Alberto Giacometti (1909–1966) und Francis Bacon (1909–1992) gehören zweifelsfrei zu den bedeutendsten Künstlern, die nach 1900 geboren wurden. Ihr Menschenbild prägte ein Jahrhundert. Sie haben sich gut gekannt und gegenseitig geschätzt. Die Fondation Beyeler in Riehen besitzt wesentliche Werke beider Künstler. All das legt eine Doppelausstellung, die mit den prominenten Namen punkten kann, nahe, zumal die Stiftung sich dank weitläufiger Beziehungen auch Zugang zu wichtigen Leihgaben verschaffen kann – im Falle dieser Ausstellung, was Bacon betrifft, aus grossen Museen und Privatsammlungen in Europa und in den USA. Die Werke von Giacometti, die den Weg nach Riehen fanden – darunter zahlreiche Gips-Skulpturen –, stammen fast ausnahmslos aus der Fondation Giacometti in Paris. Deren Leiterin Catherine Grenier, Ulf Küster von der Fondation Beyeler und der englische Bacon-Spezialisten Michael Peppiatt kuratierten die Ausstellung gemeinsam.
Mitten ins Thema
Die Schau umfasst rund hundert Werke und führt gleich zu Beginn wirkungsvoll mitten ins Thema: In einem Raum begegnen sich Giacomettis „Le Nez“ von 1947 bis 1949, ein in einen aus Metallstäben gebildeten Kubus gehängter Kopf mit überlanger, ins Leere stechender Nase, und Bacons zur gleichen Zeit entstandene Malerei „Head VI“, das Brustbild eines Kardinals oder Bischofs mit zum Schrei geöffnetem Mund, den Bacon ebenfalls in einen aus feinen Linien gebildeten Kubus setzt. Tatsächlich haben Giacometti und Bacon ihren Figuren immer wieder mittels solcher Gerüste oder „Käfige“ im Raum festen Halt gegeben. (Ein Ausstellungskapitel ist denn auch, einem entsprechenden Werktitel Giacomettis entsprechend, mit „La Cage“ überschrieben.)
Das gilt von Giacometti bereits für die aus der Surrealistenzeit (1932) entstandene Skulptur „Palais à quatre heures du matin“, die Bacon gemäss verschiedener Quellen in London 1936 gesehen hat. Auch „Le Nez“ dürfte Bacon, der häufig in Paris weilte, bekannt gewesen sein. Von Bacon und Giacometti gibt es – eher pragmatische als inhaltsschwere – Aussagen zu diesen „Käfigen“, wobei Bedeutung oder gar Existenzielles im Sinne eines für die Nachkriegszeit paradigmatischen Menschenbildes nicht ausgeschlossen sei: Giacometti schrieb 1949 in seinen Notizen: „Der Raum existiert nicht, man muss ihn schaffen“, und Bacon sagte in einem Interview mit David Sylvester, die „frames“ hätten keine andere Bedeutung, als eine Konzentration auf das eigentliche Bild herzustellen.
Freundin Giacomettis und Bacons
Von einer weiteren Klammer handelt der zweite Ausstellungsraum: Porträts von Isabel Rawsthorne (1912–1992). Von Bacon stammt unter anderen das Gemälde, das die Frau in einer Soho-Strasse zeigt; von Giacometti stammen mehrere Büsten aus den späten 1930er Jahren. Rawsthorne ist für die Biographie beider Künstler wichtig. Die bedeutende und wohl unterschätzte Malerin war mit vielen Künstlern befreundet, in den 1930er Jahren in Paris mit Giacometti, in London mit Bacon. In den 1960er Jahren arrangierte sie die für die Freundschaft der beiden Künstler entscheidende Begegnung in London.
