Mit einem eindringlichen und leidenschaftlichen Appell richtete sich der ukrainische Präsident am Mittwochnachmittag per Video an die Abgeordneten und Senatoren des amerikanischen Kongresses. Da die USA eine Flugverbotszone ablehnten, weil sie keinen direkten Konflikt mit Russland wollten, forderte er die Lieferung hochentwickelter Luftabwehrsysteme und Kampfflugzeuge. Zusätzlich sprach er sich für weitere Sanktionen gegen Russland aus, «bis die russische Militärmaschine zum Stillstand kommt».
In Anlehnung an Martin Luther Kings Satz «I have a dream» sagte Selenskyj «I have a need». Die Sicherheit der Ukraine sei bedroht, so wie die Sicherheit der USA in Pearl Harbour und am 11. September 2001 bedroht gewesen sei.
Zum Abschluss seiner Rede wandte er sich direkt und in englischer Sprache an Biden. Er dankte ihm für die Unterstützung der USA, forderte jedoch, mehr zu tun: «Der Führer der Welt zu sein, bedeutet, der Führer des Friedens zu sein.» Selenskjy fügte bei: «Wir brauchen Sie genau jetzt.»
Wird laufend aktualisiert
- Theater in Mariupol mit Hunderten Schutzsuchenden bombardiert
- Selenskyj vor dem US-Kongress: «To be the leader of the world is to be the leader of peace.»
- Der internationale Gerichtshof fordert Russland auf, den Krieg zu stoppen
- Kiew sagt Nein zum Neutralitäts-Modell
- «Grosse russische Verluste»
- Weitere Angriffe auf Kiew
- Marina Owsjannikowa ist besorgt um ihre Sicherheit
- Trotz schwerer Kämpfe: 20'000 aus Mariupol evakuiert
- Mehr als 3 Millionen Flüchtlinge
Weitere 800 Millionen
Präsident Biden will weitere 800 Millionen Dollar für die Sicherheit der Ukraine zur Verfügung stellen. Dies gab das Weisse Haus nach Selenskyjs Rede offiziell bekannt. Die Ukraine fordert vor allem Flugabwehrbatterien, um russische Kampfflugzeuge abschiessen zu können.
Theater bombardiert
In der südukrainischen Stadt Mariupol hat ein russisches Kampfflugzeug ein Theater bombardiert, in dem nach unbestätigten Meldungen Hunderte Zivilisten Zuflucht gesucht haben. «Ein weiteres entsetzliches Kriegsverbrechen in Mariupol», twitterte der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba. Das Gebäude sei vollständig zerstört. «Die Russen müssen gewusst haben, dass dies ein ziviler Unterschlupf war.» Bilder zeigen ein weitgehend zerstörtes Gebäude.
Die Stadtverwaltung von Mariupol, die ein Bild des zerstörten Gebäudes veröffentlichte, erklärte, die russischen Streitkräfte hätten «zielgerichtet und zynisch das Schauspielhaus im Herzen von Mariupol zerstört».
«Das Flugzeug warf eine Bombe auf ein Gebäude, in dem sich Hunderte von friedlichen Einwohnern von Mariupol versteckt hielten», erklärte die Stadtverwaltung.
Entführerter Bürgermeister wieder frei
Der Bürgermeister der ukrainischen Stadt Melitopol, der letzte Woche von russischen Truppen mit einem Sack über dem Kopf aus seinem Büro gezerrt wurde, ist nach Angaben des Leiters der ukrainischen Präsidialverwaltung, Andrij Jermak, wieder frei. Vom 33-jährigen Iwan Fjodorow fehlte tagelang jede Spur. Jermak sagte am Mittwoch, dass Fjodorow in Sicherheit sei und mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Zelensyj gesprochen habe. Hunderte Einwohner von Melitopol hatten gegen die Entführung protestiert. Die neue pro-russische Bürgermeisterin der Stadt rief die Bewohner dazu auf, die neuen Realitäten anzuerkennen.
