Seit einer Woche befindet sich einer der einflussreichsten Offiziere Algeriens im Militärgefängnis von Blida, 50 Kilometer von Algier entfernt. Dies meldet die Zeitung „Al-Watan“ und beruft sich auf Angaben der Familie und des Anwalts. Der Offizier wird "General Hassan" genannt. Sein wirklicher Name ist Abdelqader Ait Ouarab.
"General Hassan" ist ein viel gefeierter Anti-Terror-Kommandant, der für zahlreiche Anti-Terror-Operationen verantwortlich war. Seine letzte war jene in der Erdgasförderstation von Aménas in der Sahara, die am 16. Januar 2013 überfallen wurde. Terroristen hielten über hundert internationale Mitarbeiter der Förderanlage als Geiseln. Bei der Befreiungsaktion starben 39 Geiseln, ein Sicherheitswächter und 29 Geiselnehmer.
DRS - ein entmachtetes Machtzentrum
General "Hassan" hatte zwanzig Jahre lang als Anti-Terror-Kommandant gewirkt. Sein Anwalt sagt, er habe keine Anklage gesehen und den Gefangenen auch nicht besuchen können. Gegenüber „Al-Watan“ erklärte der Anwalt: "Jedermann weiss, dass es da um eine Abrechnung zwischen der DRS und der Präsidentschaft handelt“.
Die DRS (Direction du Renseignement Sécuritaire) wird seit 24 Jahren von dem heute 75-jährigen "General Toufik" geleitet. „Toufik“ heisst mit wirklichem Namen Mohamed Mediène. Er galt als allmächtig, ist aber nie öffentlich in Erscheinung getreten. „Toufik“ hatte sich der dritten Wiederwahl von Staatspräsident Bouteflika widersetzt. Bouteflika hatte sich trotz seines hohen Alters (er ist heute 78 Jahre alt) am 17. Februar 2014 erneut zu Wahl gestellt und wurde gewählt. Er gilt als schwer krank und sitzt in Rollstuhl. In einem dreiseitigen offenen Brief erklärte "Toufik" damals, ein Machtwechsel an der Spitze des Staates sei wünschenswert.
Umbesetzung in leitenden Positionen
Hinter dem Präsidenten steht der Stabschef der Armee, General Ahmed Qaid Salah. Auch Bouteflikas Bruder, Said, der als sein persönlicher Arzt wirkt, zieht die Fäden. Der Staatspräsident soll, so wird spekuliert, seinen Bruder als seinen Nachfolger aufbauen. Doch das sind blosse Gerüchte. Nach wie vor ist es die Armee, die die Machtkämpfe bestimmt.
Schon vor der dritten Wiederwahl Bouteflikas wurde „General Toufik“ geschwächt. Er verlor wichtige Mitarbeiter, von denen einige zum Präsidenten „übergelaufen“ seien. Sie sollen die Präsidentschaft mit vertraulichen Interna aus der DRS versorgt haben. Nach der Wiederwahl Bouteflikas am 17. Februar 2014 ging die Umbesetzung leitender Positionen weiter. Vertraute "Toufiks" wurden versetzt oder in die Frühpension geschickt. Besetzt wurden die Posten mit neuen Offizieren, die als „neutral“ in den Auseinandersetzungen galten.
Entmachtung
Zu den Frühpensionierten gehörten der Chef der Spionageabwehr und der Sicherheitschef der Präsidentschaft. Der DRS wurden auch Machtbereiche entzogen, so die Kompetenz, von sich aus Anklagen zu erheben. Dafür ist jetzt die Staatsanwaltschaft zuständig. Für die „innere Sicherheit“ und die Spionageabwehr ist nun die Armee verantwortlich.
Ziel dieser Neuorganisation war offenbar, „Toufik“ zu entmachten, ohne direkt gegen ihn vorzugehen. Die Festnahme des Anti-Terror-Generals "Hassan", der „Toufik“ nahestand, dürfte der vorläufige Höhepunkt dieser Bemühungen sein.
Gehorsamsverweigerung
Im Internet findet man Berichte, wonach „General Hassan“ schon im Februar des vergangenen Jahres angeklagt worden sei.
Er müsse sich vor dem Militärgericht in Blida verantworten wegen "unerlaubter Bereitstellung von Kriegswaffen, Gehorsamsverweigerung und Zurückhaltung von Informationen", heisst es. Schon damals war er seines Postens enthoben worden. Doch nun wurde er festgenommen, ohne dass eine Bestätigung der erwähnten Anklagen durch offizielle Stellen erfolgt wäre. Im Internet ist auch die Rede von "einem Unfall" in einem der Präsidentenpaläste. Schüsse seien gefallen. Doch alles ist unklar.
Kritik an der Verfassungsänderung
Was man mit Sicherheit sagen kann, ist, dass ein Ringen zwischen "der Präsidentschaft" und der DRS stattfindet. Generalstabschef, Ahmed Gaid Salah, steht auf Seiten der Präsidentschaft. Nach und nach entzieht er dem Chef der DRS Kompetenzen und Mitarbeiter und entmachtet ihn so schrittweise.
Zu den Parteigängern "Toufiks" gehört auch General Liamine Zéroual. Er lebt heute zurückgezogen und war einst Kommandant der Bodentruppen während des Bürgerkriegs. Später stand er der herrschenden Militärjunta vor und war als solcher der Vorgänger von Bouteflika in der Funktion eines Staatschefs. Zéroual hatte, wie "Toufik", das Vorgehen Bouteflikas kritisiert, als dieser die Verfassung umschreiben liess, um erneut als Staatspräsident kandidieren zu können.
Ende de alten Garde?