Die beiden Künstler sind nicht nur durch ähnliche Lebensdaten und damit Zeiterfahrungen verbunden. Sie teilen weitere wesentliche Gemeinsamkeiten. Dazu gehört die gemeinsame Freundin. Künstlerisch gibt es formale Entsprechungen, wobei Bacon das Motiv des „Käfigs“ durchaus von Alberto Giacometti übernommen haben dürfte. Das grosse gemeinsame Thema, das sich über weite Strecken des Schaffens beider Künstler hinzieht, ist das Bild des Menschen. Es wurde in der Kunst der Nachkriegszeit – wie auch das Bekenntnis zur erkennbaren Gegenständlichkeit der Kunst überhaupt – unter dem Eindruck der von den USA nach Europa hinüberschwappenden Abstraktion eher zur Ausnahmeerscheinung.
Alberto Giacometti
Reicht dies als Grund für die Doppelausstellung? Nein, wenn man die Frage nach Übereinstimmungen didaktisch strapazieren will, was die Ausstellung nicht tut. Ja, wenn es darum geht, dem Publikum die Begegnung mit gewichtigen Werken neuerer Kunst zu ermöglichen. Und das tut „Bacon Giacometti“ in der in hohem Masse. Alberto Giacometti war in letzter Zeit mehrfach Ausstellungsthema in der Schweiz. In Zürich war er 2016/17 ausgestellt. In Riehen sind aber Werke zu sehen, die noch kaum je den Weg in die Schweiz fanden, darunter viele der grossartigen Porträtmalereien, die Zeugnis ablegen von der Hartnäckigkeit, mit der sich Giacometti an das Menschenbild in seiner Zeit herantastete.
Francis Bacon
Francis Bacons Werk war in den letzten Jahren in der Schweiz kaum zu sehen. 1993 war ihm in Lugano zu begegnen. 2007 stellte Peter Fischer im Kunstmuseum Luzern in einer konzentrierten Präsentation Bacon Picasso gegenüber. Die Palette von Werken Francis Bacons, die nun in Riehen zu sehen ist, sprengt Bisheriges, was Zahl und Qualität der Exponate betrifft. Hier liegt denn das wichtigste Verdienst der Ausstellung: Sie kann vielen Besucherinnen und Besuchern Bacons Werk zur Entdeckung werden lassen.
Zu entdecken gibt es da wahrlich Vieles, vor allem eine ungeheure Bandbreite der Emotionen. Bacon beherrscht sein Handwerk vom grossen kompositorischen Geschehen bis ins kleinste malerische Detail mit Meisterschaft. Könnerschaft bis ins Letzte prägt seinen Umgang mit der Farbe. Die Räume, in die er seine Figuren setzt, sind von schwarzer Tiefe und handkehrum von einschmeichelnder oder gar zärtlicher Leichtigkeit. Die menschlichen Körper, denen er sich zuwendet, sind in ständiger, meist gequälter Bewegung. Sie sind oft geschunden, winden sich in Schmerzen, haben verzerrte Gesichtszüge mit zum Schreien aufgerissenen Mündern. Es sind Bilder voller Rätsel, vielleicht auch Bannbilder, die von Gewalt und Sexualität handeln. Spielt Bacon hohnlachend ein blutiges Spiel? Demonstriert er als grosser Star seine malerische Virtuosität? Lässt er uns in tiefste Abgründe menschlichen Elends blicken?
Fragen zur Präsentation
Im grössten Ausstellungssaal wirft die Gegenüberstellung der Werke der beiden Künstler allerdings Fragen auf. Auf grossen weissen Flächen (sie drängen sich wohl aus Sicherheitsgründen auf) werden Giacomettis „Dames de Venise“ präsentiert. An den Wänden hängen mehrere Werke Bacons – so bedeutende wie „Three Studies oft Figures on Beds“ (1972) oder „In Memory of George Dyer“ (1971), eine erschütternde Schilderung der tragischen Beziehung Bacons zu seinem Freund, der sich in der Nacht der Bacon-Vernissage in Paris im Hotelzimmer das Leben nahm, oder wie „Portrait of George Dyer Riding a Bicycle“ (1966), das Bacons obsessiven Drang, mit den Mitteln der Malerei Bewegung festzuhalten, manifestiert.