Mindestens zehn Tote in Tschernihiw
Bei einem Granatenangriff in der nördlichen Stadt Tschernihiw starben am Mittwoch mehr als zehn Menschen, wie der Gouverneur der Region mitteilte. Nach Angaben der ukrainischen Medienorganisation Suspilne News und der US-Botschaft in Kiew standen die Menschen in der Schlange um Brot zu kaufen. Ein von Suspilne News verbreitetes Video zeigte etwa zehn Leichen vor einem Supermarkt. «Eine Granate ist eingeschlagen und mehr als 10 Menschen sind tot», sagte Viacheslav Chaus, der Gouverneur der Oblast Tschernihiw.
Den Krieg sofort stoppen!
Der internationale Gerichtshof fordert Russland auf, die militärische Gewalt in der Ukraine sofort zu beenden. Damit gibt das höchste Gericht der Uno in Den Haag der Ukraine recht. Das Gericht hat jedoch kein Mittel, den Krieg zu stoppen. Die Ukraine hatte nach der Invasion Russlands ein Dringlichkeitsverfahren angestrengt, um ein Ende der Gewalt zu erreichen. Russland boykottierte die Anhörung. Präsident Selenskjy bezeichnet das Urteil als «kompletten Sieg».
«Kiew will Massenvernichtungswaffen»
Präsident Wladimir Putin hat in einer vom Fernsehen übertragenen Rede erneut behauptet, «das Pro-Nazi-Regime in Kiew sei dabei, sich Massenvernichtungswaffen zu beschaffen». Und das Ziel «wäre natürlich Russland gewesen».
Ukrainisch-russische Gespräche
Die am Montag begonnene vierte Verhandlungsrunde zwischen einer ukrainischen und einer russischen Delegation werden heute Mittwoch weitergeführt. Die Gespräche finden über eine Video-Schalte statt. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj sagte am Dienstagabend, die Diskussionen seien «realistischer» geworden. Präsident Putin hingegen hatte erklärt, die ukrainische Delegation halte stur an ihren Positionen fest.
Die britische Aussenministerin Liz Truss erwartet nicht allzu viel von den Gesprächen. «Ich bin skeptisch, solange Putin noch immer Krieg führt», sagt sie der BBC am Mittwochmorgen. Putin müsse «um jeden Preis» gestoppt werden.
Der russische Aussenminister Sergej Lawrow sagte, die Unterhändler würden «konkrete Formeln» diskutieren. Es gehe um einen «neutralen Status» der Ukraine und um Sicherheitsgarantien. Es bestehe eine «gewisse Hoffnung, dass ein Kompromiss erzielt werden kann». Diese Aussage steht im Gegensatz zu einer Erklärung von Wladimir Putin, der am Dienstag sagte, er sehe «kein ernsthaftes Engagement» der ukrainischen Seite.
Kiew sagt Nein zum Neutralitäts-Modell
Gemäss russischen Angaben werde darüber diskutiert, ob die Ukraine ein neutraler Staat à la Schweden oder Österreich mit einer eigenen Armee werden soll. Dies wäre ein «Kompromiss», sagte der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Laut der französischen Nachrichtenagentur AFP lehnt die Ukraine diesen Kompromiss ab.
Laut der Financial Times arbeiten beide Seiten an einem 15 Punkte-Plan. Die Gespräche gehen am Donnerstag weiter.
«Grosse russische Verluste»
Der Geheimdienst des britischen Verteidigungsministeriums erklärt am Mittwochmorgen, die ukrainische Armee habe den russischen Truppen «schwere Verluste» beigefügt. Die Ukrainer hätten taktisch die russischen Schwächen ausgenutzt. Den Russen sei es noch immer nicht gelungen, den Luftraum unter ihre Kontrolle zu bringen.
Der ukrainische Generalstab erklärte, die russische Armee habe bereits 40 Prozent ihrer Einheiten verloren. Die Ukrainer seien jetzt in mehreren Gebieten dabei, Gegenoffensiven zu lancieren. Das ändere die Lage «radikal», erklärte Mychailo Podolyak, ein enger Berater von Präsident Selenskyj. Überprüfen lassen sich diese Angaben nicht.
