Die SRG ist unverzichtbar. Jedenfalls gehört die Unverzichtbarkeit zum Selbstverständnis der SRG und gilt Bundesrat und Parlament als Mass ihrer Medienpolitik. Noch. Was in Granit gemeisselt schien, wurde am 26. September 2014 erschüttert. Das Volk nahm das Bundesgesetz über Radio und Fernsehen mit der knappsten Mehrheit von 0,2 Prozent an; lediglich in acht Ständen wurde dafür votiert, in 18 dagegen.
Im Nachhall dieses Schusses vor den Bug entscheidet der Souverän am kommenden 4. März über die Initiative „Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren“. Es geht – während Jahrzehnten ein unpatriotischer, ungeheuerlicher und unsittlicher Gedanke – um Sein oder Anderssein der SRG.
Logik der Digitalisierung
Revolutionär ist die Fragestellung nicht. Sie ergibt sich aus der Logik der Digitalisierung. Überraschen kann nur, dass das Schicksal der SRG erst jetzt mit starker Resonanz debattiert wird.
Die SRG ist mit einer Tatsache konfrontiert, die andere Bereiche längst prägt und unerbittlich herausfordert. Die digitale Brandung erfasst unseren Alltag bis in den hintersten Winkel und lässt – unvollständig aufgelistet – bei den Zeitungen, den Banken, der Mobilität, im Detailhandel, im Tourismus, in der Industrie keinen Stein auf dem anderen.
Würde die SRG von den Umwälzungen verschont, wäre es ein Wunder, auf das zu hoffen weder Glaube noch Gebete ausreichen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der traditionellen Form durchläuft seine Endphase. Verlangt sind die Befreiung aus der Schockstarre und ein unbefangenes Nachdenken über den Sinn, der künftig gestiftet werden könnte.
Jedes Medium hat seine Zeit
Diese Notwendigkeit schmerzt und weckt den nostalgischen Traum von der Rückwärtsdrehung des Rades, verliert aber nichts von der überrollenden Kraft. Die Familien, die im trauten Halbkreis vor den Empfangsgeräten sitzen, sind Vergangenheit. Die Jungen zeigen den SRG-Programmen, auch wenn diese sich um Knackiges und Freches bemühen, die kalte Schulter. Die Gemeinde der Zuhörenden und Zuschauenden wird flüchtiger und älter.
Hingegen wächst die Zahl jener enorm, die sich audiovisuell mit dem iPhone, Laptop oder Tablet versorgen, die über Facebook, Twitter und Instagram kommunizieren, die Streaming Media schätzen und sich mit Spielkonsolen unterhalten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und Radio und Fernsehen überhaupt büssen massiv an Faszination, Attraktivität und Akzeptanz ein. Das sind die harten und handlungsbestimmenden Fakten.
Der Rundfunk, der Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Radio begann und nach dem Ersten Weltkrieg ums Fernsehen erweitert wurde, ist heute dort, wo einst die Produzenten von Stummfilmen und analogen Tonträgern waren, die Kinobesitzer, die Verleger von Zeitungen und Büchern: an einem Wendepunkt, der ein Umdenken und eine Neuorientierung erzwang. Jedes Medium hat seine Zeit.
Kampf auf verlorenem Terrain
Ausgerechnet jene politischen Kreise, die der SRG Schutz vor den Unbilden des Wettbewerbs garantieren wollten, manövrierten sie in die Sackgasse. Die SRG fühlte sich ermuntert, sich an ihr strukturelles Gestrüpp aus zentralistischen und föderalistischen, unternehmerischen und basisdemokratischen Komponenten zu klammern, sich mit der Vervielfachung ihrer Programme zu behaupten und auf einem Terrain zu kämpfen, das durch technologische Entwicklung und gesellschaftlichen Wandel auf einen Nebenschauplatz reduziert ist.
Von ihm aus wird es immer vergeblicher, dem Zusammenhalt der Willensnation zu dienen, zwischen den Generationen und den Bevölkerungsschichten Brücken zu schlagen und in der demokratischen Meinungsbildung die Führerschaft zu beanspruchen. In aller Nüchternheit: Tempi passati.
Verhängnisvoller Schutz
Vor diesem Hintergrund war es ein Schildbürgerstreich der Extraklasse, erstens die Konzessionsgebühren in eine Steuer umzuwandeln und zweitens die fiskalische Pflicht auf alle, auch auf Nichtbesitzer von Empfangsgeräten, und zusätzlich auf Unternehmen auszudehnen. Mit der Steuersenkung ab 2019 auf einen Franken pro Tag wird der psychologische Schaden nicht geheilt.
Als noch unglücklicher muss die Weigerung der Politik bezeichnet werden, vor der Abstimmung über das Radio- und Fernsehgesetz eine breite Debatte über Inhalt und Umfang des Service public zu führen. Es bleibt ein Unbehagen zurück, das auch die Abstimmung über die „No-Billag-Initiative“ belastet und wiederum die SRG in Mitleidenschaft zieht, die hätte abgeschirmt werden sollen.
Glaubwürdige Redimensionierung
Um am 4. März vom Regen nicht in die Traufe und von dort in die stürmische See zu geraten, werden die SRG und ihre Befürworter all ihre Kreativität für die Formulierung überzeugend frischer Argumente mobilisieren müssen. Ohne ins Programm geschmuggelte Abstimmungswerbung.
Die mit Klagen untermalte Verteidigung des Status quo genügt keinesfalls. Auch die Beschwörung der staatstragenden Rolle wird als Singsang verpuffen. Die laute Beteuerung, die Programmqualität zu verbessern, dürfte – weil ohnehin eine Daueraufgabe – als Ablenkungstaktik die Wirkung verfehlen.
Aus der alarmierenden Situation könnte sich die SRG befreien mit einem so glaubwürdigen wie raschen Bekenntnis zur Redimensionierung. Das ist die neue Unverzichtbarkeit und hiesse, sich als Alternative zu den kommerziellen Sendern zu profilieren und den Service public präzis und eng zu fassen. Das hiesse auch, die Verwaltung zu straffen, die Kosten und dadurch die Rundfunksteuer namhaft zu senken und unter die Bedrängung der Zeitungsverlage einen Schlussstrich zu ziehen.
Dann hätte die SRG die Zeichen der Zeit verstanden mit der Chance, am 4. März zu gewinnen und frei von finanziellen Sorgen ihre Zukunft zu gestalten. Frei auch vom Irrtum, die Vergangenheit in die Ewigkeit retten zu müssen.