Unter solchen Bedingungen leben 1,1 Milliarden Menschen, stellt der jüngste UNO-Bericht über sanitäre Einrichtungen fest. Besonders entwürdigend und gefährlich sind diese Zustände für die 526 Millionen betroffenen Frauen.
Insgesamt 2,5 Milliarden Frauen und Männer weltweit kennen eine Toilette bestenfalls als ein Brett mit einem Loch. Der gemeinsam von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und dem Kinderhilfswerk Unicef verfasste Rapport stellt zwar fest, dass zwischen 1990 und 2010 der Anteil verbesserter Toiletten von 49 auf 63 Prozent gestiegen ist. Aber der Fortschritt ist regional höchst unterschiedlich. Auf dem indischen Subkontinent sind weiterhin 59 Prozent der Gesamtbevölkerung - 626 Millionen Menschen - gezwungen, ihre Notdurft im Freien zu verrichten.
Die Einwohnerzahl der nigerianischen Metropole Lagos ist seit 1970 von 1,4 auf 11,2 Millionen gestiegen. Davon leben 70 Prozent in Slums ohne Kanalisation oder Wasserleitungen. Nach einer Umfrage der Hilfsorganisation WaterAid vermeiden 67 Prozent der Frauen in den Armenvierteln von Lagos die auf öffentlichen Plätzen errichteten Gemeinschaftstoiletten. Sie beklagen sich über die mangelnde Hygiene, den Gestank, die hohen Eintrittspreise und häufigen Belästigungen. Ein Viertel dieser Frauen gaben ab, an diesen Orten in den vergangenen zwölf Monaten Opfer oder Zeugen sexueller Gewalt geworden zu sein.
34 der 162 Millionen Einwohner Nigerias kennen die Verrichtung der Notdurft nur in der freien Natur. In Indonesien sind es sogar 63 Millionen, in Äthiopien 38 Millionen. In Madagaskar haben weniger als 15 Prozent der Bevölkerung Zugang zu sanitären Anlagen. Aus China liefert der Bericht keine Zahlen. Sie würden wohl alle Latrinen sprengen.
Was in dünn besiedelten ländlichen Gegenden kein besonderes Problem darstellt, ist in den rasch anwachsenden Städten der Dritten Welt zu einer sozialen und gesundheitlichen Katastrophe geworden. Chronischer Durchfall, Typhus und andere Infektionskrankheiten sind die Folgen mangelnder Hygiene in den Gemeinschaftstoiletten. Sie setzen einen Teufelskreis in Gang, weil die infizierten Personen öfter aufs Klo rennen müssen.
Dazu kommt die Unsicherheit. Frauen aus Asien und Afrika berichten, dass sie sich in der Dunkelheit nicht auf die Gemeinschaftstoiletten trauen, weil sie dort von Männern aufgelauert und manchmal vergewaltigt werden. Ihr Schamgefühl, besonders während der Menstruation, macht es ihnen schwer, einfach hinter ihrer Hütte oder Gebüschen zu defäkieren.
Richtige Kloschüsseln mit Wasserspülung werden in zahlreichen Gegenden für immer ein seltener Luxus bleiben. Die »Stiftung Melinda and Bill Gates« hat jetzt einen Preis dafür ausgesetzt, die Toiletten neu zu erfinden: Eine Technik, die keinen Abfluss braucht, keinen Strom und kein Wasser vergeudet, nur einige Cents pro Tag kostet und die Exkremente in Form von Biogas oder Dünger verwertet.
Bis es so weit ist, werden wohl die »fliegenden Klos« dominieren. So nennt man die Gepflogenheit in den Slums, zuhause in einen Plastiksack zu defäkieren, den Sack zuzubinden und aus dem Fenster zu werfen. Kein Grund für uns, die Nase zu rümpfen. Es ist noch nicht so lange her, da leerten auch die Bürger der europäischen Städte den Inhalt ihrer Nachttöpfe auf die Strasse.