Da allerdings stehen sich die Werke trotz ihrer hohen Qualität gegenseitig im Weg: Der Raum wirkt disparat und unruhig, das harte Weiss der Bodenplatten dominiert den Raum. Es fällt schwer, sich nicht ablenken zu lassen und sich auf die einzelne Werke zu konzentrieren. Vielleicht bewahrheitet sich da Giacomettis oben zitierter Satz: „Der Raum existiert nicht, man muss ihn schaffen.“
Giacometti begegnet Hodler
Man kannte sich: Giovanni Giacometti war mit Ferdinand Hodler (1853–1918) befreundet. Hodler war der Götti von Bruno Giacometti. Alberto Giacometti war mit dem Werk des damals prominentesten Schweizer Künstlers vertraut. Dennoch beleuchtet „Ferdinand Hodler – Alberto Giacometti: Eine Begegnung“ im Kunst Museum Winterthur, betreut von Konrad Bitterli und David Schmidhauser, erstmals dieses Thema. Die schönen Räume des Erweiterungsbaus strahlen im Vergleich zu der wegen der vielen Besucher allzu regen Betriebsamkeit der Fondation Beyeler eine beschauliche Ruhe aus. Sparsame Hängung, Beschränkung auf eher wenige, aber hochkarätige Objekte sowie geistvolle und präzise Gegenüberstellungen einzelner Werke: All das ermöglicht ein vergleichendes und abwägendes Sehen.
Zum Beispiel im zweiten Raum: Eine Studie zur Mittelfigur der „Einmütigkeit“ von Ferdinand Hodler, ein martialisch die Rechte empor reckender Redner, Inbegriff auftrumpfender Männlichkeit (1913), kontrastiert mit Hodlers von praller Sinnlichkeit erfülltem und sich mit tänzerischem Ausgreifen der Arme in eine blühende Natur einfügendem Rückenakt „Linienherrlichkeit“ (1909). Zwei Seiten des gleichen Künstlers! Doppelt gegensätzlich wirkt dazu Giacomettis „Dame de Venise VIII“ (1956), die starr, isoliert und fragil aufragt und, bewegungslos und asketisch, zum Monument der Einsamkeit wird.
Gewinnbringende Verschränkungen
Das setzt sich im nächsten Raum fort: „Quatre figurines sur base“ von Giacometti (1956), kleine Aktfiguren aus bemalter Bronze auf dachähnlichem Sockel blicken geradewegs auf Hodlers „Die Wahrheit“ (1902), die als nackte Frau zwischen schwarz verhüllten Gestalten steht. Und es setzt sich fort: In einem weiteren Raum hängt die Winterthurer Fassung von Hodlers „Blick ins Unendliche“. Die fünf blau gekleideten Frauen bilden einträchtig einen tänzerischen Reigen; ihre Hände scheinen sich zärtlich zu berühren. Gegenüber dieser stillen Verbindung der fünf Gestalten – Modell standen fünf Frauen, denen Hodler nahestand – greift Giacomettis „La Main“ (1947) mit gespreizten Fingern ins Leere, als suche sie in ihrer Einsamkeit Hilfe und Rettung.
Das sind kuratorische Glücksfälle und für die Besucherinnen und Besucher gewinnbringende Kombinationen und Verschränkungen der Werke der beiden Künstler. Ähnliche Wirkungen erzielen die Kuratoren, wenn sie Hodler aus seinem Selbstporträt von 1918 mit scharfem Blick eine Diego-Büste Giacomettis fixieren lassen. Im nächsten Raum begegnen wir Giacomettis Porträt seiner 76-jährigen Mutter, entstanden 1947, einer betagten Frau, die sich in die dunkle Geborgenheit ihres Hauses zurückzuziehen scheint, und einer Bronze-Büste von Annette, Giacomettis Frau, die den porträtierenden Künstler – und auch uns als Betrachtende – mit grossen Augen verwundert anblickt.
Fondation Beyeler, Riehen/Basel: Bacon - Giacometti, bis 2. September
Kunst Museum Winterthur beim Stadthaus: Ferdinand Hodler – Alberto Giacometti. Eine Begegnung, bis 19. August
Kataloge zu beiden Ausstellungen