Speisen und Gewürze, die früher exotisch waren, gehören heute zum täglichen Menüplan. Wer im Spezialitätenhandel mithalten will, muss in kulinarische weisse Flecken vordringen.
Manch exotische Frucht, manch fremdes Gewürz hat seit der Kolonialzeit den Weg übers Meer nach Europa gefunden. Die weltweite kulinarische Vielfalt scheint bekannt, die Zeit der Entdeckungen abgeschlossen. Wer Schwarzenbachs Kolonialwarengeschäft im Zürcher Oberdorf besucht, wird schnell eines Besseren belehrt: Der Schatz an verschieden schmeckenden würzigen Speisen ist unerschöpflich. Waren früher die Ananas oder Pfeffer exotisch, und damit exklusiv und teuer, sind heute Speisen und Gewürze entlegener Regionen oder aus Kleinproduktionen in die Liga der Delikatessen aufgestiegen.
Aufgrund besonderer klimatischer Verhältnisse, der Bodenbeschaffenheit, unterschiedlicher Anbauweisen und Verarbeitungsarten sind sie besonders wohlschmeckend und heben sich von der Massenware ab. «Wir verkaufen heute über 25 verschiedene Pfeffersorten, die spezielle Geschmacksnuancen aufweisen», sagt Heinrich Schwarzenbach, der das Geschäft in fünfter Generation führt. «Bei den Gewürzen haben wir immer wieder Neues, zum Beispiel die Zimtblüten, die geschmacklich viel süsser sind als herkömmliche Zimtstangen. Auch unser Zatargewürz aus dem Nahen Osten ist beliebt oder getrocknete persische Zitronen, die ganz klein, schwarz und schrumpelig sind.»
Keine Selbstbedienung
Damit solch ausgefallene Zutaten kulinarische Gaumenfreuden bereiten, bedarf es früher wie heute Beratung. Für gewöhnlich stehen vier bis sechs Verkäuferinnen hinter der antiken Ladentheke in Schwarzenbachs Kolonialwarengeschäft. Sie beraten die Kunden beim Kauf, informieren über Besonderheiten und geben Tipps für die Zubereitung. Die gelernte Tapeziernäherin Irene Meier kündigte aus purer Freude an den Tees, Kaffee- und Schokoladensorten, Gewürzen und Dörrfrüchten ihren Job als Filialleiterin einer Bäckerei, um bei Schwarzenbach zu arbeiten: «Der Job ist sehr anspruchsvoll», sagt sie und strahlt übers ganze Gesicht: «Zu Hause muss ich mich oft hinter die Bücher klemmen, um mehr über unsere Produkte zu erfahren. Nach fünf Jahren bin ich noch immer am Lernen.»
Ihre Arbeit verlangt ruhig Blut, der Laden erinnert an ein Bienenhaus: Die farbig duftenden Auslagen ziehen einheimische Gourmets und fotohungrige Touristen in Schwärmen an. Körbchen mit gefriergetrockneten Himbeeren aus Polen, philippinischen Bananenchips und chinesischen Gojibeeren locken zum Kauf. Tasmanische Pfefferblätter, venezolanische Tonkabohnen und kongolesisches Sandelholzpulver reihen sich auf den Regalen.
Das Nostalgische ist dabei Konzept und Erfolgsrezept zugleich: Die Verkaufstheke stammt aus den 1910er Jahren und erinnert an eine alte Apothekeneinrichtung. «Lange behielten wir die Theke, weil wir die finanziellen Mittel nicht hatten, zu modernisieren. Plötzlich merkten wir, dass dies Teil unseres Erfolgs ist, dass wir eben nicht in die Selbstbedienung gehen, sondern die Kunden weiterhin an der Theke beraten sollten», sagt der Geschäftsführer. Gemäss Verkaufsberaterin Irene Meier lieben die Kunden diesen Hauch vergangener Zeiten: «Die Präsenz der Vorfahren ist heute noch spürbar. Man merkt einfach, dass der Laden eine Vergangenheit hat.» Dieses Jahr schreibt das Traditionsgeschäft Geschichte; Familie Schwarzenbach feiert das 150-jährige Bestehen ihres Kolonialwarenladens.
Wandel durchs Jahrhundert
Im Büro hinter der Ladentheke hängt die Ahnenreihe der Schwarzenbach-Dynastie: Ururgrossvater, Urgrossvater, Grossvater und Vater Schwarzenbach, oder Heinrich I. bis Heinrich IV., wie sie die Familie augenzwinkernd nennt, schauen dem fünften in der Reihe – natürlich Heinrich V. – über die Schulter. Fürs Jubiläum hat Letzterer sich etwas Besonderes ausgedacht und das Familienarchiv für ein Buchprojekt durchstöbert. «Meine Familie und ich haben die ganzen Akten durchgearbeitet. Zum Teil mussten wir sie transkribieren lassen, da sie aufgrund der alten Handschriften schwierig zu lesen waren», sagt Heinrich Schwarzenbach.
