Ab Sommer 2019 sollen hier in der Entlebucher Gemeinde Hasle die ersten 25 Schüler das erlernen, was die Quintessenz einer grossen Küche ausmacht: perfektes Handwerk, gemixt mit Philosophie, Kunst, Produktekenntnis und Ernährungswissen.
Die Ausgangslage tönt nicht gerade spektakulär: Für das Ferienheim der Ingenbohler Schwestern in Heiligkreuz im Entlebuch soll eine Nachfolgenutzung gefunden werden. Was der Verein „Chance Heiligkreuz“ und der Schweizer Kochverband dort gemeinsam planen, soll jedoch ein ganz grosser Wurf werden: Mitten in einer zum Unesco-Weltschutzerbe zählenden Biosphäre soll in zwei Jahren die weltweit erste Akademie für Kochkunst und Kochwissenschaft ihre Tore öffnen.
Vom Entlebuch sollen sie dann in die Welt hinausgehen: Köche, die nicht vor allem Manager von Grossküchen sind, sondern grossartige Handwerker, Philosophen, Künstler. Köche wie der Schweizer Koch des Jahres 2015, Nenand Mlinarevic vom Parkhotel Vitznau, Tanja Grandits, die Kräuterköchin von Stuckis in Basel, Heinz Reitbauer, der beste Koch Österreichs, oder Stefan Wiesner, der „Hexer“ vom Rössli in Eschholzmatt.
Starköche als Botschafter
Alle sind sie bereits heute, in der Planungsphase, Botschafter dieses einzigartigen Kochakademie-Projekts hinter welchem der Bund ebenso steht wie Wissenschaftler, Künstler und Fachspezialisten. Allen voran Stefan Wiesner, in dessen mit 17 Gault-Millau-Punkten ausgezeichneten archaischen Naturküche auch einmal Pralinen aus erdfrischem Torf serviert oder Baumrinde zu nie zuvor gekannten Gerichten verarbeitet werden.
Wiesner war es gewesen, der bereits 2013 die Idee hatte, im Entlebuch die erste Fachschule der Welt für Kochkunst zu eröffnen in welcher nicht vor allem Betriebswirtschaft und Küchenmanagement gelehrt werden sollen, sondern „dass Kochen Ethik ist, Ökologie, Kultur, Architektur, Ästhetik und Kunst, vor allem aber Wissen und Können“.
Keine Matur, dafür Leidenschaft
Nur folgerichtig deshalb, dass die geplante „Höhere Fachschule Kochkunst und Kochwissenschaft“ keine Matura zur Aufnahmebedingung machen will, sondern lediglich eine abgeschlossene Kochlehre, dafür aber jene Leidenschaft fürs Kochen, die die ganz Grossen der Zunft auszeichnet. Ferrand Adrià war Tellerwäscher bevor sein El Bulli zum besten Restaurant der Welt gekürt wurde. Der 34-jährige Nenad Mlinarevic, der 2015 Schweizer Koch des Jahres war, sagt: „Von dem Moment an, als ich zum ersten Mal in einer Küche stand, wollte ich Koch werden. Und ich bin nichts mehr, aber auch nichts weniger als ein Koch.“
„Wiesner war seiner Zeit vor einigen Jahren wahrscheinlich zu weit voraus, wie in so vielem“, sagt Andreas Fleischlin, Geschäftsführer des Schweizer Kochverbands und mit diesem heute federführender Koordinator des weltweit einzigartigen Fachschulprojekts. Er führt weiter, was Wiesner damals angedachte hatte, und die beiden streiten nicht einen Augenblick darüber, wer die Idee geboren hat, sondern wissen dass es diese Schule ohne sie beide zusammen wohl nie geben würde.
Noch steht die Finanzierung nicht, doch man ist mit einem Käufer/Mäzen im guten Gespräch. Und noch ist nicht einmal vertraglich festgeschrieben, dass das Ferienheim Heiligkreuz auch tatsächlich dereinst Schulstandort werden wird. Doch die Vorarbeiten laufen so reibungslos, dass der Verein Chance Heiligkreuz, in welchem Behörden, Region und alle wichtigen Institutionen eingebunden sind, bereits heute auf seiner Homepage schreibt: „In diesem grossen Gebäude mitten in der voralpinen Natur wird das schweizerische Kompetenzzentrum in Kochkunst und Kochwissenschaft verwirklicht.“
Wirtschaftlicher Druck gross
Auf der anderen Seite wird das Schulische auf allen Ebenen vorangetrieben: Im November war Kick-off für das Teilprojekt „Rahmenlehrplan Koch-Akademie Heiligkreuz“: Über 40 Fachleute trafen sich zur ersten Projektsitzung in Luzern, unter ihnen Alchemisten, Sensoriker, Wissenschaftler, Berufskundelehrer und Fachspezialisten.
„Das Handwerk Kochen leidet unter dem starken wirtschaftlichen Druck“, sagt Projektleiter Fleischlin, „wir wollen Köchen die Grundlagen bieten, um ihre ganz eigene Kochphilosophie und ihren eigenen Kochstil entwickeln zu können. Die Zeiten sind leider vorbei, wo Köche in der Welt herumreisen oder jahrelang Saisonstellen annehmen und dabei grosse Küchenchefs und deren Kochphilosophien kennen lernen konnten.“
Die Ausbildung wird ganz unten beginnen, zum Beispiel mit dem Kochen auf einem offenen Feuer, wie vor Jahrhunderten, und ganz oben enden, bei den neuesten Techniken. „Erst wer alles weiss und alles kennt und alles ausprobiert hat, kann zu einem ganz eigenen Stil finden“, sagt Fleischlin, „und dazu gehören eben auch an sich branchenfremde Fächer wie Philosophie, Kunst, Storytelling usw.“
Kein Bachelor, kein Master
Wer dereinst nach zwei Jahren Vollzeit-Ausbildung den Campus der Koch-Akademie Heiligkreuz verlässt, wird so das Rüstzeug haben, um eine ganz eigene Küche zu entwickeln und einen eidgenössischen Fachausweis in HF Kulinarik, aber keinen Bachelor oder Master in der Tasche haben; diese bleiben den klassischen Hotelfachschulen in Luzern, Thun, Zürich und Lausanne vorbehalten, welche vorab künftige Hoteliers und Betriebsleiter ausbilden.
In der Kochkunst-Akademie Heiligkreuz werden somit auch Schüler Platz haben, für welche Buchhaltung ein Gräuel ist, die jedoch in der Natur draussen die Nahrungsmittel suchen wollen, mit denen sie Neues, Einzigartiges kreieren können. „Damit wollen wir ganz klar dazu beitragen, dass nicht mehr so viele gelernte Köche in andere Berufe abwandern“, sagt Andreas Fleischlin. „Klar müssen sie kalkulieren und rechnen können, klar müssen sie eine Planung einer Speisekarte perfekt beherrschen, dies alles aber eingeschlossen ins ganzheitliche Handwerk.“
Die Kochkunst-Akademie Heiligkreuz wird also nicht von ungefähr mit Unterstützung der Hotel & Gastro Union, dem Dachverband der Schweizer Gastronomie-Berufsverbände, realisiert. Mit einem Architekturwettbewerb will man in einem nächsten Schritt namhafte Architekten ansprechen und 2017–2018 mit dem Umbau starten. Aktuell gehören das Erholungsheim der Kurzone und der Rest der Parzelle der Landwirtschaftszone an. Gemäss Bruno Schnider, Gemeindepräsident von Hasle, ist der Kanton offen für eine Umteilung in die Sonderbauzone. Die Bevölkerung wird im Frühling 2017 darüber abstimmen.