Die zaiditischen Huthis, die im vergangenen Monat Sanaa besetzt hatten, sind im Begriff, ihre Macht auszudehnen. Sie haben die Hafenstadt am Roten Meer, Hodeida, kampflos in Besitz genommen und südlich von Sanaa die Flecken Dahran und Ibb besetzt. Hodeida ist der wichtigste Importhafen für Sanaa. Wie schon in Sanaa leisteten die Polizeibehörden den Huthis keinerlei Widerstand. In Dahran hat der lokale Gouverneur seinen Rücktritt erklärt. Die jemenitische Armee blieb unerwähnt, sie scheint von der Bildfläche verschwunden zu sein.
Doch die Huthis stossen auf Widerstand bei anderen bewaffneten Gruppen. Islah, die Partei der Muslimbrüder, bietet ihre Bewaffneten und die mit ihr verbündeten Stämme auf, um gegen die Zaiditen zu kämpfen. Al-Kaida, selbst von den Amerikanern und von der Armee verfolgt und auch mit Islah verfeindet, hat in Sanaa eine Bombe hoch gehen lassen, als die Huthis demonstrierten und dadurch vierzig der Demonstranten ums Leben gebracht. Al-Kaida-Kämpfer sind auch mit den Huthis in Rada blutig zusammengestossen; dort, in der gebirgigen Übergangszone zu der südlichen Wüste, ist al-Kaida aktiv geblieben.
Grossdemonstration in Aden
Der jemenitische Süden, ohnehin schon seit langem darauf bedacht, wieder unabhängig zu werden, will von den Huthis nichts wissen. Der Süden des Landes ist sunnitisch. Eine Grossdemonstration fand in Aden statt, Hunderttausende zogen auf die Strasse. Der 51. Jahrestag des Beginns der Unabhängigkeitskämpfe gegen die damalige Kolonialmacht Grossbritannien wurde gefeiert. Nach der Grossdemonstration war ein dreitägiges Sit-in angekündigt. Die Demonstranten verbrannten Abbilder des Huthi-Führers, Abdel Malik al-Huthi, zusammen mit jenen des abgesetzten Präsidenten Ali Abdullah Saleh.
Die südliche Bewegung «Hirak» sucht die Gunst der Stunde zu nutzen, um ihrerseits die begehrte Unabhängigkeit ihres Landesteiles zu fördern. Es gibt ein Militärkomitee, das beabsichtigt, seinerseits dem Vorbild der Huthis zu folgen und bewaffnete Demonstrationen, gemischt mit Kämpfen, dazu zu benützen, um dem Süden seinen eigenen Staat zu verschaffen.
Die «Bewegung des Südens» hat auch bereits Schreiben an die in der südlichen Wüste gelegenen Erdöl- und Erdgasfirmen gerichtet und diese aufgefordert, alle Produktion einzustellen, bis eine vom Süden gebildete Kommission die Kontrolle über die Produktion übernehmen könne. Ob sich die Erdölfirmen daran halten werden, kann man bezweifeln. Doch jedenfalls meldet der Süden seine Ansprüche an.
Ein neuer Regierungschef
In Sanaa hat Präsident Abdrabbo Mansur al-Hadi einen zweiten Ministerpräsidenten ernannt, nachdem die Huthis den ersten zurückgewiesen hatten. Diesmal stimmen die Huthis zu. Der neu Beauftragte heisst Khaled Mahfud Bahah. Er ist ein Diplomat und gilt als neutral und frei von Korruption. Er war zuvor Botschafter in Kanada und bei der UNO gewesen, und er hat auch als Erdölminister gedient. Er muss noch eine Regierung bilden, und dies wird schwierig werden, weil in der neuen Regierung alle politischen Richtungen vertreten sein sollen, obwohl diese untereinander verfeindet sind.
Die Huthis haben versprochen, sie würden Sanaa räumen, wenn die neue Regierung gebildet sei. Doch ob sie dies wirklich tun werden, bleibt offen. Jedenfalls gehen sie darauf aus, künftig in allen Belangen mitzureden und konsultiert zu werden. Dass sie die nicht-zaiditischen Landesteile nicht direkt regieren können, wissen sie wahrscheinlich selbst. Vermutlich gedenken sie über eine von ihnen gebilligte Regierung Einfluss auf ganz Jemen zu nehmen.
Islah stützt nun den Süden
Ihre Hauptgegner, die Anhänger von Islah, der Partei der Bruderschaft, haben überraschend erklärt, ihre Partei sehe die Wünsche des Südens nach Unabhängigkeit als gerechtfertigt an. Bisher waren sie Gegner der südlichen Separationsbewegung gewesen. Der Umschwung kam wahrscheinlich, weil Islah von den Huthis besiegt wurde und sich nun Freunde sucht, um seine Position im Lande wieder zu stärken.
Die Expansion der Huthis ist noch nicht zum Stillstand gekommen, doch sie dürfte bald ihre natürlichen Grenzen erreichen. Sie liegen dort, wo es keine Zaiditen mehr gibt, nicht einmal als Minderheit unter den Sunniten. Dort würden die Huthis als «Fremdherrschaft» angesehen und sich wahrscheinlich nicht halten können.
Drei Machtbereiche plus al-Kaida
Wenn es nicht zu neuen unerwarteten Machtverschiebungen kommt, steht dem Jemen eine Dreiteilung bevor: ein nördliches Stück bis und mit Sanaa unter der Vormacht der Huthis; eine mittlere, sunnitische Zone mit Taez, der zweitgrössten Stadt des Landes, als Hauptort, und ein südlicher Staat oder Teilstaat mit Aden als Hauptstadt. Die Erdölvorkommen, die in der südlichen Wüste liegen, würden wahrscheinlich den wichtigsten Streitpunkt abgeben, weil keiner der Landesteile ohne das Erdöleinkommen auskommen kann.
Als vierte Kraft kommt AQAP hinzu, al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel. Ihre Einflussgebiete liegen in der südlichen Wüste. Doch die Gruppe führt einen Untergrundkrieg durch Bombenanschläge im ganzen Land bis nach Sanaa hinauf. Bisher sind ihre Hauptziele Militärs und Geheimdienstoffiziere gewesen. Doch nun kommen offensichtlich die Huthis als weitere prioritäre Ziele dazu. Die Amerikaner versuchen AQAP durch Drohnenschläge zu bekämpfen. Die jemenitische Armee hatte sie bisher im Kampf gegen AQAP unterstützt. Doch im gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Armee inaktiv und unsichtbar; ob es sie überhaupt noch gibt, scheint ungewiss.