Die Zeichen stehen auf Sturm. Zwar berichten iranische Medien, dass die iranische Führung den USA mitgeteilt habe, dass das Ausmass der angekündigten militärischen Massnahmen heruntergeschraubt werden müsse. Dennoch wird das Regime in Teheran mit Sicherheit ein militärisches Zeichen setzen. Und sei es nur, um gegenüber den Hardlinern im System nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Das Regime in Teheran befindet sich in einer unangenehmen Lage: Einerseits muss es nach dem israelischen Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus mit dem Säbel rasseln, um die Kontrolle über die al-Quds-Einheiten und seine Verbündeten in Syrien und im Irak zu behalten. Untätigkeit nach vollmundig angekündigter Vergeltung würde die Glaubwürdigkeit des Regimes vor allem bei den Proxies weiter erschüttern.
Zudem wächst in Iran die Bedrohung durch den ultrareligiösen «Islamischen Staat» und die belutschischen Separatisten, letztere vor allem in Gestalt der «Armee der Gerechtigkeit», die derzeit sogar «befreite Gebiete» im Südosten Irans geltend macht.
Im iranischen Establishment gibt es nicht wenige, die den al-Quds-Flügel der Revolutionsgarden mit ihrem militanten Messianismus lieber heute als morgen untergehen sähen. Denn sie sind überzeugt, dass der imperiale Expansionismus, den die al-Quds-Verbände im nahöstlichen Ausland für sich reklamieren, die Existenz der Islamischen Republik samt ihrer Pfründeordnung gefährdet.
Ob?
Ob nun ein Sturm losbricht, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Wie stark sieht Israel seine Sicherheit konkret bedroht? Handelt es sich bei einer militärischen Reaktion Irans um reine Vergeltung oder ist sie in ein strategisches Konzept eingebettet? Sieht sich Israel zu einem präventiven Angriff auf iranische Raketenstellungen gezwungen? Diese Fragen lassen sich nach dem heutigen Kenntnisstrand nicht seriös beantworten. Immerhin kann aus vergangenem Geschehen abgeleitet werden, dass die iranische Führung ihre ideologischen Zielsetzungen im nahöstlichen Konflikt nicht vom partikularen Interesse seiner Proxies abhängig machen will. Weder Hamas, mit der seit etwa 2015 eine Interessensallianz besteht, noch Hizbullah in Libanon oder die Huthis im Jemen können damit rechnen, dass Iran ihre Militanz bedingungslos unterstützt. Unterstützung gewährt Iran dann, wenn es seinen primären messianisch-nationalistischen Zielsetzungen zweckdienlich ist.
Die Brisanz der aktuellen Situation ergibt sich dadurch, dass aus iranischer Sicht die Interessenslage der Proxies und die Irans seit dem Damaskus-Angriff zu verschmelzen beginnen. Das leitende Dogma des Systems der Islamischen Revolution in Iran ist ein politischer Messianismus, der der Wegbereiter für die Wiederkehr des Entrückten 12. Imams sein soll. Teil des Mythos um dessen Rückkehr ist die endzeitliche Auseinandersetzung zwischen dem Künder der Endzeit und dem Antichristen, die in Syrien und Jerusalem stattfinden wird. Der imperiale Nationalismus Irans hat so eine legitimatorische Komponente in einem auf Jerusalem bezogenen Messianismus. Hier treffen sich jetzt die Interessen Irans und die der ultranationalistischen Verbände in Palästina.
Wo?
Befürchtet wird ein Angriff auf eine militärische Einrichtung im Norden oder Süden Israels. Aber auch ein Angriff auf eine israelische Einrichtung im Ausland wird für möglich gehalten. Strategisch macht das alles keinen Sinn. Iran hat sich in eine schwierige Lage manövriert, und das Regime weiss, dass es ein «All in» möglichst vermeiden muss. Deshalb dürften auch diesmal die iranischen Proxies im Libanon (Hizbullah), in Syrien (gewisse Milizen des Regimes), im Jemen (Huthi aka Ansarullah) und im Irak zum Zuge kommen. Es ist aber auch nicht auszuschliessen, dass das iranische Regime eine direkte Beteiligung seines Militärs von Iran aus in Erwägung zieht.
Wann?
