Humpty-Dumpty hat unter anderem die Angewohnheit, seinen Idiolekt, also seinen individuellen Sprachgebrauch diktatorisch zur allgemeinen Norm zu erheben. Hier ein kleiner Ausschnitt.
„Was für eine Blüte!“ (sagte Humpty Dumpty.)
„Ich verstehe nicht, was Sie mit ‚Blüte’ meinen,“ sagte Alice.
Humpty Dumpty lächelte abfällig. „Natürlich verstehst du das nicht, solange nicht, bis ich es dir erkläre. Ich meinte: ‚Was für eine nette überzeugende Darlegung’!“.
„Aber ‚Blüte’ bedeutet doch gar nicht ‚nette überzeugende Darlegung’“ wandte Alice ein.
„Wenn ich ein Wort verwende,“ sagte Humpty Dumpty nun ziemlich gereizt, „dann bedeutet es genau das, was ich will – nicht mehr und nicht weniger.“
„Es ist nur die Frage,“ sagte Alice, „ob Sie Wörter einfach so sehr Unterschiedliches bedeuten lassen können.“
„Es ist nur die Frage,“ sagte Humpty Dumpty, „wer hier das Sagen hat – so sieht’s aus.“
Alle gegen die Mehrheit
Humpty-Dumpty hat einen gelehrigen Schüler in der Schweiz. Er ist Politiker. Er erfindet zum Beispiel die Logik neu, indem er die Wörter „alle“ und „Mehrheit“ auf geschickte Weise so umdefiniert, dass auf einmal „alle“ gegen „die Mehrheit“ sind. „Alle“ Schweizer sind nicht alle Schweizer, sondern nur jene, die „Rang und Namen haben“, also die „Elite“ und die „Classe politique“. Die „Mehrheit“ ist das „Schweizervolk“, aber nicht das ganze, sondern nur jener Teil, der von der Partei besagten Politikers repräsentiert wird, das heisst, die „rechte“ Gesinnung hat. 70 Prozent der Schweizer wählen diese Partei zwar nicht, dennoch beansprucht sie, „Volkes“ Stimme zu sein. Und weil „alle“ angeblich immer weniger auf diese Stimme hören, unkt der Politiker, dass sich das Land zu einer Diktatur (von „allen“?) entwickle. Die Schweiz besteht also mehrheitlich aus Schweizern, die aber nicht die Mehrheit sind, weil alle gegen sie sind. Alles klar?
Im Englischen spricht man von „Humptydumptying“, also von einem Sprachgebrauch, der eigenmächtig übliche Wörter zu ganz bestimmten Zwecken zurechtbiegt. Zum Glück gibt es Plattformen, welche diesen semantischen Hokuspokus entzaubern, wie etwa die Website http://www.politifact.com in den USA oder neuerdings in der Schweiz http://geschichtedergegenwart.ch. Sie sind wichtig, denn die Humpty-Dumptys dieser Welt sind überall zugange, und zwar nicht bloss in wirklichen Diktaturen, sondern auch in Ländern, die sich als demokratisch brüsten. Demokratien haben immerhin den Vorzug, dass sie erlauben, mit dem Finger auf die Humpty-Dumptys zu zeigen. Das ist umso nötiger, je weiter sie das Maul aufreissen.