Am Schluss bekommt er sie doch noch, die Auszeichnung, von der er schon als Junge annahm, dass sie ihm zusteht. In Stockholm wird Dr. Sheldon Cooper (Jim Parsons) der Nobelpreis für Physik verliehen, zusammen mit seiner Frau Dr. Amy Farrah Fowler (Mayim Bialik), die ihn von neurowissenschaftlicher Grundlage her bei der Entdeckung der Super Asymmetrie unterstützt hat. So viel Spoiler darf sein in Bezug auf die allerletzte Folge der zwölften und letzten Staffel einer Sitcom, die über ein Dutzend Jahre hinweg alle Welt zum Lachen gebracht hat.
Alternde Sitcoms
Es war Jim Parsons, der Darsteller des Sheldon, der seine Figur und damit die ganze Belegschaft in Pension geschickt hat. Gewiss nicht zu früh, denn die letzten beiden Staffeln wären nicht mehr nötig gewesen. Wenn die jugendlichen Protagonisten in die Jahre kommen und sich die Folgen um Eheknatsch und Kinderaufzucht zu drehen beginnen, dann ist die Luft in der Regel raus. Das war schon bei «Friends» nicht anders, wo die Reissleine bereits nach der zehnten Staffel gezogen wurde.
Und dennoch verdient «Big Bang Theory» eine Würdigung in einem leicht wehmütigen Rückblick, weil diese Serie es verstanden hat – ähnlich übrigens wie seinerzeit «Friends» –, im Rahmen anspruchsloser Fernsehunterhaltung den Zeitgeist zu spiegeln. Sollte dereinst ein Historiker aus dem 23. Jahrhundert die westliche Kultur des frühen 21. beschreiben wollen, so böten ihm die vollständigen Staffeln von «BBT» auf jeden Fall hervorragendes Quellenmaterial. Um die richtigen Schlüsse zu ziehen, bräuchte er allerdings eine grössere Sarkasmus-Kompetenz als der Obernerd aus der Serie.
Ethnographisches Tableau
Es beginnt schon mit der Komposition der ursprünglichen Stammbesetzung: Da sind Sheldon, der Hochbegabte aus Texas, Leonard (Johnny Galecki), ein Spross der Ostküsten-Elite, Howard (Simon Helberg), Jude mit Begabung zu mehr oder weniger freiwilliger Komik, schliesslich Penny (Kaley Cuoco), das Girl aus Nebraska, und Raj (Kunar Nayyar), der farbige Immigrant aus Indien. Später kommt mit Bernadette (Melissa Rauch) ein Kind polnischer Einwanderer hinzu und Amy stammt aus der kalifornischen, eher der unteren und stockkonservativen weissen Mittelschicht. Ein paar wenige Figuren bilden so ein ethnographisches Tableau der US-Gesellschaft, das mit Klischees zu spielen und immer wieder kulturelle Gegensätze zu verulken erlaubt.
Dann gibt es die sehr spezielle Konstellation von vier Nerds mit einer intellektuell unbedarften Wohnungsnachbarin. Im Normalfall stehen die superschlauen Hochintelligenzler bei Alltagsproblemen wie Esel am Berg und die Schauspielerin/Kellnerin von nebenan darf sie raushauen. So beispielsweise als Sheldon, dem «grossen Sheldor», beim Online-Spiel wertvolle Gadgets geklaut werden: Die Netfreaks haben den diebischen Hacker zwar schnell ausgemacht, aber wie sie als Rächer auf der Veranda des riesenhaften, dicklichen Nerds stehen, wissen sie nicht weiter. Und Penny löst das Problem nach Männerart: mit einem gezielten Kniestich.
Mag sein, dass diese Grundanlage nicht die edelsten Antriebe beim Publikum anspricht. Da dürfte einiges an schlichter Schadenfreude dabei sein, wahrscheinlich auch ein wenig Bildungsneid. Es kann doch irgendwie guttun, zu erfahren, dass den Strebern in der Schule mitunter die Köpfe in die Unterhosen gepackt oder gleich ins Klo getaucht wurden. Lachen – das wissen wir seit Freud – hat viel mit Regelverstössen zu tun und damit auch einen Draht zum Unkorrekten.