Abschied
Auf dem Friedhof von Boryspil bei Kiew verabschieden sich Soldaten von Oberst Valertjy Gudz. Er war am Dienstag bei Kämpfen im Südosten der Hauptstadt ums Leben gekommen. Wie viele Opfer der Krieg bisher in der ukrainischen Armee gefordert hat, ist nicht klar. Präsident Wolodimir Selenskyj spricht von 1’500 Toten. Auf russischer Seite sind nach Angaben westlicher Geheimdienstkreise mindestens 4’000 Soldaten ums Leben gekommen. Selenskyj spricht von 12’000.
Neue Detonationen in Kiew
In der Hauptstadt waren auch am Mittwochmorgen mehrere heftige Explosionen zu hören, die vermutlich von eingeschlagenen Raketen herrühren. Rauchsäulen stiegen im Westen der Stadt auf. Getroffen wurde ein zwölfstöckiges Wohngebäude. Feuerwehrleute sind dabei, einen Brand im oberen Teil des Wohnturms zu löschen.
Wegen der seit Dienstagabend geltenden Ausgangsperre können sich auch Medienvertreter nicht frei in der Stadt bewegen. Deshalb fehlen zurzeit detaillierte Informationen. Am Dienstag hatten russische Truppen mehrere Wohngebiete mit Raketen beschossen.
230 Euro Busse
Marina Owsjannikowa ist besorgt um ihre Sicherheit und jene ihrer zwei Kinder. Dies erklärt die 44-Jährige in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. Sie habe aber nicht vor, Russland zu verlassen. Sie hoffe, dass ihr Protest nicht umsonst gewesen sei und den Russen die Augen öffne.
Die russische Fernseh-Redaktorin, die am Montagabend in der Hauptausgabe der russischen «Tagesschau» ein Plakat mit einem Anti-Kriegsslogan hochgehalten hatte, war am Dienstagabend zu einer Busse von 230 Euro verurteilt worden.
Nach ihrer Aktion wurde Marina Owsjannikowa nach eigenen Angaben 14 Stunden lang verhört, konnte dann aber nach Hause gehen.
Beobachter sind erstaunt über das «milde» Urteil. Menschenrechtsorganisationen fürchteten eine drakonische Strafe. Zunächst war vermutet worden, die Redakteurin könnte nach einem umstrittenen neuen Gesetz wegen Diffamierung der russische Armee verurteilt werden. Dabei würden ihr bis zu 15 Jahre Haft drohen. Russische Awälte befürchten, dass die 230-Euro-Busse «nicht das Ende der Geschichte» ist.
Russische Medien erklärten nur, eine «Pazifistin» habe die Hauptnachrichten gestört.
Mehrere Medien zeigen ein Bild von Marina Owsjannikowa mit Anton Gashinsky, einem ihrer Anwälte. Das Foto wurde zuerst auf Telegram publiziert. Es wurde offenbar nach dem Verhör und ihrer Freilassung aufgenommen.
Geiselnahme in Mariupol
Russische Soldaten haben in einem Spital in Mariupol Ärzte, das Pflegepersonal und Patienten als Geiseln genommen. Dies berichtete am Dienstag die NGO «Media Human Rights Initiative». Die ukrainische Vize-Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk sagte am Mittwoch, betroffen seien 400 Patienten und Spital-Angestellte. Die russischen Soldaten hätten im Spital Artillerie in Stellung gebracht. Niemandem würde erlaubt, das Gebäude zu verlassen, erklärte die Media Human Rights Initiative. Einigen verletzten Patienten soll es gelungen sein, das Gebäude kurzfristig zu verlassen. Sie wurden später mit Schusswunden zurückgebracht, schreibt die NGO auf Facebook.
20’000 aus Mariupol geflüchtet
Aus der schwer umkämpften südrussischen Stadt Mariupol ist nach ukrainischen Angaben 20’000 Menschen die Flucht gelungen. Sie hätten in Privatautos die Stadt verlassen können. Rund um Mariupol toben weiterhin heftige Kämpfe. Die meisten Strassen sind vermint. Den russischen Truppen ist es gelungen, in Vororte der Stadt einzudringen.
