Der Tod einer Journalistin im palästinensischen Jenin heizt den israelisch-palestinensischen Dauerkonflikt erneut an. Es droht auch eine Abkühlung der Beziehungen Israels zu den USA, und vielleicht sind die Tage der Regierung Bennett schon gezählt.
Beim Einsatz israelischer Truppen gegen verdächtigte Täter einer Reihe von Anschlägen und Morden der letzten Wochen kam es am Mittwochmorgen zu einer gefährlichen und möglicherweise folgenschweren Zuspitzung: In Jenin, einer Stadt im nördlichen Westjordanland, wurden bei solch einem Einsatz die Korrespondentin des qatarischen Fernsehsenders «Al Jazeera» erschossen und ein weiterer Journalist verwundet. Beide gehörten zu einer Gruppe arabisch-palästinensischer Pressevertreter, die über das Vorgehen des israelischen Militärs berichten wollten, nachdem dieses zufolge einer Reihe von Morden an Israelis fast täglich in den palästinensischen Gebieten nach den Mördern und ihren Hintermännern sucht. Jenin war und ist dabei ein wichtiger Ort, weil eine Reihe der Täter von hier und der Umgebung stammen.
Dies ist vermutlich mit ein Grund dafür, dass das Militär bei seinen Aktionen nicht gerade «mit Samthandschuhen» vorgeht. In den letzten Monaten sollen dabei selbst nach israelischen Angaben über 70 Palästinenser umgekommen sein. So gut wie nie wurden anschliessend die näheren Umstände der Tötungen untersucht. Ähnlich wäre es möglicherweise auch im jüngsten Fall geschehen, wenn dabei nicht Journalisten betroffen gewesen wären – als Opfer wie auch als Zeugen.
USA sind in den Fall involviert
Trotzdem aber gab es sofort widersprüchliche Behauptungen, besonders im Fall des Todesopfers: Die 51-jährige Shireen Abu Akleh sei von israelischer Seite gezielt mit einem Kopfschuss getötet worden, erklären Einheimische und Journalisten. Ein Sprecher des israelischen Militärs beeilte sich aber zu versichern: «Ich glaube, nicht wir haben (das Opfer) getötet». Der Präsident der palästinensischen Verwaltung, Mahmoud Abbas, gibt wiederum den Militärs die Schuld.
Die katarische Journalistin wurde sofort in ein Krankenhaus in Jenin gebracht, wo sie aber ihren Verletzungen erlag. Der inzwischen veröffentlichte Vorschlag Israels, eine gemeinsame israelisch-palästinensische Untersuchung durchzuführen, schien deswegen akademisch, zumal von palästinensischer Seite festgelegt wurde, dass die Beisetzung bereits am nächsten Tag (Donnerstag) stattfinden solle. Daran schien auch der Appell des US-Botschafters in Israel nichts ändern zu können, beide Seiten sollten den Fall doch gründlichst untersuchen. (Keine amerikanische Einmischung, sondern der Tatsache geschuldet, dass die seit 25 Jahren für «Al Jazeera» arbeitende und fachlich höchst anerkannte Shireen Abu Akleh nicht nur Palästinenserin, sondern auch US-Staatsbürgerin war.) Unmittelbare Folgen hatte der Aufruf des Botschafters jedenfalls nicht.
Wenn es dabei bleibt, könnte der Vorfall aber ein Grund mehr sein, dass die Beziehungen zwischen Israel und den USA sich langsam, aber sicher verschlechtern. Im Juni will Präsident Biden Israel besuchen. Statt Freude über den Prestigegewinn für Israel hat die Ankündigung aber einen Streit ausgelöst: Biden will nämlich auch das arabische und von Israel annektierte Ostjerusalem besuchen, und zwar ohne israelische Begleitung. Offizielle Kreise in Israel haben bereits abgewunken: Das komme gar nicht in Frage, denn man müsse ja die Sicherheit des Staatsgastes gewährleisten.
Biden auf Distanz zur israelischen Siedlungspolitik
Ganz offensichtlich will Israel den Gast daran hindern, sich der palästinensischen Position zu sehr zu nähern. So hat Biden sich bereits wiederholt gegen den Plan der israelischen Regierung ausgesprochen, im Westjordanland über 4000 neue Wohnungen für jüdische Siedler zu errichten, weil die – völkerrechtlich unzulässige – Siedlungspolitik von den USA nicht unterstützt werden könne. Dies hat die israelische Regierung aber nicht daran gehindert, Vorbereitungen für das Bauprojekt zu treffen.
Mag sein, dass die Regierung unter Naftali Bennett ohnehin ihre Tage als gezählt betrachtet. So wurde nur Stunden nach dem Zwischenfall in Jenin in der Knesset mit Spannung auf die Entscheidung einer arabischen Partei gewartet, ob diese in der Koalition bleibt oder aber ob sie durch ihren Austritt baldige Neuwahlen erzwingen wird. Die Partei liess wissen, dass sie der Koalition «noch eine Chance geben» werde. Allen Beteiligten wie auch Beobachtern dürfte aber klar geworden sein, dass die Tage dieser Regierung gezählt sind und dass bei möglicherweise bald fälligen Neuwahlen kaum eine Liberalisierung zu erwarten ist. Syrien bekommt davon in diesen Tagen den politischen Stimmungsumschwung zu spüren: Israel hat – nach vorübergehender Zurückhaltung – wieder mit Luftangriffen in seinem nördlichen Nachbarland begonnen.