Schweden produziert rund 45% seines Stroms in Atomkraftwerken. Etwas gleich viel wird in Flusskraftwerken generiert. Damit ist klar, dass Schweden gar nicht imstande wäre, mehrere oder gar alle AKWs sofort stillzulegen. Im Gegenteil: Schweden ist daran, seine in die Jahre gekommenen Atomkraftwerke zu erneuern und zu modernisieren. Der Effekt mehrerer Reaktoren wird erhöht, Turbinen und Generatoren werden ausgewechselt, eines der Werke erhält einen neuen Kontrollraum. Hinzu kommen allerlei Verbesserungen, um die Sicherheit zu erhöhen. In einer Untersuchung von Novus für die schwedische Nachrichtenagentur TT nach der Katastrophe in Fukushima erklärten drei von vier Schweden, dass sie das Risiko eines ähnlichen Unglücks in Schweden für „sehr gering“ oder „recht gering“ halten. In einer Untersuchung für die Tageszeitung Dagens Nyheter sagten dann allerdings 36%, dass die Atomkraftwerke stillgelegt werden sollten (vor Fukushima waren es 23%) und 47% wollen keine neuen Kernkraftwerke bauen (vorher 21%).
Die bürgerliche Regierung will trotz dieser Skepsis am Plan, neue Atomkraftwerke zu bauen, festhalten. Grund zur Eile gebe es jedoch nicht, da Schweden gegenwärtig genug Stromkapazität habe – vor allem mit Blick auf die immer zahlreicher werdenden Windkraft-Projekte. Auch die oppositionellen Sozialdemokraten halten an ihrer Überzeugung fest, dass ein solcher Beschluss nicht vor 2015 gefällt werden müsse. Auf ihrer Website steht aber immerhin, dass die bestehenden Werke nach und nach ausser Betrieb genommen werden sollen – wobei man jedoch die Folgen eines solchen Beschluss für die Beschäftigung und die Wohlfahrt im Auge behalten müsse.
Aufsehen erregte im Januar ein Dokumentarfilm des öffentlichrechtlichen Schwedischen Fernsehens SVT. Die internationale Energieagentur IAEA hatte Statistiken veröffentlicht über die Auslastung und Betriebsbereitschaft der Atomkraftwerke in verschiedenen Ländern. Schweden lag auf dieser Liste mit einer Nutzung von bloss 63% auf einem miserablen 18. Platz. Am besten waren Finnland und Holland mit je 95%, sehr gut auch die Schweiz auf Platz 5 mit 92%. Im Durchschnitt – so die Schlussfolgerung des Dokumentarprogramms von SVT – standen in Schweden 2009 fast vier von zehn Reaktoren still. Besonders in den Wintermonaten führte dies zu massiv erhöhten Stromkosten, weil es in den letzten beiden Wintern gleichzeitig auch sehr kalt war und viele Schweden elektrisch heizen. Zum Teil waren die Stromkosten so hoch, dass Betriebe, die viel Strom brauchen, ihre Produktion einstellten. Sie war bei Stromkosten von bis 2 Franken pro Kilowattstunde an einzelnen Tagen wirtschaftlich nicht mehr zu verantworten.
Die Atomkraftwerkbetreiber Vattenfall und EON begründeten die schlechte Verfügbarkeit ihrer Werke mit dem grossen Nachholbedarf an Modernisierungen und Unterhalt. Der Beschluss von 1980, alle Atomkraftwerke bis 2010 stillzulegen, habe es als lange als nicht mehr lohnend erscheinen lassen, grosse Verbesserungen vorzunehmen. Als dann aber gegen Ende dieser Periode klar geworden sei, dass Schweden auf Atomkraft nicht verzichten wolle oder könne, sei entschieden worden, die Atomkraftwerke technisch aufzurüsten. Die Investitionen dafür werden auf 45 Milliarden SEK oder rund 6 Milliarden Franken veranschlagt. Viele der Modernisierungen haben deutlich mehr Zeit beansprucht als ursprünglich geplant. Zum Teil fehlt es an Fachleuten und Wissen, zum Teil zeigte sich, dass der Modernisierungsbedarf grösser war als angenommen: In Oskarshamn 2 zum Beispiel hielten die Turbinenlager der erhöhten Belastung nach der Effekterhöhung nicht stand, sie müssen mit viel Aufwand mit völlig neuen ersetzt werden.
Auch in den kommenden Jahren wird die Nutzung der schwedischen Atomkraftwerke relativ schlecht bleiben. Immerhin sind die Atomkraftwerkbetreiber nun offenbar bemüht, Abschaltungen im Winter, wenn besonders viel Strom gebraucht wird, zu vermeiden. Diese Erfahrungen während des Winter 2010 und 2011 haben wahrscheinlich dazu beigetragen, dass die meisten Schweden eine baldige Stilllegung der zehn Atomkraftwerke als unrealistisch betrachten. Denn eine Verknappung des Angebots wäre nicht zu vermeiden – mit entsprechend steigenden Strompreisen, wie sich in den letzten zwei Wintern gezeigt hat.