General Salah amtet als Generalstabschef und als Stellvertretender Verteidigungsminister. Präsident Bouteflika ist nicht nur Staatspräsident, er ist auch Verteidigungsminister. Doch beide Funktionen kann der kranke Bouteflika wohl nicht ausüben. Deshalb ist in Algerien derzeit mehr von "der Präsidentschaft" als vom „Präsidenten“ die Rede, wenn die oberste Macht im Staat bezeichnet wird.
Die Gefangennahme „General Hassans“ ist offenbar ein weiterer Schritt, vielleicht der letzte, um die Kritiker von Bouteflikas dritter Wiederwahl zu entmachten. Die "Präsidentschaft" hat offenbar das Ringen mit gewonnen.
"Le pouvoir"
Algerien steht am Ende einer Epoche. Die letzten dreissig Jahre waren geprägt vom Bürgerkrieg zwischen der Armee und der FIS (Front du Salut Islamique). Nach langen grausamen Jahren des inneren Krieges gewannen die Armee-Offiziere die Oberhand und richteten ihr Regime ein. Offiziell dauerte der Bürgerkrieg von 1992 bis 1999, doch es gab jahrelang noch lange Nachwehen.
Die Offiziere hatten 1999 Bouteflika als ziviles Staatsoberhaupt eingesetzt. Er sollte eine Politik der Beruhigung und der Versöhnung einleiten. Hinter ihm formierten sich die Offiziere und bildeten das, was man in Algerien „le pouvoir“ nannte.
Einst mehr Macht als der Präsident
Doch die Offiziere des Bürgerkriegs starben langsam weg, und Bouteflika konnte allmählich seine Macht ausbauen. Doch die Armee blieb und bleibt eine unumgängliche Stütze der zivilen Regierung.
General "Toufik", der DRS-Chef, der jetzt entmachtet wird, ist ein Altersgenosse des Präsidenten. Er war 1990, kurz vor dem Bürgerkrieg, in seine Position aufgerückt, die er seither bewahrte. Er hatte offenbar bis in die jüngste Zeit mehr Macht als der Präsident, weil er – selbst ein Militär – sich auf die Generäle des Bürgerkriegs stützen konnte.
Islamisten der neuen Generation
Der Bürgerkrieg gegen die Islamisten ist nie völlig abgeklungen. Stets gab es Widerstandsgruppen in den Weiten des inneren Algeriens mit ihren Gebirgen und Wüsten. Dieser Krieg ist in den letzten Jahren wieder aufgelebt. Die heutigen radikalen Islamisten haben sich zuerst al-Qaeda und nun teilweise auch schon dem „Islamischen Staat“ angeschlossen. Es gibt unter ihnen Veteranen aus der Zeit des algerischen Bürgerkrieges. Waffen erhalten sie aus Libyen. Auf der Südseite der Sahara stehen sie in Verbindung mit den Islamisten von Mali, welche die französische Armee zu bekämpfen versucht.
Im Sommer brachen im M’zab-Tal, 600 Kilometer südlich von Algier, Unruhen aus. Berber der Stadt Ghardaia stiessen mit arabophonen Nachbarn zusammen. Es geht um Landbesitz, doch es gibt auch Religionsgegensätze. Die Berber folgen einer besonderen Sekte des Islams. Sie sind Ibaditen, die sich auf die historische Bewegung der Kharidschiten berufen. Die arabophonen Stämme hingegen sind Sunniten, was neuerdings, angesichts der Radikalisierungstendenzen im Sunnismus, von explosiver Bedeutung geworden ist.
Bei einem Zusammenstoss am 8. Juli starben 23 Menschen, 300 weitere wurden verwundet. Nachdem auch Waffen eingesetzt worden waren, griff die Armee ein und übernham die lokale Macht. Der Gründer einer "Bewegung für Autonomie des M’Zab", Kamaleddin Fekhar, wurde zusammen mit 23 Anhängern gefangengenommen. Er soll Unterstützung von Gesinnungsgenossen in Marokko gesucht haben. Deshalb sei er angeklagt worden, doch auch diese Anklage liegt nicht offiziell vor.
Der sinkende Ölpreis
Wirtschaftlich konnte Algerien in den 15 Jahren der Präsidentschaft Bouteflikas wachsen, jedoch fast nur wegen des hohen Erdölpreises.
Seitdem dieser sinkt, ist der Staat darauf angewiesen, die Reserven anzugreifen, die während der guten Jahre angehäuft worden waren. Doch nicht nur der sinkende Ölpreis belastet die Wirtschaft. Algerien sah sich gezwungen, die staatlichen Subventionen für Grundnahrungsmittel sowie die Gehälter der Staatsangestellten zu erhöhen. So wollte man Demonstrationen, wie sie 2011 im benachbarten Tunesien und dann in andern arabischen Ländern stattfanden, gar nicht aufkommen lassen.
Mit Erfolg. In Algerien fanden damals nur kleinere Demonstrationen statt. Doch sie flauten bald ab. Einerseits wurden sie von der Polizei erstickt, andererseits trugen wirtschaftliche und politische Konzessionen dazu bei. Dazu gehörte, dass der Ausnahmezustand, der seit 1992 in Kraft war, offiziell aufgehoben wurde. Dies hatte allerdings, angesichts der bestehenden Machtverhältnisse, vor allem symbolischen Charakter.
Korruption
Es gab und gibt weiterhin zahlreiche Korruptionsskandale. Die Bevölkerung verdächtigt oberste Regierungs- und Armeekreise, korrupt zu sein. Von den vom Staat gelenkten Medien ist nicht zu erwarten, darüber aufgeklärt zu werden. Durch diese Nicht-Informationen werden die Verdächtigungen in der Bevölkerung weiter geschürt.