An einer Pressekonferenz bilanzierte die Premierministerin Beata Szydlo die ersten 100 Tage ihrer Regierung, fast schon im Stile einer Angela Merkel: „Wir haben es geschafft und wir schaffen es auch in den nächsten Monaten.“ Allerdings kündigte sie eine inhaltliche Zusammenfassung erst für später an. Wichtig sei es jetzt „weiter zu arbeiten und die Änderungen durchzuführen , auf welche die Polen warten.“
Dass Szydlo keine konkrete Bilanz vorlegte, dürfte kein Zufall sein. Denn grosspurig vor den Wahlen angekündigte Reformvorhaben sind in Verzug geraten. Und dies trotz der grossen Hektik, mit der die PiS eine ganze Reihe von Gesetzen und Gesetzesänderungen durch das Parlament gepeitscht hat.
Die Verzögerungen betreffen vor allem den wirtschaftlich-sozialen Bereich. Das hängt mit dem Kurs zusammen, wie er vom Big Boss Jaroslaw Kaczynski, dem Parteichef der PiS, (Recht und Gerechtigkeit) vorgegeben worden ist.
Machtausbau als vorrangiges Ziel
Regierung und Parlament waren vor allem damit beschäftigt, die Macht des PiS-Lagers auszubauen und eine möglichst weitgehende Kontrolle über die wichtigen staatlichen Institutionen zu erlangen. Zuerst wurde das Verfassungsgericht im Hauruck-Verfahren mit rechtsstaatlich mehr als fragwürdigen Massnahmen lahmgelegt (vgl. Journal21 vom 14. Dezember 2015). Da die EU-Kommission ein Verfahren eingeleitet hat, entstand auch ein beträchtlicher Reputationsschaden (vgl. Journal 21 vom 19. Januar). Bis anhin ist keine Lösung der verfahrenen Situation in Sicht.
Dann wurden die staatlichen Medien ins Visier genommen. Die Novellierung des Radio- und Fernsehgesetzes erlaubte es, alle bisherigen Mitglieder der Vorstände und Aufsichtsgremien sowie die Präsidien neu zu besetzen (vgl. Journal 21 vom 2. Januar).
Säuberung und Niedergang des Staatsfernsehens
In der Folge wurden fast alle wichtigen Positionen mit PiS loyalen Personen besetzt und viele Journalisten entlassen. Zum Beispiel waren von den 20 Personen, die anfangs Januar noch die wichtigen „Wiadomosci“ , die polnische „Tagesschau“ gemacht hatten, Mitte Februar nur noch sechs dabei. Das sonst schon nicht gerade hohe Niveau sank beträchtlich, es kam zu peinlichen Pannen und Manipulationen.
Ein „Highlight“ war ein Bericht über Demonstrationen der Oppositionsbewegung KOD (Komitee zur Verteidigung der Demokratie). Um die zunehmende Schwäche der Bewegung zu belegen, wurden leere Strassen von Warschau gezeigt, obwohl gar keine Demo stattgefunden hatte. Es erstaunt denn auch nicht, dass die „Wiadomosci“ schon Ende Januar sehr viele Zuschauer – über ein Fünftel – an die „Fakty“, die Konkurrenzsendung des Privatsenders TVN verloren hatte, die nun erstmals etwas mehr Zuschauer aufwies.
Kontrolle über Verwaltung und Staatsanwälte
Auch im Staatsdienst werden nach einer Gesetzesänderung die obersten Positionen, rund 1600 Stellen, nicht mehr durch öffentliche Ausschreibungen besetzt, sondern mit Ernennungen. Alle bisherigen Amtsinhaber müssen neu berufen werden. Wie umfassend der Wechsel sein wird, dürfte sich in einigen Monaten beurteilen lassen. Auch in wichtigen vom Staat kontrollierten Unternehmen wurden bereits viele Direktoren ausgewechselt.