Kastrierende Mütter
Politisch korrekt ist die Serie natürlich auch nicht in der Art, wie sie das Geschlechterverhältnis darstellt. Dass Penny als Hetero-Frau allein ihren Mann steht, mag ja noch durchgehen; aber das Bild, das die Mütter der Nerds abgeben, das passt nun gar nicht. Debbie Wolowitz, stets nur als Stimme, dafür umso raumfüllender präsent, hat ihr «Bubele» dermassen an sich gekrallt, dass es sein Kinderzimmer auch nach dem Abschluss am MIT keinesfalls verlassen will.
Beverly Hofstadter, ihres Zeichens Psychologin, frönte der Passion, bei Klein-Leonard alle oralen, analen oder genitalen Betätigungen zu überwachen und publizistisch auszuschlachten. Und auch gegenüber dem erwachsenen Sohn kennt sie keinerlei Scham, sein Sexualleben zu kommentieren. Am besten kommt noch Mary Cooper weg, die Bibelfeste aus Texas, die ein zweites Buch zu lesen verspricht für den Fall, dass Gott noch eins schreiben sollte. Sie kann ihren Shelley wenigstens als – zwar etwas bizarres – Geschenk des Herrn annehmen, zumindest nachdem sie ihn auf seinen Geisteszustand hat testen lassen.
Verunsicherter Blick
Das sind durchwegs Frauengestalten aus dem psychologischen Gruselkabinett der sechziger und siebziger Jahre, wo die «versagende Mutter» für den ganzen Neurosenstrauss der Sprösslinge verantwortlich gemacht wurde. Und frau braucht keineswegs Radikalfeministin zu sein, um in diesem Mutterbild frauenfeindliche Tendenzen wahrzunehmen.
Die wären unbestreitbar vorhanden, wenn die Serie einen soziologischen Befund oder gar eine ontologische Bestimmung von Weiblichkeit vorlegen wollte. Aber das ist definitiv nicht die Absicht; die Macher von «BBT» zeigen einfach nur – parodistisch überhöht – den Blick, den verunsicherte Männer auf die Welt richten, Männer, denen familiäre wie gesellschaftliche Rollenvorbilder gefehlt haben, so dass ihnen Frauen, ob nun Mütter oder mögliche Partnerinnen, übergross und bedrohlich erscheinen müssen.
Männer als Spielkinder
Zumindest bei drei der vier Nerds haben die Väter sich dünn gemacht, sind farblose Randfiguren geblieben oder, wie in Howards Fall, gleich ganz abgehauen. Nur bei Raj treten die Eltern – jeweils auf Skype – als Paar auf, aber der ist Inder und letztlich scheitert auch hier die Ehe. Auf jeden Fall hat ein Gegengewicht zu den Müttern gefehlt, was die Abnabelung der Söhne erschwerte. So haben die es vorgezogen, Spielkinder zu bleiben, sammeln angefressen die Comic-Hefte aus ihrer Kindheit, träumen sich in die Rolle von Superhelden und kennen sich besser im Auenland aus als in ihrer Nachbarschaft.
Auch was ihre Sex-Phantasien betrifft, sind sie in der Pubertät hängen geblieben, mit Ausnahme natürlich von Sheldon, der gar keine hat, dafür aber auf Modelleisenbahnen steht. Überhaupt das Technische, es fasziniert sie, weil es hier keine Zwischentöne gibt, sondern nur überschaubare, oft binäre Optionen. Von daher auch die Begeisterung für Science Fiction und nicht weniger ihre Berufswahl: Als Naturwissenschaftler und Techniker geniessen sie das Privileg, in einem virtuellen Universum zu leben – weit weg von allen Knörzen des Alltags – und damit sogar Anerkennung sowie ein Auskommen zu finden.