Nach Angaben von Hilfsorganisation herrschten in der Stadt «apokalyptische Zustände». Mindestens 200’000 Menschen seien dringend auf Hilfe angewiesen. Es fehle an Elektrizität, sauberem Wasser, Medikamenten und Nahrungsmitteln. Die Toten würden in Löchern vergraben. Mehrere Versuche, sichere «humanitäre Korridore» einzurichten, sind bisher gescheitert. Immer wieder wurde auf Flüchtende geschossen. Vor dem Krieg lebten in Mariupol über 400’000 Menschen.
Schwere Kämpfe um Charkiw
In der zweitgrössten ukrainischen Stadt dauern die schweren Kämpfe an. Nach Angaben der Regionalverwaltung seien seit Beginn des Krieges 500 Zivilisten getötet worden. Überprüfen lassen sich diese Meldungen nicht.
Die tatsächliche Zahl der Toten könnte viel höher sein, erklärt die Katastrophenschutzbehörde. In den Trümmer von Wohnvierteln würde weiterhin nach Leichen gesucht. Immer wieder komme die Stadt unter Beschuss.
Selenskyj: «Kommt uns besuchen»
Nach dem Besuch des polnischen, tschechischen und slowenischen Ministerpräsidenten in Kiew hat Präsident Selenskyj andere hohe Politiker gebeten, Kiew zu besuchen und ihre Solidarität mit der Ukraine zu bezeugen.
Die Ministerpräsidenten von Slowenien, Polen und Tschechien waren am Dienstag in geheimer Mission von Polen aus mit dem Zug nach Kiew gereist und hatten dort an einem unbekannten Ort mit Selenskyj und seinen Mitarbeitern konferiert. Sie sind am Mittwochvormittag wohlbehalten wieder in Polen angekommen.
«Internationale Friedensmission»
Der polnische Vize-Regierungschef Jarosław Kaczyński spricht sich nach seinem Besuch in Kiew für eine «bewaffnete internationale Friedensmission» in der Ukraine aus, möglicherweise unter Führung der Nato. Westliche Verbündete, wie die USA, Deutschland und Frankreich, schliessen allerdings eine Beteiligung der Nato am Krieg in der Ukraine aus.
Mehr als drei Millionen Flüchtlinge
Laut den am Dienstag veröffentlichten neuesten Erhebungen des Uno-Hochkommissariats für Flüchtlinge UNHCR hat die Zahl der Ukraine-Flüchtlinge die Drei-Millionen-Grenze überschritten. Bis Dienstagmittag wurden 3’000’381 Flüchtlinge gezählt. Allein Polen hat 1,83 Millionen aufgenommen.
Standhafte Ukrainer in Mykolajiw
Nach einem Bericht der Washington Post haben ukrainische Verbände russische Vorstösse in der südukrainischen Stadt Mykolajiw zurückgedrängt, dies, obwohl die Stadt seit einer Woche bombardiert wird. Mykolajiw liegt östlich von Odessa. Solange die Russen die Stadt nicht erobert haben, wird es ihnen laut örtlichen Beamten schwer fallen, Odessa anzugreifen. Vor Odessa, einem der grössten Schwarzmeerhäfen, liegen russische Kriegsschiffe. Doch ohne Bodenunterstützung im Osten würden sie wohl kaum einen Angriff auf die Hafenstadt wagen, sagt ein Beamter laut der Washington Post.
Russland, mehr und mehr isoliert
Russland hat offiziell mitgeteilt, dass es aus dem Europarat austritt. Nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine war Russland aus dem Rat ausgeschlossen worden. Marija Pejcinovic Buric, die Generalsekretärin der Organisation, sagte nach der russischen Invation, dass der Krieg «gegen alles, wofür wir stehen, verstösst und eine Verletzung unserer Satzung und der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt». Der Europarat war 1949 gegründet worden und gilt als wichtige europäische Institution für Menschenrechte.
Schröders «Trauerspiel»
Die Vermittlungsbemühungen des früheren deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder seien «ein Trauerspiel» gewesen. Dies erklärt Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Deutschland der Deutschen Presse-Agentur dpa. Die Ergebnisse seien absolut nutzlos. «Die Sache ist für uns endgültig erledigt», sagte der Botschafter.
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