Wichtige Änderungen wurden im Justiz und Polizeiwesen vorgenommen. Mitte Januar wurde das Polizeigesetz ergänzt. Damit wurden die Überwachungsmöglichkeiten der Polizei und der Geheimdienste faktisch noch ausgeweitet, obwohl sie eigentlich aufgrund eines Urteils des Verfassungsgerichtes von 2014 hätten eingeschränkt werden sollen. Insbesondere ist nun auch der Zugriff auf die Internetdaten weitgehend möglich. Eine nachträgliche Kontrolle durch die Gerichte ist zwar vorgesehen, dürfte aber schwierig zu realisieren sein. Ein Missbrauch der Datenüberwachung, auch zu politischen Zwecken, ist nun eher möglich.
Eine weitere umstrittene Reform stellt die erneute Zusammenlegung der Funktion von Generalstaatsanwalt und Justizminister dar. Der Justizminister bekam damit die Kontrolle über die Staatsanwaltschaften, ein wichtiges Machtinstrument. Er kann nicht nur die personelle Zusammensetzung steuern, sondern durch Verordnungen und Auftragserteilungen auch unmittelbar eingreifen.
Harzende wirtschaftlich-soziale Reformen
Während die Kontrolle über zentrale staatliche Organe in einem atemberaubenden Tempo vorangetrieben wurde, harzte es bei den wirtschaftlich-sozialen Reformvorhaben. Einzig der grosse Wahlschlager – 500 Zloty Kinderzulage – wurde diesen Monat vom Parlament nach langem Hin und Her verabschiedet, allerdings in einer umstrittenen Form.
Für das erste Kind bekommen nur sehr einkommensschwache Familien die Zulage, ab dem zweiten alle Familien, auch die Bestverdienenden. Die Vorlage war neben dem sozialen Effekt auf demographische Ziele ausgerichtet. Polen hat eine äusserst niedrige Geburtenrate. Ob die Reform zielführend ist, ist jedoch nicht klar. Sicher ist, dass die Reform relativ teuer wird und vor allem in den folgenden Jahren das Budget belastet.
Sehr grosse finanzielle Belastungen werden resultieren, wenn zwei weitere zentrale Wahlversprechen umgesetzt werden sollen: die steuerliche Entlastung der unteren Einkommen und vor allem die Rücknahme der Rentenreform der Vorgängerregierung. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch hier stark „abgespeckte“ Vorlagen verabschiedet werden.
Kürzlich hat die Regierung einen sehr ambitionierten „Plan für eine verantwortungsvolle Entwicklung“ verabschiedet. Obwohl darin durchaus interessante Ansätze vorhanden sind, erinnert der Plan etwas an einen Wunschkatalog. Die Realisierung zentraler Zielvorgaben – Re-Industrialisierung, Förderung innovativer Firmen und einheimischen Kapitals, mehr Exportorientierung – dürfte sich als schwierig erweisen.
Weltanschaulich-ideologische Symbolik
Die PiS steuerte von Beginn ihrer Machtübernahme an einen harten Konfrontationskurs. Gegner und Kritiker wurden diffamiert. Sie würden vor allem aus Eigeninteresse oder allenfalls Irreleitung die „dobre zmiany“, den guten Wandel des PiS-Lagers hintertreiben, der endlich ein starkes, souveränes Polen auf der Grundlage des nationalen katholischen Kulturerbes schaffen wolle.
Die Regierung ist zwar an der ideologischen Front nicht vorrangig beteiligt. Trotzdem wurden auch hier Zeichen gesetzt, vor allem von den „Falken“ in der Regierung. Der Verteidigungsminister setzte eine neue Untersuchungskommission ein, die endlich die „Wahrheit“ über den Flugzeugabsturz in Smolensk herausfinden soll. Man erinnert sich: bei diesem Absturz kam auch der damalige Staatspräsident Lech Kaczynski ums Leben. Die offiziellen Untersuchungen kamen zum Schluss, dass eine Verkettung unglücklicher Umstände und menschliches Versagen zum Unfall geführt hatten. Die PiS hält an der Vermutung eines Attentats fest.
