Selbst christlichen Kindern ist es einfacher zu erklären, was ein Muslim in seinem Leben zu leisten hat, als was das Leben eines Christen ausmacht. Der Islam hat fünf Säulen und diese sind im Leben mehr oder weniger zu erfüllen.
Schnell ist dieses Lebensprogramm erklärt und begriffen – auch ist es einigermassen human umsetzbar. In der ersten Sure ist an einen barmherzigen Gott und an seinen Propheten zu glauben (1). Einmal im Leben braucht es – sofern möglich – eine Wallfahr nach Mekka (2). Gut, Reisen wird heute nicht unbedingt als Strafe empfunden. Arme sollen unterstützt werden (3). Dabei wird einem genau gesagt, wie viel hier zu leisten ist. Vor einem schlechten Gewissen muss man sich nicht fürchten. Der Ramadan muss eingehalten werden (4) – kann aber mit nächtlichen Festen und anderen Kniffen umgangen werden; sofern man das überhaupt will. Last but not least soll täglich fünf Mal gebetet werden (5). Das muslimische Programm kann dann je nach Situation und Geschmack unterschiedlich eingehalten werden. Doch wichtig ist dabei, man weiss während dem ganzen Leben, was man zu tun hat um ein guter Muslim zu sein.
Die fünf Säulen des Islam geben die nötige Orientierungshilfe. Sollte man Schülern das Christentum näher bringen, dann braucht man zumindest neun Jahre und die Schulentlassenen wissen immer noch nicht, wie sie leben müssten, um gute Christen zu sein. Die fünf praktischen Säulen fürs Leben gibt es nicht. Wenn die Katholiken die sieben Sakramente proklamieren, dann haben sie schon ihr erstes Problem. Alle kann gar niemand bekommen. Das Sakrament der Priesterweihe und der Ehe beissen sich gegenseitig. Ein guter Katholik schafft es also höchstens auf deren sechs – und gleichzeitig wird nicht mancher behaupten, dass die Anzahl der gefeierten Sakramente die Güte eines christlichen Lebens ausmacht. Viele katholische Heilige bringen es nicht einmal auf vier von sieben! Reformierte könnten sich auf die Bibel berufen. Doch ist auf dieser Grundlage gewiss kein einfaches Lebensrezept zu erarbeiten – oder kennen sie die fünf Säulen der Bibel für ein gelingendes Leben? Vorschläge nähme ich gerne entgegen.
Heilige wie ein Franziskus wollten Leben wie der arme Jesus und ihm nachfolgen. Nun, auch das ist noch kein handliches Lebensprogramm. Und wer sich etwas mit moderner Exegese (Bibelauslegung) herumgeschlagen hat, der glaubt auch nicht mehr an den armen Jesus und vieles Andere eines Franziskus oder anderer Heiligen überzeugt nicht mehr. Im Gegenteil, was halten Sie von jemandem, der Asche ins feine Essen wirft, damit es nicht zu fein schmeckt?
Wie muss also ein Christ sein Leben gestalten, dass er es gut gelebt hat? Nun, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, kann auch nicht die Antwort auf eine solche Lebensfrage sein. Franziskus ist jährlich etwa vier Mal zur Eucharistiefeier gegangen und ist auch so ein Heiliger geworden. Schaut man in die Anfänge des Christentums, dann sind seit dem 4. Jahrhundert das Glaubensbekenntnis und das Vater unser die massgebenden Texte des Glaubens, an denen sich die Unterweisung orientiert. Doch ist darin kein praktikables Lebensprogramm zu finden.
Das Lesen der Bibel war lange Zeiten verboten und selbst am Zweiten Vatikanischen Konzil der katholischen Kirche (1962-1965) wurde darüber diskutiert, ob das Lesen der Bibel eine Voraussetzung des christlichen Lebens sein könne oder nicht – viele Heilige konnten nicht lesen und viele Katholiken im Süden der Erdkugel können dies auch heute noch nicht.
Wie muss ich also als Christ leben, um ein gutes Leben gelebt zu haben? Das Studieren vieler Heiligenleben hat mir gezeigt, dass die Solidarität mit den Armen und soziales Handeln sicher auf der richtigen Seite sind. Doch sehe ich nirgends ein wirklich praktikables Lebensprogramm. Manchmal beneide ich einfach die Muslime um ihre fünf Säulen, die so lebensnah und praktikabel sind! Da scheint man zu wissen, was man zu tun hat.