Lust verlangt Zeit. Dazu bietet das Gewerbemuseum Winterthur eine anschauliche, vergnügliche und aufschlussreiche Probe auf Exempel. Sofern die Besucher mitspielen und zwei Ausstellungen, die zunächst thematisch nichts Gemeinsames haben, miteinander verbinden: die Uhrensammlung Kellenberger im Erdgeschoss und "Nirvana - Wundersame Formen der Lust" einen Stock höher. Es empfiehlt sich, mit der Lust zu beginnen, sich dann für die Zeit zu entscheiden und hinterher im Grand Café du Musée mit dem Verweilen bei kulinarischem Genuss eine weitere Kombination von Zeit und Lust zu erleben.
Kreatives Tänzeln auf dem hohen Seil
"Nirvana" beschenkt die Augen mit der schwarzen Eleganz der Räume und den platzverschwenderisch stilvoll präsentierten Objekten. Es sind 200 von 70 Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt, die von der Erotik inspiriert ihre Werke schufen.
Sie sind fantasievoll, verblüffend, keck und schön, manchmal auch nur unverschämt direkt, aber ausnahmslos reizend gemeint. Nicht in erster Linie Menschen werden in eine erotische Pose gesetzt, sondern Schmuckstücke, Schuhe, Möbel und Kleider. Es ist ein Schwelgen in raffinierten Andeutungen ohne jede Verklemmtheit und frei von jedem pornografischen Fehltritt. Ein kreatives Tänzeln auf dem hohen Seil lustvoller Vergnüglichkeit in der Sphäre des Privaten.
Es handelt sich um eine von Marco Costantini und Susanne Hilpert Stuber fürs Musée de design et d'arts appliqués contemporains in Lausanne kurartierte Ausstellung, die in Winterthur erstmals in der deutschen Schweiz gezeigt wird.
Höchst subjektive Erfahrungen
Die Freude an anregender Ästhetik lässt sich verlängern mit einem Besuch der Uhrensammlung Konrad Kellenberger, ergänzt um die Sammlung Oscar Schwank als Dauerleihgabe. Uns tritt die Zeit in edelster Form entgegen.
Raritäten und Prunkstücke der Uhrmacherkunst, wahre Meisterwerke als Verbindung von technischer Präzision und gestalterischer Vollendung, laden ein zu einer Zeitreise im doppelten Sinne des Wortes vom 16. ins 20. Jahrhundert. Herausragend ist die astronomische Uhr in der Form einer Monstranz, die um 1600 in Augsburg entstand und noch heute Bewunderung auslöst.
Zwei der uns beschäftigenden Grundfragen, was denn genau Erotik sei, was genau Zeit, schützen auch in Winterthur ihr unentschlüsselbares Geheimnis, öffnen aber aussichtsreiche Wege zu Antworten. Es genügt, sich in die Objekte zu vertiefen und sie auf sich selber wirken zu lassen, zumal beide Phänomene eine höchst subjektive Erfahrung sind. Der philosophierende Neustart könnte im Grand Café du Musée gut gelingen.
"Nirvana - Wundersame Formen der Lust", bis 8. Mai, mit einem Katalog, und Uhrensammlung Kellenberger, Dauerausstellung, Gewerbemuseum Winterthur, www.gewerbemuseum.ch und www.uhrensammlung.ch