Profilieren konnte man sich auch teilweise in der Aussenpolitik, vor allem in der Flüchtlingsfrage gegenüber der EU. Bei der breit akzeptierten In-Vitro-Befruchtung wurde zwar auf eine Rücknahme verzichtet, aber die staatliche Finanzierung eingestellt.
Im weitesten Sinne hat auch die aktuelle Auseinandersetzung um eine eventuelle Spitzelvergangenheit Lech Walesas in den frühen 1970er-Jahren eine ideologische Komponente. Das unter Regierungskontrolle stehende Institut des nationalen Gedenkens machte neu aufgetauchte Akten publik, bevor die Echtheit überprüft wurde. Damit wurde Walesa als Gegner der PiS frontal angegriffen und die in der PiS beliebte These von einer „Kungelei“ Walesas mit den Kommunisten indirekt unterstützt.
Schwankender Rückhalt der Regierung
Obwohl die Umfragen unterschiedliche Ergebnisse zeigen, lassen sich deutliche Trends herauslesen. Im November überwog die Unterstützung die Ablehnung. Im Dezember erfolgte schon eine Erosion der Akzeptanz. Erst im neuen Jahr resultierte wieder eine leichte Erholung, die sich aber wieder abschwächte.
In einer kürzlich durchgeführten Umfrage wurde der Regierung für die ersten 100 Tage nur von 27 Prozent eine gute oder sehr gute Note gegeben, und zwar meist von ihren eigenen Wählern. Hingegen bekam sie von 44 Prozent eine schlechte oder sehr schlechte Note, 29 Prozent wählten ein genügend. Allerdings bekamen auch die Oppositionsparteien mehr schlechte als gute Bewertungen, wenn auch weniger ausgeprägt.
Wichtige umstrittene Vorhaben wie die Reform des Verfassungsgerichtes, der Medien und der Überwachungsgesetze wurden mit deutlichen Mehrheiten abgelehnt. Einzig die Einführung der Kinderzulage wurde von knapp der Hälfte positiv bewertet. Nur gut 40 Prozent glaubten, dass die Regierung ihre Wahlversprechen halten werde.
Wie weit der aktive Protest noch Unterstützung findet, wird sich diesen Samstag zeigen. Die KOD ruft erneut zu einer Grossdemonstration auf. Die letzten grösseren Demos fanden vor gut einem Monat statt.
Kommt eine Umbildung der Regierung?
Die PiS Regierung hat den Vertrauensvorschuss schon in den ersten 100 Tagen verloren. Mit dem von Kaczynski vorgegebenen harten und chaotischen Konfrontationskurs ging es vor allem darum, möglichst schnell die staatlichen Institutionen unter weitgehende Kontrolle zu bringen. Das kam nicht gut an, und wurde von einer Mehrheit als Machtpolitik und Parteischacher wahrgenommen.
Wegen ihrer Missachtung breit akzeptierter rechtsstaatlicher Prinzipien schnitt die Regierung sogar noch schlechter ab als die unbeliebte alte Regierung. Populäre soziale und wirtschaftliche Reformversprechen wurden nicht in einem klar strukturierten Programm aufgegleist, sondern eher stiefmütterlich behandelt.
Dass die Regierung und die PiS insgesamt in Zukunft grössere Kurskorrekturen vornehmen, ist wenig wahrscheinlich. Es ist allerdings möglich, dass schon eingeleitete etwas moderatere Akzente verstärkt werden. Nicht auszuschliessen ist auch eine Ablösung von Szydlo und eine Umbildung der Regierung. Dies vor allem, wenn die Akzeptanz noch weiter abnehmen sollte. Kaczynski war in Personalfragen schon oft für eine Überraschung gut.