Die Pioniere, die seinerzeit an der Delegiertenversammlung der Schweizerischen Lebensrettungsgesellschaft im „Bären“ in Twann am Bielersee die Rettungsflugwacht gegründet haben, hätten „Weitsicht, Herzblut und Solidarität gezeigt“, hielt der heutige Stiftungspräsident Ulrich Graf anlässlich der Geburtstagsfeier im Hangar des REGA-Centers fest. Und CEO Ernst Kohler betonte nicht ohne Stolz, die REGA sei heute die wohl beliebteste identitätsstiftende Organisation der Schweiz.
Imagemässig hat er recht: Noch vor dem Schweizerischem Roten Kreuz und der Glückskette figuriert auch im neusten Spendenbarometer die REGA – eine polyglotte Wortkonstruktion aus Rettungsflugwacht und Garde Aérienne - an erster Stelle der Bekanntheit und Beliebtheit. Auch die finanzielle Unterstützung macht die Retter aus der Luft sorgenfrei: 2,4 Millionen Gönnerinnen und Gönner unterstützen zurzeit die REGA, die das letzte Jahr mit einem Gewinn von 16,5 Millionen Franken abgeschlossen hat. Dieser Betrag fliesst in die Investitionsreserven.
14'240 Einsätze
Die REGA war 2011 gefragt wie noch nie: Die 17 Rettungshelikopter waren 10'797 Mal Einsatz. Während die Flüge für Lawinenunglücke zurückgingen, nahmen jene für Krankheiten und Unfälle zu. Vor allem bei Sport- und Bergunfällen könne dies auf die guten Wetterverhältnisse im letzten Sommer zurückgeführt werden, erklärt REGA-Chef Ernst Kohler. Noch nie flog die REGA so viele Primäreinsätze (6351, Zunahme 8,7 Prozent) und noch nie musste sie so oft bei Nacht ausrücken. Die drei Ambulanzjets wurden 698 Mal eingesetzt. Im Durchschnitt stehen die Rettungshelikopter heute pro Tag fast 30 Mal im Einsatz. Die REGA beschäftigt dazu über 300 Angestellte - sechzig Piloten und dreissig Ärzte und weitere Rettungssanitäter.
Gefragt wie noch nie, keine Geldsorgen und grösste Beliebtheit – was will man mehr?
Service Public, den andernorts der Staat übernimmt
Der Meiringer Ernst Kohler – ausgebildeter Bergführer und Betriebsmanager, früher Rettungschef und heute noch Oberst bei der Luftwaffe – sieht jedoch keinen Grund, sich zurückzulehnen. Nachdem der Kampf gegen die Mehrwertbesteuerung vor dem Bundesgericht vorerst verloren gegangen ist, geht er mithilfe eines parlamentarischen Vorstosses weiter: „Es ist nicht akzeptabel, dass wir 180'000 Gönnerbeiträge für die Bezahlung der Mehrwertsteuer einsetzen müssen, nachdem wir einen Service Public leisten, den im Ausland der Staat finanziert.“
Das Unternehmen REGA ist sehr kostenintensiv: Die Erneuerung der Flotte kostet Millionen, alle Piloten werden auf Instrumentenflug (IFR) geschult, der einzige Agusta-Grand-New-Flugsimulator in Europa ist für 2013 vorgesehen, neue Nachtflugeinrichtungen verursachen auch am Boden (bzw. bei den Spitälern) hohe Kosten, weitere Investitionen benötigt der Ausbau des Internets.
