Kurz vor Mitternacht am 15. Februar wird der Hahn zum letzten Mal krähen. Pünktlich zu Beginn des 16. Februar wird der Hund bei Neumond freudig und lautstark bellen. China, aber auch Vietnam, die Mongolei und Korea beginnen ein neues Jahr. Die Autonome Chinesische Provinz Tibet wird einen Monat später folgen. Japan, von der chinesischen Kultur seit alters her geprägt, richtet sich seit 1874 nicht mehr nach dem Lunisolar-Kalender, sondern nutzt die im Westen seit Jahrhunderten übliche Gregorianische Zeitmessung.
In einem zwölfjährigen Zyklus wird in China seit über dreitausend Jahren jedem Jahr ein Tier zugeordnet. Überdies, und das ergibt einen 60-jährigen Zyklus, wird je eines der fünf Elemente Metall, Holz, Feuer, Wasser und Erde dem Tierkreiszeichen zugeordnet. So verabschiedet sich jetzt Ostasien vom Feuer-Hahn und geht über ins Jahr des Erd-Hundes. Zur Orientierung der klugen Journal21-Leserin und des neugierigen Journal21-Leser hier die Daten für die im Hundejahr Geborenen: 1934, 1946, 1958, 1970, 1982, 1994, 2006, 2018.
Integrität und Effizienz
Nach der chinesischen Astrologie wird das Hundejahr ausgeglichener verlaufen als das vergangene Jahr des Hahns. Das neue Jahr steht für Integrität und Effizienz. Das Erd-Hundjahr wird also ein gutes, wenngleich auch ein anstrengendes.
Generell sind die im Zeichen des Hundes Geborenen treu bis zum Tod, idealistisch, gutgelaunt, effizient, energisch, willensstark, einfallsreich, talentiert, fleissig, mutig sowie gut im Zuhören und konstruktiv im Denken. Sie glauben an Gerechtigkeit und Liebe. Andrerseits gelten sie aber auch als Streithähne und sind jährzornig und nicht kompromissfähig.
Berühmte Hunde, sozusagen, sind etwa US-Präsident Bush Senior, US-Präsident Bill Clinton oder der in China beliebte und weltweit bekannte ehemalige Premierminister Zhou Enlai. Zu den mit den vielen positiven und wenigen negativen Hunde-Attributen ausgestatteten Politikern gehört auch – Luft anhalten! – US-Präsident Donald Trump. Kommentatoren, Experten und Polit-Analytiker tun also gut daran, bei Trump vermehrt das chinesische Horoskop zu Rate zu ziehen, insbesondere dann, wenn es um Nordkorea geht. Denn auch Marschall Kim Jong-un verspricht sich vom Hunde-Jahr das Blaue vom Himmel.
Grösste Migration auf Erden
Zwar gibt es fürs Frühlingsfest in China gerade einmal drei Feiertage. Doch die Chunjie-Periode dauert vom 23. Tag des 12. Mondmonats bis zum Laternenfest am 15. Tag des 1. Mondmonats, 40 Tage also insgesamt. Alle Chinesinnen und Chinesen wollen das grösste Fest des Jahres möglichst im Kreis der Familie im Dorf oder der Stadt feiern. Das führt jährlich zur grössten Migration auf dem Planeten. Auch dieses Jahr wird mit noch mehr Verkehr gerechnet. Das stellt die Behörden vor grosse Probleme. Denn im Reich der Mitte gilt, zumal am Frühlingsfest, Ruhe, Ordnung, Stabilität und Liebe.
Dieses Jahr wird in der sechswöchigen Periode mit annähernd drei Milliarden Reisen gerechnet. Die meisten per Bus oder im Auto. Immerhin werden rund 400 Millionen die Eisenbahn (+ 8,8% gegenüber Vorjahr) und rund 65 Millionen (+10%) das Flugzeug benutzen. Für den sogenannten Frühlings-Transport (Chunyun) haben die chinesischen Statistiker eine durchschnittliche Reisedistanz von 473 km errechnet.
Das digitale Zeitalter hat zudem das mühsame Schlangestehen beim Ticketkauf enorm erleichtert. Mit einer App können Fahrkarten und oft jetzt sogar Sitzplätze gebucht werden. Car pooling ist ebenfalls erfolgreich und zwar über eine App der chinesischen Uber-Varianten Didi Chuxing und Didi Kuaidi. Vor zwei Jahren benutzten das gerade einmal zwei Millionen Reisende, im vergangenen Jahr waren es dann 8,5 Millionen und jetzt werden es bereits weit über 30 Millionen Reisende sein. Bezahlt wird praktisch und problemlos, wie überall in China, nicht mit Kreditkarten sondern digital mit AliPay oder WeChatPay.
