal wieder zurück, wenn ihr’s nicht mehr braucht.» Beziehungsweise nicht mehr ausgeben könnt.