Wenige Tage zuvor hatte sich die Partei der Generäle, die Union der Solidarität und Entwicklung (USDP), zur Siegerin der vor einer Woche abgehaltenen Wahlen erklärt. In den vom Westen als „Farce“ bezeichneten ersten Parlamentswahlen seit 1990 punktete allerdings, wenn auch nur in kleinem Ausmass, die demokratische Opposition. Die Generalität fühlte sich offenbar in ihrem Kurs bestätigt und entliess Aung San Suu Kyi aus dem Hausarrest.**
Die Nachricht von der Freilassung der „Lady“, wie Aung San Suu Kyi respektvoll genannt wird, verbreitete sich im ganzen Land in Windeseile. In Mittel-Burma unterwegs, zeigten die ansonsten in politischen Fragen gegenüber Ausländern extrem zurückhaltenden Menschen offen ihre Freude. Die Reaktionen zeigen, dass die Tochter des kurz vor der Unabhaengigkeit 1947 ermordeten Nationalhelden Aung San dank ihres Einsatzes bei den Demonstrationen für Demokratie 1988, ihres Wahlsieges 1990 und wegen ihren langen Jahren in Gefangenschaft eine hohe moralische Kraft und Autorität geblieben ist. Ein lokaler Regierungsbeamter in einem Aussenbezirk von Sagaing meinte, es sei ein grosser Tag. Die Hoffnung auf Dialog und Zusammenarbeit sei wieder da. „Myanmar hat das politisch, sozial und vor allem auf wirtschaftlich bitter nötig“, sagte er.
Genau diesen Ton schlug Suu Kyi in Yangon in ihrer ersten Rede vor Tausenden von begeisterten Anhängern – und einigen zivilen Geheimdienstlern – vor dem Hauptquartier der wegen Wahlboykotts aufgelösten Nationalen Ligar für Demokratie (NLD) an. „Wenn wir unsere Kraft richtig einsetzen, kann sie niemand brechen“, rief sie aus. „Mut bedeutet, dass wir uns beharrlich für das einsetzen, woran wir glauben. Mut bedeutet nicht, seine physische Kraft einzusetzen und laut zu werden“, sagte Suu Kyi. Unter frenetischem Applaus rief sie: „Ihr dürft nicht aufgeben“.
Ändert sie ihren Kurs?
Die Friedensnobelpreisträgerin machte an der öffentliche Rede sowie danach an einer Presskonferenz klar, dass sie ihren bis anhin vertretenen kompromisslosen Konfrontationskurs im Lichte neuer Realitäten verändern koennte. Sie, die sich zum Beispiel immer vehement für die von der EU und den USA verhängten Wirtschaftssanktionen stark machte, sagt jetzt, dass sie willens sei, mit dem Westen wegen der Aufhebung von Sanktionen in einen Dialog zu treten. „Wenn das Volk wirklich will“, so vorsichtig die „Lady“, „dass die Sanktionen aufgehoben werden, werde ich das in Betracht ziehen“. „Burma braucht Hilfe“, formulierte Suu Kyi knapp, und zwar von westlichen und östlichen Staaten, „von der ganzen Welt“.
Auch innenpolitisch setzte Suu Kyi Zeichen. Seit nämlich im Frühjahr die NLD, deren Generalsekretärin sie ist, sich gegen eine Teilnahme an den Wahlen ausgesproche hat, ist die demokratisch Opposition gespalten. Jüngere NLD-Mitglieder gründeten die Neue Demokratische Kraft (NDF) und erzielten an den von den Generälen manipulierten Wahlen einen Achtungserfolg. Jetzt setzt sich Suu Kyi fuer einen umfassenden Dialog ein. Sie sei willens, „Hand in Hand mit andern demokratischen Kräften zusammenzuarbeiten“.
Die Bereitschaft zum Dialog geht aber noch weiter. Suu Kyi ruft zur „Nationalen Aussöhnung“ auf. Dass kann vieles bedeuten. Im burmesischen Kontext heisst das sicher Dialog mit den Militärs und Dialog mit den zum Teil abtrünnigen Nationalitäten. „Alles“, formuliert es programmatisch die eben befreite Demokratie-Ikone, „beginnt mit Dialog“.
Kein Anlass für Illusionen
Im Westen allerdings sollte man sich keine Illusionen machen. Der Weg hin zu mehr Offenheit, Transparenz und zu einem wahrhaften Dialog ist lang und beschwerlich. Noch sitzen ueber 2000 politische Gefangene hinter Schloss und Riegel. Zudem ist die Generalität ohne Zweifel gestärkt aus den Wahlen hervorgegangen.
Sowohl im demokratischen Lager als auch bei den Militärs ist zudem ein Generationenwechsel im Gange. Das braucht Zeit. Die jüngeren, besser ausgebildeten Offiziere könnten durchaus bereit sein, zum Wohle der Bevölkerung eine vernünftigere Wirtschaftspolitik voranzustreiben, nach dem Vorbild des grossen Nachbarn China zum Beispiel. Jüngere Kräfte der demokratischen Opposition andrerseits müssen sich Schritt für Schritt für Machbares und nicht Maximalpositionen einsetzen. Für einen solchen Prozess in den nächsten Monaten und Jahren ist aber die moralische Autorität von Aung San Suu Kyi unabdingbar.
Schon Suu Kyis Vater, Ikone des Unabhängigkeitskampfes gegen die Briten und bis auf den heutigen Tag auch bei den Militärs ein Nationalheld, meinte 1947: „Wir müssen die Demokratie zum populären Kredo machen und versuchen, in Übereinstimmung mit ihren Grundsätzen ein freies Burma aufzubauen. Wenn wir dies versäumen, wird unser Volk leiden“.
Ganz im Sinne ihres Vaters sagte Suu Kyi am Sonntag: „Demokratie heisst, dass das Volk die Mächtigen, die Regierung kontrolliert. Deshalb akzeptiere ich, dass das Volk auch mich kontrolliert“.
Mit der Freilassung von Aung San Suu Kyi, aber auch mit den Wahlen hat sich – wenn nicht alles täuscht – für Burma etwas grundlegend geändert.