Nate Silver ist nicht irgendein Meinungsforscher. Er ist der Guru in der Branche. Von den etablierten Instituten wird er belächelt, beneidet und bekämpft. Doch er hat immer recht, fast immer.
Noch Ende Juli, nach den republikanischen und demokratischen Parteitagen, sah Silver einen knappen Sieg von Donald Trump voraus. Dann kam die Wende – für Trump eine brutale Wende. Jetzt, Mitte August, prognostiziert Silver einen überwältigenden Sieg für Hillary Clinton.
„Special Correspondent“
2009 hat das Time-Magazin Silver zu einer der hundert weltweit einflussreichsten Persönlichkeiten ernannt. Auch während des jetzigen Wahlkampfs reissen sich die Talkshows der Fernsehstationen um ihn. So ist er auch „Special Correspondent“ für den Fernsehsender ABC News. Wegen der Treffsicherheit seiner Voraussagen wird er von einigen „Nathan der Weise“ genannt. Sein Vorname Nate ist die Kurzform von Nathan.
Entgegen den Prognosen vieler Meinungsforscher prognostizierte er vor acht Jahren einen klaren Sieg von Barack Obama. In fast allen Bundesstaaten lag er richtig. Einzig in Indiana täuschte er sich knapp.
Auch vor vier Jahren setzte er schon früh auf Obama. In allen 50 Bundesstaaten stimmten seine Prognosen. Bei den Midterm Elections 2010 und 2014 allerdings unterliefen ihm Fehler.
Neue Wege
Silver begann im Jahr 2007, Wahlprognosen zu veröffentlichen, und zwar auf der Website FiveThirtyEight. 538 Wahlmänner zählt das Wahlmännerkollegium. Die New York Times stellte seine Analysen regelmässig online. Vor drei Jahren kaufte der Sportfernsehsender ESPN Silvers FiveThirtyEight-Blog. Ein 20-köpfiges Team publiziert jetzt politische, wirtschaftliche und sportliche Voraussagen. Selbst Baseball-Ergebnisse werden vorausgesagt.
Der 38-jährige Silver geht in der Meinungsforschung völlig neue Wege. Er ist der Ansicht, dass die traditionelle Meinungsforschung nichts taugt. Es genüge längst nicht mehr, einige tausend Telefoninterviews durchzuführen, die Daten in einen Computer zu geben, sie etwas durchzuschütteln und zu glauben, das prognostizierte Ergebnis entspräche dann dem wirklichen.
Geschäftsgeheimnis
Silver selbst führt keine Meinungsumfragen durch. Er stützt sich auf die Daten der andern Wahlforscher und interpretiert sie – aber eben anders. Wie seine Methode im Details aussieht, enthüllt er nicht. Geschäftsgeheimnis.
Sicher ist: Er stützt sich nicht nur auf die Aussagen der telefonisch Befragten. Er berücksichtigt zahlreiche andere Faktoren. Wie werden die Wahlauftritte der einzelnen Kandidaten besucht, wie berichten die Medien über die Kandidaten, welche Unterstützung hat ein Kandidat in der eigenen Partei, von wem wird er angefeindet, wie viel Spendengelder erhält jeder Kandidat? Und: wie schlägt er sich in Fernsehauftritten, welche Glaubwürdigkeit hat seine Frau/ihr Mann, wie stark werden die TV-Spots der Kandidaten beachtet, wie oft gehen die Leute in den einzelnen Staaten in die Kirche, wie oft treiben sie Sport, wie sieht die demografische Entwicklung in den einzelnen Bundesstaaten aus, wie geht die Polizei in den jeweiligen Bundesstaaten gegen Schwarze vor? Und so weiter.
12,2 Prozent Siegeschancen für Trump
Seit Anfang Juli prophezeite Silver sinkende Werte für Clinton – und steigende für Trump. Am 30. Juli dann kam der Paukenschlag für Hillary: Erstmals überholte Trump seine demokratische Gegnerin: 50,1 Prozent Siegeschancen für Trump, 49,9 Prozent für Clinton.
Dann kam die Wende. Seit Anfang August sinken Trumps Werte fast schwindelerregend. Heute, Mitte August, prognostiziert Silver eine 87,8-prozentige Siegeschance für Hillary Clinton. Trump fällt fast täglich weiter zurück.
Silver errechnet jetzt, dass 49,0 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner für Clinton stimmen werden, 41,3 Prozent für Trump und 8,4 Prozent für den libertären Gary Johnson.
„Real Clear Politics“
Auch die Umfragen, die auf der Website „Real Clear Politics“ zusammengefasst sind, sehen einen Sieg Clintons voraus – allerdings in weit geringerem Umfang.
Eine am Freitag publizierte Umfrage der Los Angeles Times (mit USC) gibt Clinton 44 Prozent und Trump 43 Prozent.
Auch das sehr konservative Rasmussen-Institut, dem vorgeworfen wird, im Dienste der Republikaner zu stehen, sieht die Demokratin vorn: Laut der am Donnerstag veröffentlichten Umfrage käme Clinton auf 43 Prozent, Trump auf 40 Prozent, Gary Johnson auf 8 Prozent und die Grüne Jill Sein auf 2 Prozent.
Eine ebenfalls am Donnerstag durchgeführte Reuters/Ipsos-Umfrage sieht Clinton bei 40 Prozent, Trump bei 35 Prozent, Johnson bei 7 Prozent und Stein bei 3 Prozent.
Noch ist nichts entschieden
Gespannt ist man jetzt auf die Fernsehduelle im September und Oktober. Wird Trump wieder Terrain gutmachen können? Dreimal treffen Clinton und Trump zusammen, zweimal die Vizepräsidentschaftskandidaten Mike Pence und Tim Kaine.
Gewählt wird am 8. November. Noch ist nichts entschieden. Die Werte können sich schnell ändern. Doch „The Donald“ startet nicht aus der Pole position in die letzten 85 Tage des Wahlkampfs.