Ich habe seit über zwanzig Jahren auf einer italienischen Bank, einer der grössten des Landes und einer der grössten Europas, ein Bankkonto.
Natürlich bin auch ich ins Zeitalter des bargeldlosen Verkehrs eingetreten. Fast alle Bankgeschäfte erledige ich in der Schweiz und in Italien via Internet. Aber manchmal braucht man eben etwas Bargeld. Vor allem in Italien. An manchen Orten verlangt man Cash.
So gehe ich denn eines Morgens auf „meine“ Bankfiliale in einem Städtchen nahe von Rom. Das Handy, die Schlüssel, die Mappe, die Tasche und alles, was Metall enthält, muss man am Eingang in ein Schliessfach einschliessen. Den Schlüssel des Schliessfachs nimmt man dann mit sich. Dann geht es durch eine Drehtür, die gleichzeitig ein Metalldetektor ist. Trägt man nichts Gefährliches auf sich, ertönt eine Lautsprecherstimme, die sagt, dass man eintreten darf. Die Tür dreht sich. Das war schon seit Jahren so.
So steht man denn glücklich im Innern der Bank. Drei Schalter stünden zur Verfügung, doch nur einer ist geöffnet. Vor mir eine Kundin und ein Kunde. Der Kunde ist nach etwa zehn Minuten fertig, die Kundin kommt mit viel Papier. Ich erfahre alles über ihre persönliche Verhältnisse. Ich weiss jetzt, wie viel Geld auf dem Konto ihrer Schwiegermutter ist und dass sie, die Schwiegermutter, Unterleibsbeschwerden hat. Man wartet und wartet. Sitzgelegenheiten gibt es nicht. Nach einer weiteren Viertelstunde bin ich dran.
Ich strecke der netten, jungen Schalterbeamtin meine Bankkarte entgegen. „Ich möchte fünftausend Euro abheben“, sage ich. Die Schalterfrau schaut mich ungläubig an. Sie zögert. Da sagt sie, sie müsse die Filialchefin fragen. Sie geht nach hinten.
Jetzt kommt die Chefin, eine ältere, nicht unsympathische Dame. „Für was brauchen Sie das Geld?“, fragt sie mich forsch.
Jetzt zögere ich. Soll ich ihr sagen, dass sie das ganz und gar nichts angehe? Doch das wäre wohl unklug. Dann würde sie mich schikanieren. Also sage ich, was der Wahrheit entspricht, ich müsse einige Rechnungen bezahlen. Zudem möchte ich etwas Bargeld auf mir tragen.
Sie könne mir unmöglich fünftausend Euro auszahlen, sagt sie, das sei zu viel.
Natürlich hat die Intervention der Filialleiterin einen Hintergrund. Italien ist das Land der Steuerbetrüger, der Schwarzgeld-Zahler. Viele Arbeiten und Transaktionen werden nicht offiziell abgewickelt – dies, um Steuern und die horrende Mehrwertsteuer von 22 Prozent zu sparen.
Vor allem im Baugewerbe und im Handwerk wird oft, zumindest teilweise, schwarz gearbeitet. Man steckt dem Maurer oder dem Elektriker einfach das Geld zu, ohne IVA. So heisst die Mehrwertsteuer in Italien.
Natürlich entgegen dem Staat so Milliarden. Da die Mehrwertsteuer hoch ist, ist die Versuchung, zu betrügen, ebenso hoch. Man kann sich fragen, ob bei einem tieferen Steuersatz die Leute ehrlicher wären.
Die nette Filialchefin wittert also, dass ich Rechnungen schwarz bezahlen will, um die Mehrwertsteuer zu sparen. Ich versuche ihr zu erklären, dass ich ein ehrlicher Schweizer sei. Sie beginnt mir zu glauben, doch sie sagt, sie könne mir höchstens dreitausend Euro auszahlen. Also gut, sage ich. Immerhin dreitausend.
