Die dreistündige Feuerpause die das russische Verteidigungsministerium versprach, ist nicht eingetreten. Es war von Beginn an unklar, ob diese Zusage nur für die russischen Militärs galt oder auch für die Streitkräfte Asads. Die Hilfswerke der Uno erklärten von vornherein, drei Stunden seien ungenügend, um die Millionenstadt zu versorgen. Eine Pause von 48 Stunden sei ein unumgängliches Minimum. In der Praxis kam es dann nicht einmal zu der dreistündigen Feuerpause. Die Beschiessungen dauerten an, und die Kämpfe wurden nicht unterbrochen.
Die Wasserversorgung ist zusammengebrochen. Dies ist noch kritischer als der beginnende Nahrungsmangel. Der Durst wird immer mehr Menschen, darunter in erster Linie die Kinder, dazu treiben, unreines Wasser zu trinken. Infektionen werden rasch um sich greifen. Die Spitäler sind zerstört. Die Kinder werden zuerst sterben, dann die Erwachsenen.
Verbissene Kämpfer auf beiden Seiten
Die Kämpfer auf beiden Seiten sind dermassen von ihrem Krieg besessen, dass sie sich wenig um das Schicksal der Zivilisten kümmern. Beide Konfliktparteien werden sich damit begnügen zu erklären, die Gegenseite trage die Schuld, da sie ja den Vernichtungskrieg fortsetzen wolle.
Den Rebellenkämpfern war ein Durchbruch gelungen in der Region Ramoussa an der nordwestlichen Ecke von Ost-Aleppo. Am 7. August vermochten sie an jener Stelle den Belagerungsring zu sprengen, den die Asad-Armee und ihre Hilfskräfte – Hizbullah, Iraner, von den Iranern mobilisierte afghanische Söldner, irakische Schiiten und die russische Luftwaffe, wahrscheinlich auch russische Artillerie und Panzer – um Ost-Aleppo gelegt hatten.
Die wichtigste Macht, welcher der Durchbruch gelang, waren die Kämpfer der Nusra-Front, die nun Eroberungsfront heisst. Sie kamen von ausserhalb des Belagerungsrings aus der von ihnen beherrschten Provinz Idlib und kämpften koordiniert mit allen anderen Rebellengruppen inner- und ausserhalb des Belagerungsrings. Unter ihnen waren auch jene, die von den Amerikanern geprüft und als „gemässigt“ eingestuft waren, und deshalb über die CIA Hilfe aus der Türkei erhielten.
Verfrühte Freude
Der Durchbruch wurde von den Zivilisten in der belagerten Stadt enthusiastisch gefeiert. Doch die Luftwaffen der Russen und Asads nahmen sowohl die entstandene Öffnung wie auch die Wohnquartiere dahinter unter Dauerbombardierung. Nennenswerte Mengen an Vorräten kamen nicht durch. Die Nusra-, beziehungsweise nun Eroberungs-Kämpfer erklärten, sie wollten auch den von der Regierung beherrschten Teil der Grossstadt im Westen isolieren und dann ganz Aleppo „befreien“. Zu diesem Zweck hätten sie eine zweite Offensive weiter nördlich im Raum von Handarat begonnen, die darauf ausgehe, die letzte Verbindung der Weststadt von ihrem von Asad beherrschten Hinterland abzuschneiden.
Ob ihnen dies gelingen wird, ist sehr fraglich. In den Ruinen der Stadt können die Kämpfer des Widerstands und die islamistischen Gruppen sich vor den angreifenden Kampfflugzeugen verbergen und die Bombardemente überdauern. Im offenen Gelände im Umfeld der Stadt hingegen nehmen die Schutzmöglichkeiten rasch ab. Selbst kleine Kampfgruppen von wenigen Einzelpersonen und Fahrzeugen werden zu Zielen der Raketen der Kampfflugzeuge und Helikopter.
Hauptleitungen zerstört
Im Laufe der Bombardierungen intensivster Art und der Kämpfe am Boden sind offenbar die Hauptleitungen der Wasserversorgung, die in beide Stadtteile führen, beschädigt worden. Notreparaturen könnten in 48 Stunden durchgeführt werden. Doch die gewährten drei Stunden erlauben es nicht einmal, die notwendigen Werkzeuge und Mannschaften zu sammeln und an die Hauptbruchstellen der zerschossenen Rohrleitungen zu bringen.