Giuseppe Gulotta ist heute 50 Jahre alt. Er sass bis zum 13. Februar dieses Jahres im Gefängnis. 21 Jahre, zwei Monate, 15 Tage und sieben Stunden lang.
Am 26. Januar 1976 waren in der Polizeikaserne in Alcamo Marina im Nordwesten Siziliens zwei junge Armeeangehörige erschossen worden. Gulotta wurde von einem angeblichen Komplizen namens Giuseppe Vesco der Tat beschuldigt. Es gab ein juristisches Hin und Her. 1990 war er als Mörder zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Zwei angeliche Mittäter flohen nach Brasilien. Auch Vesco, der Gulotta beschuldigt hatte, wurde verurteilt. Doch schon bald widerrief er seine Aussage. Aus dem Gefängnis San Giuliano im sizilianischen Trapani schrieb er lange Briefe, in denen er genau beschrieb, wie es zu der Aussage kam.
Aufs Schwerste misshandelt
Er erklärte, er sei von den untersuchenden Polizisten auf Schwerste misshandelt und zu seiner Aussage gezwungen worden. Doch Gulotta sei unschuldig. Später erhängte sich Vesco in seiner Zelle. Wie er das tun konnte, bleibt ein Rätsel, denn nach einem Unfall hatte man ihm eine Hand amputiert. Da das Ganze in Sizilien stattfand, kam schnell der Verdacht auf, die Mafia sei im Spiel und Gulotta – zwar unschuldig – sei zum Täter erkoren worden. Noch heute spekulieren Journalisten, ob es da nicht ein Komplott zwischen Mafia und Politik gegeben habe. Vieles liegt noch im Dunkeln.
Auch Gulotta war nach seiner Festnahme von den Polizisten zusammengeprügelt und eine Nacht lang getreten worden. Man schmetterte ihn zu Boden, trat in seine Genitalien, gab ihm Salzwasser zu trinken und schlug mit Revolvern auf seinen Kopf. Darauf - im Delirium - unterschrieb er ein Dokument, das seine Schuld bezeugen sollte. Am nächsten Tag, als er zu sich gekommen war, widerrief er alles.
Seit jeher gab es Zweifel an seiner Täterschaft. Gulotta hat immer beteuert, er sei unschuldig.
Gewissensbisse
Im Jahr 2007 bekam Renato Olino Gewissensbisse. Er ist ein pensionierter "Brigadiere" und damaliger Untersuchungsbeamer. Er gab zu, dass er Vesco und Gulotta misshandeln und foltern liess. Wenige andere Polizisten, die bei der Untersuchung dabei waren, bestätigten dies. Doch die meisten von ihnen, heute pensionierte Herren, wollten nicht sprechen.
Dann wurde der Prozess wurde neu aufgerollt. Gulotta wurde freigesprochen. Jetzt muss ihn der Staat entschädigen. “Darum kümmern sich die Anwälte”, sagt er “ich habe noch gar nichts erhalten. Doch ich habe nie die Hoffnung verloren, dass ich ein neues Leben beginnen kann”.
Vom "Mörder" zum Superstar
Fast das ganze toskanische Städtchen war am vergangenen Wochenende gekommen, als Giuseppe seine Michela Aronica geheiratet hat. Das Paar wurde - nach italienischem Brauch - mit Reiskörnern und Konfetti beworfen.
Gulotta, in chicer Festkleidung mit weisser Blume am Revers, wirkte fast etwas unbeholfen. "Dies ist der schönste Tag in meinem Leben", stammelte der frühere Maurer. Die Anwälte waren da, das Regionalfernsehen, ein Vertreter der Behörden, Schulkinder. Immer wieder wurde das Brautpaar fotografiert.
Mit der Justiz ist Gulotta gnädig: “Sie haben mir das Leben weggenommen”, sagt er, “jetzt haben sie es mir zurückgegeben”.
Vom "Mörder" zum Superstar. Dazwischen liegen 21 Jahre, zwei Monate, 15 Tage und sieben Stunden.
(hh mit La Repubblica, Corriere della sera, La Nazione)