1864, als die Geschichte des Geschäfts begann, waren die europäischen Kolonialmächte noch immer damit beschäftigt, die entlegenen Regionen der Welt für ihre Zwecke zu erschliessen. Nebst der unschönen Aspekte, der europäischen Überheblichkeit und der heute fremd anmutenden Wertung der verschiedenen menschlichen Völker, war dies vor allem eine Zeit der Wissenschaftler und des Bestaunens der weltweiten Biodiversität. Neue Transportwege taten sich auf, und plötzlich brachten Handlungsreisende exotische Früchte und Gewürze sowie Kaffee und Kakao in grossen Mengen nach Europa. Sie eröffneten damit neue Geschäftszweige, die versprachen, den Nahrungsmittelmarkt zu revolutionieren.
In dieser Zeit des Umbruchs eröffnete der erste Heinrich Schwarzenbach, gelernter Confiseur, als 24-Jähriger seinen Kolonialwarenladen im florierenden St. Gallen. «Das war eine andere Art von Geschäften. Nur an festen Markttagen wurden die Waren verkauft. Mein Ururgrossvater stellte auf der Strasse Tische auf und präsentierte seine Auslagen darauf. Das Geschäft war also nicht jeden Tag offen.»
Heinrich I. trieb der Pioniergeist der damaligen Zeit. Er versuchte herauszufinden, welche Produkte Absatz finden würden. Zuerst fertigte er mit einer selbstgemachten Nudelmaschine Teigwaren. Das fand wenig Anklang, so stieg er auf den Verkauf von exotischen Gewürzen, Gemüse, Eiern und anderen Frischprodukten um. «Er war sicherlich kein steter Mensch. Er hat einfach ausprobiert, was typisch war in dieser Zeit.»
Wirtschaftlicher Aufschwung
Auf den Pionier folgte der minutiöse Geschäftsmann. Heinrich II. profitierte vom Boom der Jahrhundertwende, als die Kaufkraft der Kundschaft zunahm. 1910 erwarb er das Haus «Zur alten Post» in Zürich, wo noch heute der antike Schriftzug «Colonialwaren H. Schwarzenbach» die Kundschaft lockt. Sein wirtschaftliches Gespür war meist lohnend, auch als er in den 1920er Jahren in eine Kaffeeröstmaschine investierte. Bis heute gehören die eigenen Röstungen zur Basis des Sortiments. Der Chef persönlich übernimmt zwei- bis dreimal pro Woche die Aufsicht über den Röstvorgang. Der rauchig-herbe Duft, der dabei durch die Gassen strömt, gehört seit Urgrossvaters Zeiten zum Ambiente des alten Zürcher Stadtteils. «Er war derjenige, der die Entwicklung am meisten vorantrieb, der das Geschäft am längsten von uns allen geführt hat. Ich glaube, er hat viel richtig gemacht in seiner Zeit.»
In den Kriegsjahren, als bereits der dritte Heinrich das Zepter übernommen hatte, zeigte sich, dass eine weitere Strategie der Vorfahren klug war: Sie hatten nie nur auf fremdländische und exotische Produkte gesetzt, sondern immer auch heimische frische Waren im Angebot. Im Zweiten Weltkrieg sanken die Importe auf ein so tiefes Niveau, dass Grundnahrungsmittel wie Mehl und Kartoffeln zum Hauptgeschäftszweig des Ladens wurden. Eier, die das Kolonialwarengeschäft bereits seit der Gründung im Sortiment hatte, waren plötzlich ein Luxusprodukt; von 1933 bis 1942 stieg deren Preis um das Vierfache.
Diversifizierung in der Nachkriegszeit
Schwarzenbachs Vater übernahm das Geschäft in einer Zeit der Rezession, als das Lädelisterben der 60er und 70er Jahre in vollem Gang war. Durch die Zusammenschlüsse in der Lebensmittelbranche entstanden neue Nischen. «Mein Vater musste das Sortiment ständig anpassen und Produkte suchen, die die Grossverteiler nicht hatten.» Während die 60er Jahre noch vom Dosenhype geprägt waren, wollten die Kunden in den 70ern den Spinat plötzlich nicht mehr frisch, sondern gefroren kaufen. Schwarzenbachs passten ihr Sortiment den Trends an. Auch kam damals der Balsamico-Essig auf oder spezielles Olivenöl, das geschmackvoller war als das in den gewöhnlichen Blechflaschen. «Mein Vater erkannte, dass er auf qualitativ hochstehende Produkte setzen musste, wenn das Geschäft überleben sollte.»