Hier trifft die Serie durchaus einen Nerv, denn verunsicherte Männlichkeit ist ja alles andere als ein Randphänomen. Entsprechend kann man(n), ausreichend Selbstironie mal vorausgesetzt, sich in den Nerds durchaus wiedererkennen. Die Flucht in übersichtliche Parallelwelten ist beim sogenannt starken Geschlecht jedenfalls ziemlich verbreitet. Hierher gehört sicher die Faszination für technisches Spielzeug, bei dem es zentral um Power geht, sei’s nun das neuste, leistungsfähigere Tablet oder das getunte Auto. Hierher gehört auch das Abtauchen in Fan-Kulturen oder sonstige Männerbünde, wo die Buben-Klüngelei munter fortbetrieben wird.
Lust am Dysfunktionalen
Der Lustfaktor, der für den Erfolg dieser Sitcom entscheidend war, liegt aber möglicherweise nochmal woanders. Da sind nämlich Protagonisten, die sich der heute angesagten Funktionalität und Stromlinienform verweigern. Sie sind nicht taff, sondern mimosenhaft und unendlich kompliziert. Sie leiden an seelischen Bresten, welche sie seit der Kindheit mitschleppen und die sie daran hindern, fix auf die wechselnden Anforderungen des Augenblicks zu reagieren. Dabei machen sie nicht die geringsten Anstalten, sich im Sinne der modischen Glückspsychologie selbst zu optimieren.
Keine der Hauptfiguren unterzieht sich einer Therapie; Raj, der immerhin gegen seinen selektiven Mutismus ankämpft, tut dies ausschliesslich mit chemischen Mitteln und entsprechend ambivalentem Erfolg. Nur gerade der depressive Buchhändler Stuart, eine Nebenfigur, nimmt ärztliche Hilfe in Anspruch, hat dabei aber schon mal einen Therapeuten in den Selbstmord getrieben.
«Was wäre das Leben ohne Schrullen?» – so Sheldon im Originalton. Die Figuren der Serie sind dysfunktional, und das ist gut so. Sich über sie zu kugeln hat etwas Befreiendes, weil sie sich durchwegs in einer Weise verhalten, die heute untersagt ist. Im Lachen über sie können wir beides: uns distanzieren und doch insgeheim an ihrem schrägen Wesen Anteil nehmen, das auch an die eigenen Schwächen erinnert.
Die Liga der Autisten
Potenziert findet sich der Widerstand gegen die aktuelle ideologische Weichspülung natürlich in der Figur des Obernerds. Sheldon lebt offen Züge aus, die wir heute sorgsam verbergen müssen: Eigenheit, Eigensinn sowie eine Gradlinigkeit, die sich auch nicht um eine Bogensekunde verbiegen lässt. Sheldon geht es stets um das Wesentliche, um die Sache; das ist zuerst die String-Theorie, später sind es andere Spielfelder der theoretischen Physik.
Darüber pfeift er auf kommunikative, ja überhaupt soziale Kompetenzen, nimmt grundsätzlich nicht am allgemeinen Austausch von Nettigkeiten teil und schon gar nicht an Sponsorenpartys, die Geld in die Universitätskasse spülen sollen. Auch mit Political Correctness hat er nichts am Hut, reduziert ungeniert Mitarbeiterinnen auf Hormonhaushalt oder Monatszyklus und zeigt auch keine Einsicht, als er deswegen bei der Personalchefin antanzen muss, – einfach selig verpeilt.
Es ist völlig unmöglich, ihn in ein Team einzubinden. Das hat er im Übrigen mit anderen Serienhelden gemein, die nach dem Millenium aufgetaucht sind: Der Detektiv Monk oder Dr. House lassen grüssen, und selbst der «Tatort» hat heute ein paar spezielle Kommissare. Für diese Konjunktur der Autisten gibt es in der Tat Gründe. Wer möchte denn nicht gern einmal Vorgesetzten frech ins Gesicht lachen und NEIN sagen – in der unnachahmlichen sheldonesken Selbstgewissheit, die Dr. Cooper auszeichnet?
Er und seine Mitnerds haben Abend für Abend auf vielen Kanälen Einspruch erhoben gegen Glücksdiktat und Flexibilisierungsgebote. Insofern waren sie eine Art Stadtguerilla gegen den durchgestreamten Lebensstil. Sie werden uns fehlen.