„Weltstar mit Betroffenheitsdrang“ titelte „Der Standard“, „Ein Regimekritiker in der Kritik“ der Deutschlandfunk. „Die Welt“ überschrieb den Text mit „Der deprimierende Niedergang von Ai Weiwei“. „Ego versus Engagement“ war im „Tagesspiegel“ zu lesen, in dem Nicola Kuhn Ai Weiwei einen „Künstlerstar“ nennt und fragt: „Ist das nur noch Dekoration?“. Ihre Feststellung: „Es ergreift einen nicht emotional.“
Ai Weiwei ist sich der grossen Öffentlichkeit sicher, wo immer er auftritt. Und er tritt je länger je grösser und machtvoller auf, noch bis anfangs September in Düsseldorf, und da gleich in beiden Häusern der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, denn seine Werke sind extrem raumgreifend: Die 60 Millionen Sonnenblumen-Kerne, aus Porzellan in Handarbeit geformt, bemalt, gebrannt, erstmals ausgelegt in der Turbinenhalle der Tate Modern in London, brauchen 650 Quadratmeter Bodenfläche. Auch die Installation mit 164 Tonnen Armierungseisen eigenen sich nicht gerade fürs Kabinett. Und die 2000 Kleider von Flüchtlingen, fein säuberlich an Stangen aufgehängt, wirken wie sein riesiger Secondhand-Shop. Vielleicht ist Ai Weiwei tatsächlich megaloman. Oder selbstverliebt. Das allerdings sind viele Künstler. Sie müssen es wohl sein, denn ohne ein volles Mass an Selbstbewusstsein wären manche von ihnen verloren.
Polarisierungen
Wer auftritt wie Ai Weiwei, polarisiert. Doch warum soll er nicht polarisieren? Obwohl ich das Ephemere einer Kunst vorziehe, die Tonnen Material verschiebt, meine ich: Ai Weiweis Demonstration ist heilsam, die Sache, die er machtvoll ins Zentrum rückt, betrifft alle. Sie rechtfertig die lauten Töne. Ai Weiwei und seine Entourage tun auch alles, dass die Botschaft gehört wird. Die Besucherzahlen in Düsseldorf sind hoch. Sie waren es auch in Lausanne, wo ihm Bernard Fibicher 2017 eine magistrale und komplex argumentierende Schau ausrichtete. (Fibicher bot ihm übrigens schon 2004 in der Kunsthalle Bern, lange vor dem weltweiten Hype, eine Ausstellungsmöglichkeit; das war eine eigentliche Pioniertat. Da sprach praktisch noch niemand von Ai Weiwei.)
Drei Schüsselwerke
Ich habe eingangs auf drei Werke Ai Weiweis hingewiesen, auf „Sunflower Seeds“ (2010), auf „Straight“ (2008–2012) und auf „Laundromat“ (2016). Die Düsseldorfer Doppel-Ausstellung bietet jedoch noch viel mehr. Sie ist opulent, vielleicht zu opulent. Sie lädt auch ein zu lange verweilendem Nachdenken vor manchen durchaus auch poetischen Werken aus früheren Jahren. Die erwähnten drei Installationen jedoch sind Schlüsselwerke auch für Ai Weiweis Überzeugung, dass jede künstlerische Tätigkeit politisch sein müsse. Für seine politischen Botschaften greift Ai Weiwei auch zum Plakativen, obwohl ihm sicher bewusst ist, dass er sich damit in manchen tonangebenden Kunstkreisen in Misskredit bringt.
Die Sonnenblumensamen sind wunderbares Handwerk. 1600 Leute sollen während rund zwei Jahren daran gearbeitet haben: Kunst als Arbeitsbeschaffung für viele. Sonnenblumenkerne sind in China auch ein beliebter Snack. Die Porzellansamen beziehen sich überdies, und da zeigt sich die Doppelbödigkeit des Werkes, auf Maos Gleichschaltung der Gesellschaft und auf seinen Personenkult: Mao ist die leuchtende Sonne, nach der sich alle auszurichten haben, so wie sich die Sonnenblumen stets nach der Sonne drehen.
„Straight“ brachte Ai Weiwei Gefängnis und Isolation ein. Der Künstler sammelte nach dem verheerenden Erdbeben von Sichuan (2008), das 70’000 Menschenleben forderte, darunter 5000 Kinder, aus dem Schutt verbogene Armierungseisen. Die Eisenstäbe waren zu schwach, um die Gebäude gegen Erdbeben zu schützen. Ai Weiwei begradigte sie und legte sie in sargähnliche Holzkisten. Das war sein Protest gegen Korruption und Pfusch, welche die Bauten wie Kartenhäuser zusammenstürzen liessen. Chinas Regime ertrug die Demonstration nicht. Die Installation in Düsseldorf ist erdrückend; es bleibt kaum Platz, den mit den Kisten eng verstellten Raum zu betreten.
Mit „Laundromat“ verlässt Ai Weiwei China. Thema ist das weltweite Flüchtlingsdrama, zu dem sich der Künstler, selber ein Flüchtling, wenn auch ein privilegierter, in den letzten Jahren immer wieder geäussert hat. (So verkleidete er zum Beispiel vor zwei Jahren die Aussenwand der Kunsthalle Charlottenborg in Kopenhagen mit Rettungswesten.) Für „Laundromat“ liess er im aufgelösten Flüchtlingslager im griechischen Idomeni nahe der Grenze zu Mazedonien die zurückgelassenen Kleider der Flüchtlinge sammeln, waschen, bügeln und ausbessern. Er präsentierte sie, 4000 an der Zahl, Wäsche, Hosen, Hemden, Mäntel, mit Etiketten versehen, an Kleiderstangen, als wolle er sie zum Verkauf feilhalten.
Vielleicht ist das alles zu monumental ausgefallen. Doch ob es einen deswegen emotional nicht ergreift? Emotionen sind eine sehr persönliche Angelegenheit.
Düsseldorf, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Stammhaus in der Altstadt (K20) und Ständehaus (K21). Bis 1.9.2019.