TCS-Angebot „schlicht überflüssig“
Im Repatriierungsgeschäft hat sich mittlerweile Konkurrenz entwickelt. Seit kurzem bietet auch der TCS – der früher die REGA beauftragte – mit drei Helikoptern und zwei Ambulanzfahrzeugen Hilfe und Rückführungen an. Da wird Kohlers Kommentar bissig:
„Der TCS pickt einige Rosinen aus dem Kuchen – er bietet sinngemäss die rentable Intercity-Linie Zürich-Bern an. Sein Angebot ist schlicht überflüssig. Kurzfristig ist die Rega sicher nicht gefährdet. Mittel- und langfristig untergräbt der TCS die Finanzierung der Schweizer Luftrettung. Ob der TCS günstiger fliegen kann, ohne bei der Qualität oder Verfügbarkeit grosse Abstriche zu machen, bleibt abzuwarten. Das neue Angebot des TCS ist aus meiner Sicht vor allem aus der Marketing-Perspektive zu erklären.“
Sonderfall Wallis
Als unbefriedigend empfindet Kohler auch die Regelung im Wallis, wo die Luftrettung mit den kommerziellen Air Zermatt und Air-Glaciers kantonal organisiert ist. „Der Kanton Wallis hat entschieden, die Luftrettung selber zu machen. Er lässt sich das auch etwas kosten – und ist mit den Firmen Air Zermatt und Air-Glaciers anscheinend zufrieden. Die Rega würde es gratis machen – wie in der übrigen Schweiz ja auch. Unsere Rettungshelikopter sind für Patienten reserviert, genauso wie ein modernes Ambulanzfahrzeug. Die Walliser Unternehmen sind anderer Meinung; sie setzen ihre Helikopter auch für Transport- und Touristenflüge ein. Einen wichtigen Teil unseres Spektrums können sie deshalb nicht leisten: eine kritische Frühgeburt verlegen, auf der Autobahn einen Trauma-Patienten optimal versorgen. Wichtig für den Patienten ist: Die tägliche Zusammenarbeit mit Air Zermatt und Air-Glaciers klappt gut. Doch künftig wird es notwendig sein, auch strategisch zusammenzurücken. Wir arbeiten daran.“
Kohlers Visionen
CEO Ernst Kohler hat noch klarere Visionen: „Unser Gönnerausweis muss eines Tages so selbstverständlich sein wie die Identitätskarte. Rega gleich Schweiz, Schweiz gleich Rega. Kürzlich, in der Basis Berner Oberland, empfingen dreissig Ferienpass-Kinder den landenden Helikopter, drückten an der Scheibe ihre Nasen platt, hockten strahlend um den Heli herum. Es gilt, Kinder und Jugendliche für die Rega zu begeistern. Ich gehöre nicht zur Social-Media-Generation, meine Kinder schon. Via Internet wollen wir das Bewusstsein für die Rega schärfen. Wir müssen dort sein, wo die jungen Menschen auch sind.“
„1414“: REGA erhält Gesichter
Obige Ausführungen machte Ernst Kohler nicht als spontanen Schuss aus der Hüfte: Sie stehen im rechtzeitig zum Jubiläum erschienen Buch von Franziska Schläpfer „1414 – die Erfolgsgeschichte der REGA“, wo die Institution Gesichter erhält. Es sprechen eine Telefonistin, Gönnerbetreuerin, Rechnungsstellerin sowie Ärzte und Ärztinnen, Rettungssanitäter, Patienenbetreuerinnen – aber auch ein Verunfallter, ein Verschütteter und ein Verbrennungsopfer. Und wir lernen die Pioniere aus der Gründerzeit kennen: den Arzt Rudolf Bucher, den Buchdrucker, Alpinist und Pilot Fritz Bühler, die Waghalsigen Hermann Geiger, Sepp Bauer oder den damaligen Rettungsfallschirmspringer Walter Odermatt: „Als wir um die Bewilligung für ein erstes Übungsspringen am Jungfraujoch ersuchten, winkte das Luftamt ab: viel zu gefährlich in dieser dünnen Luft; ihr werdet runterfallen wie Steine. Sie hatten keine Ahnung. Wir mussten erst eine achtzig Kilo schwere Puppe am Schirm abwerfen. Das Luftamt stoppte die Zeit – und nickte.“
Tragische Versuche mit Rettungshunden
Aber wie Fallschirmrettungen mit Suchhunden bewerkstelligen? „Wir konstruierten eine Kiste mit Doppelboden, eine Vorrichtung, welche die Kiste beim Aufprall löste – und warfen Kiste samt Hund hinaus. Der Fallschirm öffnete sich – ein Windstoss fuhr hinein, die Kiste klinkte aus und stürzte ab. Der Hund war tot – der Tierschutzverein alarmiert… Wir versuchten es anders: Erst sprang der Hundeführer, ein paar Meter hinter ihm hing der Hund an einem zweiten Fallschirm. Auch das klappte nicht. Das Tier war verstört, desorientiert, untauglich für den sofortigen Einsatz. Sind wir in England nicht mit achtzig Kilo Gepäck abgesprungen? Wir schnallten die Hunde vor die Brust der Hundeführer. Sie sprangen zusammen ab, das wirkte beruhigend – und funktionierte.“
Franziska Schläpfer: 1414 - Die Erfolgsgeschichte der REGA und ihre Gesichter Verlag Wörterseh ISBN 978-3-03763-023-5