Heute fokussiert Schwarzenbach auf haltbare Produkte und möchte sich vor allem durch die Vielfalt von der Konkurrenz abheben. «Hatten wir früher vielleicht 10 Gewürze, haben wir heute 150, beim Tee sind es inzwischen 180 Sorten, und wir bieten rund 80 verschiedene Dörrfrüchte an.»
Alternative Reiserouten
Die erlesenen Produkte haben ihren Preis, 25 Gramm einer speziellen Pfeffersorte kosten sieben bis zehn Franken. Doch geniessen heute wieder mehr Menschen das Essen bewusst, ist Heinrich Schwarzenbach überzeugt: «Wenn ich einen guten Pfeffer aus Südindien bekomme und der klar besser ist als das Konkurrenzprodukt, dann bezahlt der Kunde gerne mehr dafür.»
In Zeiten reger Nachhaltigkeitsdiskussionen heisst mehr bezahlen aber auch, zu wissen, woher ein Produkt stammt und wie es produziert wird. Bei Schwarzenbachs wird diesem Aspekt Rechnung getragen: «In den Ferien reisen wir oft in ferne Länder und schauen uns die Produktionsbedingungen an. Je direkter der Weg zum Produzenten ist, desto mehr können wir über unsere Produkte aussagen. Ob der Bauer, der die Kaffeepflanze anbaut, auch genügend erhält für seine Arbeit zum Beispiel. Für uns ist das nichts Neues. Das war für uns immer normal, so zu arbeiten.»
Und doch, auf keinem der Gewürzdöschen klebt ein Bio- oder Max-Havelaar-Zeichen.
«Grosskonzerne müssen diesen Nachweis natürlich über Zertifizierungen abhandeln, da ihnen der Kontakt fehlt. Wir sind zwar ebenfalls keine Direktabnehmer – dafür sind wir viel zu klein –, aber wir kennen unsere Zwischenhändler persönlich und wissen, woher unsere Produkte kommen und wie sie angebaut werden.»
Um den Produzenten faire Preise zu ermöglichen, versucht Schwarzenbach, den Weg über die grossen Nahrungsmittelbörsen zu umgehen. «Neulich hatte ich zwei Kaffeeproduzenten aus Brasilien zu Gast. Sie betonten, sie könnten zu den gängigen Weltmarktpreisen gar keinen qualitativ hochstehenden Kaffee produzieren. Sie suchten daher den direkten Weg in die Röstereien.»
Und noch einem ökologischen Grundsatz möchte Schwarzenbach treu bleiben: Seine Produkte kommen fast ausschliesslich per Schiff nach Europa. «Das ist der umweltfreundlichste Weg. Sechs, sieben, acht Wochen in einem Container ist für Pfeffer, Tee oder Kaffee kein Problem. Richtig verpackt, leidet die Qualität nicht.»
Würzige Nachhilfe
Die verschiedenen Pfeffersorten tauchen bei Heinrich Schwarzenbach immer wieder auf. Sie haben es ihm besonders angetan. So bietet der Geschäftsführer seinen Kunden von Zeit zu Zeit eine persönliche Beratung in Pfefferseminaren an. «Diesen Bereich würde ich gerne ausbauen, die Seminare machen mir besonders viel Spass. Im direkten Kontakt mit den Kunden lerne ich selber dazu, wofür unsere Produkte noch Verwendung finden.»
Bei den Seminaren, beim Gestalten der Website und der Etiketten oder im Laden: Mutter Annelies, Schwester Brigitte und Ehefrau Patricia helfen mit, sie alle sind am Familienunternehmen beteiligt. Dass das Geschäft bereits 150 Jahre Bestand hat, ist laut Heinrich Schwarzenbach aber nicht nur auf den starken Familienzusammenhalt zurückzuführen: «Bei uns hat es funktioniert, weil während fünf Generationen immer ein Junior da war, der das Geschäft weiterführen wollte.»
Derzeit ist allerdings offen, was nach der fünften Generation mit dem Geschäft passiert. Je zwei Kinder haben sowohl Schwarzenbach als auch seine Schwester: «Natürlich würde ich mich sehr freuen, wenn das Geschäft nach mir weiterleben würde. Unsere ältere, 14-jährige Tochter interessiert sich sehr für die Produkte, und sie kocht immerhin gerne.» Fürs Geschäft stehen die Aussichten gut, die Ahnenreihe an der Bürowand allerdings wird in der sechsten Generation sicherlich keinen weiteren Heinrich mehr aufführen.