Alle kennen Maastricht. Die Europäer kennen die Maastrichter Verträge als wichtige Entwicklungsstation der EU, die Antieuropäer kennen es eher als Schimpfwort.
Aber wer kennt Maasbracht? Wer kennt die kleine Siedlung an der Maas, rund 40 km nördlich von Maastricht und wie dieses in jenem seltsamen „holländischen Apfelstiel“ gelegen, der, eingezwängt zwischen Deutschland im Osten und Belgien im Westen, entlang der Maas weit nach Süden reicht?
Die Schiffer kennen es
Die Schiffer kennen Maasbracht. Von hier bauten nach dem Ersten Weltkrieg die Holländer den 35 Kilometer langen Julianakanal auf der holländischen, also östlichen Seite der Maas bis nach Maastricht, ihrem südlichsten Vorposten. Eigentlich wäre es billiger und einfacher gewesen, die Maas durch den Bau von Wehren und Schleusen für grössere Schiffe befahrbar zu machen, denn dort im Süden, in Belgien und Frankreich, gab es Kohle und eine mächtige Schwerindustrie.
Aber weil die Maas bis nach Maastricht hinauf die Grenze zu Belgien bildet und die Belgier weder Willens waren, noch nach dem Ersten Weltkrieg über die nötigen finanziellen Mitteln verfügten, um sich an diesem Projekt zu beteiligen, entschied sich Holland kurzerhand zum Bau eines Kanals auf eigene Kosten auf seiner Seite der Maas.
Seebär Nico erzählt
Das und noch viel mehr erzählte uns im Schifffahrtsmuseum von Maasbracht Nico van Lent, diplomierter Kapitän in „halbem Ruhestand“, der noch immer mindestens zweimal im Jahr mit einem zum Hotelschiff für Velotouristen umgebauten Schlepper auf dem Rhein bis nach Basel fährt. Wir waren im Museum fast zufällig gelandet – zum Glück, denn es öffnet lediglich zweimal in der Woche. Und weil wir die einzigen Gäste waren, kümmerten sich neben Nico noch drei weitere alte Seebären um die Besucher aus der Schweiz. So haben wir erfahren, wieso Maasbracht in der Schifffahrt so wichtig ist und wieso man hier auch die Schweiz als Flussfahrernation bzw. Basel als wichtigen Ort der Schifffahrt ernst nimmt.
Wie erwähnt: Der Transport von Kohle und Stahl aus den Zentren der Schwerindustrie in Belgien und Lothringen machte die Maas – neben dem Rhein – für Holland zu einem wichtigen Wasserweg. Von Maastricht, dem südlichsten holländischen Flusshafen, bis nach Maasbracht gibt es nur die eine Route, den Julianakanal, doch weiter nördlich verzweigen sich die holländischen Wasserstrassen fächerförmig nach Osten, Norden und Westen. Wegen der Nähe zu den Kohleabbaugebieten wurden in Maasbracht die Dampfschiffe mit Kohle versorgt; der alte Name „Bunkerhafen“ auf der westlichen Seite der Maas stammt noch aus dieser Zeit.
Bild aus früheren Schifffahrts-Zeiten
Wie uns Nico erzählte, befand sich damals auch die holländische Schiffsbörse in Maasbracht. Sie regelte die Vergabe von innerholländischen Transportaufträgen nach einem klaren Regime (diejenigen ins Ausland waren nicht reguliert): Den Schiffen, welche hier in grosser Zahl im Hafen lagen, wurden die Aufträge strikte nach der Reihenfolge ihrer Ankunft vergeben – fast wie am Taxistand am Flughafen oder am Bahnhof. Natürlich gab es, so unser Museumsführer, schon damals „Spezialisten“, welche sich beispielsweise mit entsprechender Wahl ihrer spezifischen Schiffsdaten (Länge, Breite, Tiefgang, maximale Zuladung) Aufträge an Destinationen sicherten, für die andere Schiffe von vorneherein aus dem Rennen fielen, entweder weil ihre Kapazität nicht reichte oder der Tiefgang zu gross war.
Im Museum ausgestellte Bilder aus jener Zeit zeigen ein mit Frachtschiffen aller Grössen vollgestopftes Hafenbecken. Sie erinnern an entsprechende Bilder des französischen Saint-Jean-de-Losne an der Saône zu einer Zeit, als die Freycinet-Frachtschiffe das Bild der französischen Kanäle von Lille bis Marseille und von Paris bis Basel prägten und der Ort ebenfalls die Rolle einer Transportbörse spielte. Saint-Jean-de-Losne ist vielen Schweizern als Hochburg der Hobby-Kapitäne bestens vertraut.