Der Zeitpunkt eines möglichen militärischen Vorgehens Irans bleibt rätselhaft. Westliche Zeitungen greifen von Iran gezielt gestreute Gerüchte auf, der Angriff würde in den nächsten Tagen erfolgen. Allerdings gab es auch Überlegungen, dass die iranische Führung die Androhung eines Militärschlags in den Kontext einer möglichen Rafah-Offensive der IDF stellen würde. Würde es dem Regime gelingen, mit dieser Drohung eine Offensive in Rafah zu verhindern, hätte es einen politischen Erfolg verbuchen können. Dies erklärt, warum Iran keinen festen Termin nannte. Allerdings: Netanjahus Ankündigung, der Termin für die Gaza-Offensive stehe fest, könnte die iranische Führung veranlasst haben, ebenfalls einen Termin über indirekte Kanäle zu verbreiten. Nun hat aber der Verteidigungsminister Joav Galant Netanjahus Terminankündigung revidiert, was bedeuten könnte, dass auch die iranische Seite noch abwartet. Dass das Regime dennoch eine Terminankündigung durchsickern liess, lässt erahnen, dass das Regime sein «strategisches Abwarten» nicht mehr lange aufrechterhalten kann.
Mit wem?
Auch die iranische Führung in Teheran weiss, dass ohne eine enge Abstimmung mit Irans Verbündeten im Nahen Osten das Land im Worst Case, dem offenen Krieg zwischen Iran und Israel, auf verlorenem Posten stünde. Der iranische Aussenminister Abdollahian reiste nach dem Angriff auf das Konsulat nach Syrien, um seinen Alliierten enger an sich zu binden. Doch hier kollidiert Irans Machtgefüge mit den Interessen Russlands, Syrien gänzlich seinem Protektorat zu unterstellen und zum Schauplatz seiner eigenen imperialen Kriegspolitik zu machen.
Seit dem Putin-Assad-Treffen auf dem russischen Stützpunkt bei Latakia zeichnet sich eine Verschiebung im Allianzgefüge zuungunsten Irans ab: Der syrische Diktator Assad hat Generalmajor Suhail al-Hassan, Spitzname «der Tiger», zum Kommandeur der Spezialkräfte und Generalmajor Saleh Abdullah zu seinem Nachfolger als Kommandeur der von Russland unterstützten 25. Division ernannt. Der Kriegsverbrecher al-Hassan gilt als enger Vertrauter der russischen Militärführung und ist mitverantwortlich für die mörderische Fassbombenstrategie, mit der die russische und die syrische Luftwaffe Ostaleppo in Schutt und Asche gelegt haben. Dies deutet an, dass Russland immer grössere Teile des syrischen Sicherheitsapparats kontrolliert und sich auch iranische Kommandostrukturen unterstellt. Inzwischen haben russische Truppen die Kontrolle über 14 Militärposten entlang der Grenze auf den Golanhöhen übernommen; einige dieser Stellungen waren von Hizbullah oder wohl auch iranischen Einheiten besetzt.
Dieser Prozess spiegelt eine schleichende Distanzierung Russlands von Iran, die auch vom syrischen Regime übernommen wird: So wurden auf der Demonstration anlässlich des eigentlich iranischen al-Quds-Tags im ehemaligen Flüchtlingslager Yarmouk/Damaskus diesmal keine Portraits der iranischen Führung gezeigt.
Und dann?
Was auch immer Iran unternimmt, es wird in erster Linie Folgen für das Land selbst haben. Je nach Ausmass des zu erwartenden Angriffs wird es israelische Angriffe direkt auf iranische Stützpunkte geben, und diesmal nicht nur in Syrien und im Irak, sondern auch in Iran selbst, wenn der Angriff direkt aus dem Iran kommen sollte. Ob die Lage im Nahen Osten dann noch beherrschbar ist, muss bezweifelt werden. Schliesslich ist davon auszugehen, dass eine iranische Reaktion mit der russischen Führung besprochen wurde und wird und der Militärschlag nur mit impliziter oder (man wird sehen) expliziter Billigung Moskaus erfolgen wird. Denn auch Moskau weiss: Sollte es wirklich zu einer militärischen Konfrontation zwischen Iran und Israel kommen, kann Russland ebenso wenig neutral bleiben, wie die USA Israel unterstützen werden. Um dies zu verhindern, müssten die USA und Russland eine separate Nahost-Diplomatie entwickeln, die eine solche Eskalation verhindert. Diese Kooperation hat sich zwar in Syrien bewährt, aber es ist fraglich, ob sie auch im Nahen Osten zur Deeskalation beitragen kann.