Und jetzt zeigt sich Italien von seiner skurrilen Seite. Das Geld habe sie allerdings nicht am Schalter; sie müsse es im Tresor im Keller holen. Ich denke: Was für eine Grossbank, die nicht einmal dreitausend Euro am Schalter zur Verfügung hat.
Die Chefin holt jetzt einen Schlüsselbund und schliesst die Bank von innen ab. Ich und ein weiterer Kunde, der erstaunlich gelassen wartet, sind gefangen. (Ich staune immer wieder, mit welch stoischer Ruhe die Italiener alles über sich ergehen lassen.) Draussen will eine Frau eintreten, sie kann nicht, die Bank ist ja abgeschlossen. Weshalb? Die Chefin und die junge Schalterbeamtin gehen gemeinsam in den Keller, um die dreitausend Euro zu holen. Da jetzt kein Bankpersonal mehr im Schalterraum ist, musste man die Bank von aussen abriegeln. Das dauert 15 Minuten.
Es ist nicht so, dass ich mich mit meinen schweizerischen Genen über solche Verzögerungen ärgere. Ich habe mich längst daran gewöhnt. Man braucht in Italien für alles drei-, viermal länger als in der Schweiz. Wehe, man hat mit Ämtern zu tun. Da wartet man oft 40 Minuten bis man drankommt und bis einem dann gesagt wird, man sei da nicht zuständig, man müsse es anderswo versuchen.
Oder die Post: Es kann eine halbe Wartestunde dauern, bis man einen eingeschriebenen Brief aufgeben kann. Bei Einzahlungen ist es noch schlimmer. Ich schmunzle immer wieder, wenn die Postbeamtin mit einer oft rostigen Schere den Einzahlungsschein kleiner schneidet, damit er in die Registriermaschine passt.
Also: Ich war auf meiner Bank auf Wartezeiten gefasst. Schliesslich kommen die Chefin und ihre Angestellte mit dem Geld zurück, stecken es in die Zählmaschine. Doch – welche Überraschung: die Maschine funktioniert nicht, sie klemmt. Die Frauen holen einen spitzen Gegenstand und fuchteln irgendwo an der Maschine herum. Nichts zu machen. Wieder und wieder versuchen sie es und rütteln am Gerät. Nachdem 1200 Euro gezählt sind, stottert die Maschine und bleibt stehen. Dann plötzlich schafft sie es: 3000 Euro.
Glücklich kommt die Schalterbeamtin an den Schalter zurück und beginnt vor mir das Geld von Hand zu zählen. Doch: da fehlen 100 Euro. Grosses Staunen. Sie geht zurück zur Maschine. Doch diese tut jetzt keinen Wank mehr. Wieder zählt sie von Hand das Geld. Jetzt findet sie den Fehler: zwei Scheine waren zusammengeklebt. Offenbar schwitzte die Beamtin vor Aufregung an den Händen, und der Schweiss liess dann zwei Banknoten aneinander haften.
Dann kommt die Filialchefin mit ihrem Schlüsselbund und schliesst die Bank wieder auf. Alles ist gut.
50 Minuten dauerte alles, bis ich dreitausend Euro abheben konnte. Natürlich fragt man sich nach einem solch kleinen alltäglichen Abenteuer, wie dieser Staat überhaupt wirtschaften kann.
Übrigens, sagt die freundliche Filialleiterin zum Abschied, am Bancomat am Eingang der Bank könne ich jeden Tag zweitausend Euro abheben.
Ob das nicht grotesk und unlogisch sei, frage ich. Am Bancomat könne ich das Geld abheben und werde natürlich nicht gefragt, wofür ich es brauche. Im Innern der Bank jedoch sei alles anders. Die Chefin versucht, diese Frage charmant wegzulächeln. „Eh sì, è così.“ So ist es eben.
Allerdings, fügt sie noch bei: Der Bancomat sei im Moment „fuori servizio“, ausser Betrieb, aber morgen oder übermorgen werde er wieder funktionieren. „Probabilmente.“
So werde ich morgen die restlichen zweitausend Euro am Bancomat abheben. Oder übermorgen. Oder nächste Woche. Probabilmente.