Die Solveig VII beim „Schiffsarzt“
Ebenfalls der Nähe der Schwerindustrie verdankt Maasbracht die Ansiedelung grosser Schiffswerften. Etwas später siedelten sich hier auch Yachtbauer an, so die Firma Linssen, welche seit Jahrzehnten wunderbare Stahlyachten baut. Auch unsere Solveig VII wurde vor bald zwanzig Jahren hier gebaut. So konnten wir selbstverständlich nicht hier vorbeifahren, ohne dem Firmenhafen einen Besuch abzustatten, und weil wir uns zudem während der letzten Tage mit ein, zwei technischen Problemen auseinanderzusetzen hatten, benützten wir den Aufenthalt auch für einen „Schiffsarztbesuch“ und fanden uns bzw. unser Schiff sofort in kompetenten Händen.
Aber das Museum thematisiert nicht nur die holländische Binnenschifffahrt. Man findet dort Schiffsmodelle aus ganz Europa, ebenfalls Informationen besonderer Bauwerke an den Kanälen, zum Beispiel ein funktionierendes Modell des Schiffshebewerks von Arzviller bei Strasbourg und vieles mehr.
Basels Anschluss an die Hochrhein-Schifffahrt
Und die Schweiz? – Sie sei treibende Kraft gewesen beim Ausbau der Hochrheinschifffahrt, erzählte uns Nico. In einer besonderen Vitrine im Museum stehen Modelle berühmter Schweizer Rheinschiffe. Zwar erreichte der erste Dampfschlepper Basel schon anfangs des letzten Jahrhunderts, aber die Fahrt war damals gefährlich und stark vom Wasserstand abhängig. An gewissen Orten sei die Strömung derart stark gewesen, dass auch die damals stärksten Dampfschlepper nur noch mit Mühe vorwärts gekommen seien.
Erst der Bau des Grand Canal d’Alsace nach dem Ersten Weltkrieg, der – ähnlich wie der Julianakanal – die Wasserstrasse weg von der nationalen Grenze mit Deutschland ins Innere von Frankreich verlegte, und der Bau der Basler Häfen hätte der Schifffahrt auf dem Hochrhein den entscheidenden Impuls gegeben. So Nico – und als er Basel erwähnte, leuchteten seinen Kapitänsaugen, als ob er dort aus alten Zeiten eine geheime Geliebte hätte. Er freue sich schon auf seine nächste Fahrt nach Basel in diesem Sommer.
Und dann schloss das wunderbare Schifffahrtsmuseum seine Türen. Als wir kurz danach im nahen Strassenkaffee mit Blick auf das Hafenbecken von Maasbracht eine köstliche Glacé assen, sahen wir die vier älteren Herren vorbeigehen. Sie winkten uns zu wie alte Freunde, und das sind wir doch eigentlich, liegen unsere Länder doch fast am gleichen Wasser.
Ein wichtiger Nachtrag für Gourmets
Nein, ich muss mich korrigieren, Maasbracht ist nicht nur bekannt bei den Schiffern, sondern auch bei den Gourmets. Als wir am Abend – die Arbeiten am Schiff waren noch nicht ganz beendet und wir mussten im Hafen der Linssen-Werke übernachten – im kleinen Ort nach einem passenden Restaurant suchten, landeten wir fast zufällig in einem schicken Lokal namens Da Vinci. Wir kamen uns in den Schifferkleidern zuerst etwas fehl am Platz vor, doch die Bedienung war unkompliziert und äusserst freundlich.
Als meine Frau neugierig an das Glasfenster trat, durch das man in die Küche sehen konnte, wurde sie von der Chefin gleich hineingebeten ... Und so gab eines das andere. Wer hätte hier in Maasbracht eines der besten holländischen Restaurants vermutet, zwei Michelin-Sterne, die Chefin, Margo Reuten, im diesjährigen Guide Relais&Châteaux als „Woman of the Year“ ausgezeichnet? Das Essen ist Spitze, und das Gleiche gilt für die Gastfreundschaft des Ehepaars Reuten und ihrer ganzen Crew. Auch vom Land her zu erreichen!
Teil 1: Gerüche und Geräusche
Teil 2: Offline
Teil 3: Vergnügungsdampfer auf der Meuse
Teil 4: Sturmflut