Seien es Kleider, Schmuckstücke, Uhren, Möbel, Autos oder simple Gebrauchsgegenstände – was aussieht, als ob es aus dem Secondhand-Laden, dem Flohmarkt oder Grossmutters Dachboden käme, findet reissenden Absatz. Schauspielerinnen wandeln in Designermodellen aus den 1980er-Jahren über die roten Teppiche der Welt. Oldtimer-Wagen erzielen auf Auktionen Höchstpreise in Millionenhöhe. Antiquitäten sowieso. Und das klobige schwarze Telefon, dessen Wählscheibe beim Zurückdrehen Töne von sich gab, die mich in Kindertagen stets an einen leise knatternden Motor erinnerten, erlebt in gar manchem Haushalt eine Auferstehung. Alt ist in – überall, bloss nicht beim Alter selbst.
Der Vergänglichkeit ein Schnippchen schlagen?
Eigentlich ist es paradox: Alle wollen wir lange leben, aber niemand möchte alt sein. Oder zumindest nicht so aussehen. «Alter ist nichts als eine Zahl», kommentiert ein amerikanisches Magazin sein Titelbild, das ein 63-jähriges ehemaliges Supermodel mit ihren 31- und 18-jährigen Töchtern zeigt, allesamt in Badekleidern, bei denen der Stoff eine absolute Nebenrolle einnimmt. Wer nun Mutter und wer Tochter ist, erschliesst sich erst auf den vierten Blick.
Wie berechnet man 17 Prozent Faltenminderung?
Zugegeben, das Bild, das auch den Weg in die hiesigen Medien wie etwa den «Tagi» gefunden hat, ringt der geneigten Betrachterin Staunen ab. Allerdings weicht dieses nach kurzem Nachdenken der Frage: Warum denn eigentlich? Warum weckt der Anblick eines 63-jährigen Körpers, der aussieht, als ob er halb so alt wäre, Bewunderung, Anerkennung, ja vielleicht sogar eine gewisse Begehrlichkeit? Ist es der Wunsch, auch in fortgeschrittenem Alter noch so auszusehen, wie wir noch gar nie ausgesehen haben? Ist es das Bestreben, für immer jung zu bleiben? Oder gar jenes, der Vergänglichkeit, der wir schon rein biologisch ausgesetzt sind, ein Schnippchen zu schlagen?
Dabei wissen wir doch, dass der Jungbrunnen, in den wir so gerne steigen möchten, hauptsächlich aus Botox, Skalpell, Silikon und Photoshop besteht. Oder aus Faltencrèmes, die 17 Prozent weniger Falten in vierzehn Tagen versprechen. (Nur am Rande vermerkt: Noch habe ich nicht herausgefunden, wie man eine Faltenverminderung von 17 Prozent berechnet, geschweige denn sichtbar macht. Vermutlich liegt das daran, dass ich mich ob der Faltenmenge in meinem Gesicht ständig verzähle beziehungsweise aufgrund des altersbedingten Gedächtnisschwunds nicht mehr weiss, wie viele Runzeln vierzehn Tage vorher vorhanden waren.)
Flucht in Plattitüden
Wir leben in einer Zeit, in der älter zu werden offenbar ein Makel ist. Um diesem zu entgehen, greifen wir nach jedem Strohhalm in Reichweite. Wir treiben Sport und überwinden dabei den inneren Schweinehund, der uns mit den Worten von Winston Churchill (der übrigens 91 Jahre alt geworden ist) zuflüstert: «Sport ist Mord.» Wir ernähren uns gesund, nicht selten auf Kosten von Genuss und damit einhergehendem Wohlgefühl, um dem Zahn der Zeit, der an uns nagt, einige Momente abzuringen.
Wir flüchten uns in Plattitüden, nach denen man so alt sei, wie man sich fühle. Und verdrängen dabei die unabänderliche Tatsache, die eine Gerechtigkeit, die es für alle Menschen gibt: Wir werden mit jedem gelebten Tag einen Tag älter. Und wir haben keine Chance – faltenfrei oder nicht, mit oder ohne Lifting –dem Fakt zu entgehen, dass wir letztendlich früher oder später dazu verdammt sind, ebenso zu verwelken wie der Schnittblumenstrauss, den wir in Wasser stellen, das mit Frischhaltechemie angereichert ist.
Die Blüte des Alters
Muss uns das Angst machen? Wohl kaum. Wer mit alten Menschen, die sich auf der letzten Strecke ihres Lebenswegs befinden, in nähere Berührung kommt, der weiss, dass irgendwann das innere Sein dem äusseren Schein den Rang abläuft. Dass auf verlorenem Posten steht, wer das Rennen um Jugendlichkeit und Schönheit partout nicht aufgeben will. Dass die Falten in einem alten Gesicht Zeugen eines gelebten Lebens sind; dass sie Geschichten erzählen von Sorgen ebenso wie von Lachen.
Alter ist nicht nur eine Zahl, Alter ist auch eine Errungenschaft, die es auszukosten gilt. Wenn Retro-Chic schon in ist, schweifen wir doch etwas weiter zurück als bloss ins letzte Jahrhundert und halten uns – wohl wissend um alle Nachteile und Lasten des Älterwerdens – etwa an den griechischen Philosophen Demokrit, der da sagte: «Die Blüte des Alters aber ist die Weisheit.»