Bräuche und Rituale
Als Clan- und Familienfest ist Chunjie geprägt von Bräuchen und Ritualen. Sie werden selbst von den digitalen Natives noch meist eingehalten. Am 23. Tag des 12. Mondmonats beginnt der Prolog des Neuen Jahres. Es ist der Tag des Küchengottes. Nach der taoistischen Mythologie kehrt der Küchengott an diesem Tag in den Himmel zurück, um dem Jade-Kaiser Bericht über jeden Haushalt im vergangenen Jahr zu erstatten. Je nach Bericht entscheidet dann der Jade-Kaiser – auch Himmelsgott genannt –, ob die betreffende Familie belohnt oder bestraft werden soll.
Bis auf den heutigen Tag hat sich der Brauch gehalten, dass dem Küchengott – mit einem kleinen Altar in Haus oder Wohnung – süsser Klebereis dargeboten wird, um ihn milde zu stimmen. Einige Leute in Beijing – darunter Ihr Korrespondent – bieten dem Küchengott nebst Klebereis auch ein wenig Alkohol dar, damit er dann beim Jade-Kaiser leicht besäuselt nur das Beste erzählt.
Bis zum Anbruch des Neuen Jahres gilt es auch „den Staub zu wischen“, um Armut und Unglück zu entfernen. Das Haus oder die Wohnung wird dann mit roten Scherenschnitten, gekauft oder noch besser selbst verfertigt, geschmückt. Schulden müssen noch beglichen werden. Auch ein Haarschnitt vor Chunjie ist dringend geboten, denn im ersten Monat nach Neujahr bringt das Haareschneiden Unglück. Für Kinder und Verwandte und Freunde müssen Hongbaos vorbereitet werden, rote Papiertäschchen mit etwas Geld gefüllt.
Ein ganzes Huhn
Am Abend vor Neujahr wird im Kreise der Familie ausgiebig gegessen. Auch hier sind alte Bräuche zu beachten. Ein ganzes Huhn etwa ist als Zeichen der Familieneinheit geboten. Natürlich dürfen auch Fisch (Prosperität, Überfluss, Wohlstand), Nudeln (langes Leben) oder Klebereis (gut fürs Geschäft) nicht fehlen. Auch müssen noch die Jiaozi (Teigtaschen) für den Neujahrstag vorbereitet werden.
In den Tagen nach Neujahr werden dann Verwandte und Freunde besucht. Auch hier steht reichhaltiges Essen im Vordergrund. Denn in China hat und hatte Essen stets eine besondere Bedeutung. Die Zeit der Hungersnöte liegt erst 60 Jahre zurück. Essen ist wohl auch deshalb ein Statussymbol und es wird an Essen nicht gespart. Im Gegenteil, es wird immer viel aufgetischt, dergestalt, dass immer noch was übrig bleibt.
„Eine Suppe – vier Gerichte“
Der Abfall ist besonders an Chunjie sehr gross. Jährlich wurden von 2013 bis 2015, wie die Chinesische Akademie für Sozialwissenschaften in einem Bericht feststellt, 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, genug um 30 bis 50 Millionen Menschen für ein ganzes Jahr zu ernähren. Seit Jahren ermahnen deshalb die Behörden zur mehr Frugalität. Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping hat deshalb schon vor vier Jahren an Partei- und Regierungskader für offizielle Bankette folgendes Menu erlassen: „Eine Suppe – vier Gerichte“. Ob das auch eingehalten wird? Man darf zweifeln.
Am Abend es 15. Februar wird jedoch nicht nur ausladend diniert. Denn bei der festlichen Tafel läuft gewiss auch ab acht Uhr abends das Fernsehen. Seit 1983 nämlich sendet CCTV – jawoll, ein richtiges Staatsfernsehen – eine viereinhalbstündige Neujahrsgala mit allem was dazu gehört. Es ist die grösste Show on Earth mit einer Einschaltquote von 700 Millionen Zuschauern und Zuschauerinnen (2017). Als der mächtigste Mann Chinas, Parteichef Xi Jinping, allenfalls in Parteikreisen bekannt war, war seine Frau Peng Liyuan bereits ein chinesischer Superstar. Sie wurde von Hunderten von Millionen von Chinesinnen und Chinesen bewundert und verehrt. Niemand sang so schön die roten, revolutionären Volkslieder wie eben Peng Liyuan.
Der Hund bellt am 16. Februar ein vielversprechendes Neues Jahr ein. Er landet übrigens in China nicht mehr, wie viele Westler noch immer vermuten, oft in der Pfanne. Im Reich der Mitte ist der Hund inzwischen – ähnlich wie im Appenzell – zum besten Freund des Menschen geworden.