Die Welt blickt auf die Schweiz, und Xi in die Zukunft. Trump wird sich wundern.
Für den chinesischen Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping hat ein entscheidendes Jahr begonnen. Im Herbst 2017 nämlich tritt der alle fünf Jahre stattfindende Parteikongress in Peking zusammen. Dort wird Xi zwar ohne Wenn und Aber für eine zweite fünfjährige Amtszeit wiedergewählt. Wie stark er allerdings sein wird, hängt davon ab, wie viele seiner loyalsten Anhänger er in die entscheidenden Parteigremien hieven kann.
Die Aussichten stehen nicht schlecht. Rund die Hälfte der 200 Vollmitglieder des Zentralkomitees muss aus Altersgründen ersetzt werden. Im 25 Mitglieder zählenden Politbüro wird ebenfalls fast die Hälfte ausgewechselt, denn wer 68 Jahre alt ist, muss sich nach einem ungeschriebenen Gesetz auf das Altenteil zurückziehen.
«Hinter dem Vorhang»
Im alles entscheidenden siebenköpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros sind gar fünf Mitglieder zu ersetzen. In vielen geheimen Sitzungen werden bis kurz vor dem 19. Parteitag (seit der Gründung der KP Chinas 1921) die Männer und vielleicht auch diese oder jene Frau bestimmt. Parteichef Xi hat «hinter dem Vorhang» offenbar alles im Griff, soweit man das vor dem Vorhang überhaupt beurteilen kann. Vieles hängt aber auch von den kommenden Wochen und Monaten ab, sowohl in der Wirtschafts- und Sozialpolitik als auch in der globalen und regionalen Aussenpolitik.
Die Schweiz wird Xi Jinping kaum Sorgen bereiten. Die Beziehungen sind gut bis eng, insbesondere die Handelspolitik mit dem vor drei Jahren abgeschlossenen Freihandelsvertrag. Bundesrat Schneider-Amman wusste von seinem Staatsbesuch im Frühjahr 2016 in China nur Gutes zu berichten. Wenn also in Bern Staatschef Xi mit dem Bundesrat und Präsidentin Doris Leuthard zusammentrifft, wird es kaum Probleme geben. Schliesslich ist die Schweiz ja auch «ein alter Freund Chinas», zudem noch mit der im Reich der Mitte hoch geschätzten Neutralität.
1999 «Freund verloren»
1999 allerdings war die Freundschaft ziemlich gefährdet. Staats- und Parteichef Jiang Zemin weilte auf Staatsbesuch in der Schweiz. Tibetischen Demonstranten gelang es, von den Sicherheitskräften unbemerkt auf Hausdächer beim Bundesplatz zu steigen. Jiang war schockiert und sagte in der Wandelhallte des Bundeshauses zur damaligen Bundespräsidentin Ruth Dreifuss undiplomatisch grob: «So etwas habe ich noch nie gesehen, in keinem Land.»
In seiner Rede setzte Jiang noch eins drauf: «Haben Sie nicht die Kapazität, dieses Land zu führen?» Die Schweiz, so der wütende Jiang, habe vielleicht innenpolitisch einige Punkte geholt, dafür aber «einen guten Freund verloren». Um das Mass voll zu machen, wurde beim Staatsbankett im Bellevue Jiang zunächst falsch gesetzt. Adolf Ogi nahm Jiang fast freundschaftlich beim Arm und setzte den chinesischen Staatspräsidenten protokollarisch korrekt. Und Ruth Dreifuss entschuldigte sich. Es herrschte danach zwar nicht gerade Freude. Das Schlimmste war jedoch verhindert.
«Menschenrechte ansprechen …»
Xi kommt jetzt, Jahre später, als «guter Freund» zurück. Immer wird in Peking darauf hingewiesen, dass die Schweiz China 1950 als einer der ersten Staaten diplomatisch anerkannt hat. Das wird auch von Schweizer Politikern immer wieder als mutige Pioniertat gepriesen. Es war aber keineswegs mutig, sondern gut schweizerisch pragmatisch. Faktum ist, dass die diplomatische Anerkennung Chinas damals in der Schweizer Aussenpolitik courant normal war, d. h. die Schweiz anerkennt die faktische Macht, ob die nun autoritär oder demokratisch ist, einerlei.
Wenn Xis Besuch nach zwei Tagen zu Ende ist, wird dem Bundesrat mit Sicherheit die Frage gestellt: Handel und Wirtschaft, das ist ja gut, wie aber steht es mit den Menschenrechten? Der Bundesrat wird dann, wie seit Jahrzehnten üblich, die immer gleiche Antwort geben: «Wir haben die Menschenrechte angesprochen.» Punkt.
Zeichen setzen
Chinas Supremo Xi wird dann seine Winterstiefel schnüren, seine Handschuhe überziehen und seine Pelzmütze aufsetzen und mit dem Helikopter nach Davos zum grossen Powwow der Einflussreichen und Mächtigen fliegen.
Dort geht es dann, wenn nicht alles täuscht, auch für Xi ans Eingemachte. Er wird Zeichen setzen, sodass selbst ein Donald Trump kurz schweigen wird. Die angedrohten 45-Prozent-Zölle für chinesische Produkte könnten einen Handelskrieg provozieren. Doch China ist gut vorbereitet und wird – wie die vom Parteiblatt Renmin Ribao (Volks-Tageszeitung) herausgegebene Global Times schreibt – «reagieren». Der Kommentator fragt: «Will Trump wirklich seine Präsidentschaft mit einer angespannten Beziehung mit dem grössten, bevölkerungsreichsten Land der Erde beginnen?»
Souveränität
Was die «abtrünnige Provinz» Taiwan betrifft, wird der neue amerikanische Präsident sich gar die Zähne ausbeissen. Dass Trump in einem Tweet die «Ein-China-Politik» zur Disposition gestellt hat, ist in China auf schieres Unverständnis gestossen. Ungleich der amerikanischen und chinesischen Geschäftswelt, so chinesische Beobachter, kann politisch nicht über alles verhandelt und ein Deal abgeschlossen werden. «In Sachen Taiwan», so die Global Times, «gibt es keinen Verhandlungsspielraum, weil es um nationale Souveränität geht».
Militärische Gewalt, das wiederholt die chinesische Regierung seit Jahren, bleibe immer eine Option. Global-Times-Kommentator Jin Canrong, Vizedirektor der Schule für Internationale Studien an der Pekinger Renmin Universität, schreibt denn auch: «Mit dem Verhalten der Tsai-Administration (Taiwan Präsidentin Tsai Ing-wen) mag die Zeit für einen Konflikt früher kommen als gemeinhin angenommen».
Die Äusserungen von Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping in Davos nur wenige Tage vor der Inauguration Trumps werden deshalb für Chinas Innen-, besonders aber für die globale und regionale Aussenpolitik von Bedeutung sein. Die Davoser Worte des chinesischen Vorsitzenden werden weltweit analytisch auf die Goldwaage gelegt werden. Da hilft kein Zwitschern mehr. US-Präsident Donald Trump wird sich wundern.