Italiens Populisten und Fremdenhasser haben Aufwind. „Wir brechen mit der Vergangenheit, nichts mehr wird sein wie früher. In Europa und Amerika weht jetzt ein anderer Wind.“ Matteo Salvini, der rechtspopulistische und rassistische Scharfmacher der fremdenfeindlichen Lega Nord fügt bei: „Mit Gemässigten gewinnt man keine Wahl.“
Auch Beppe Grillo, Chef der populistischen „5 Sterne-Bewegung“, springt auf den Zug auf. Doch ausser lauten und grossen Worten bietet er wenig. Das Schauspiel, das Virginia Raggi, die neue Römer Bürgermeisterin zeigt, ist beschämend. Ohne Plan und ohne Ideen ist die „5 Sterne“-Vorzeige-Ikone in das hohe Amt hineingestolpert. Das ist nicht nur ihr Fehler. Längst hat sie Beppe Grillo an die Leine genommen und dominiert ihr Handeln. Virginia Raggis Scheitern ist auch Grillos Scheitern.
Virginia Raggi, „the Trump of Rome“
Und ausgerechnet die tragische Frau Raggi hat jetzt Donald Trump nach Rom eingeladen. Nicht von ungefähr. Stephen Bannon, Trumps sehr rechtsstehender und teils antisemitischer Chefstratege, macht ihr seit Monaten den Hof. Bannons hetzerische Website Breitbart.com bezeichnet Raggi als „Trump of Rome“. Dreihundert Mal wurde sie von der Bannon-Truppe erwähnt. Sie ist „eine elegante Brünette und führt die populistische Revolution an“. Neben ihr werden auf Breitbart auch Nigel Farage, Marine Le Pen und die AfD-Fauna gelobt.
Donald Trumps Sieg gibt laut ersten Meinungsumfragen sowohl der Lega Nord als auch den „5 Sternen“ Auftrieb. „Wir sind Trumponi“, heisst es in der Lega. Immerhin eine originelle Wortschöpfung. Beide Bewegungen haben zurzeit nur eins im Sinn: den Sturz von Ministerpräsident Matteo Renzi.
„Entweder gibt es Veränderungen oder ich gehe"
Das könnte gelingen. Der Aufschwung der Populisten könnte Renzi jene wenigen zusätzlichen Stimmen wegnehmen, die er für sein politisches Überleben braucht.
In gut zwei Wochen, am 4. Dezember, entscheiden die Italiener und Italienerinnen über eine von Renzi eingebrachte Verfassungsreform. Wird sie abgelehnt, will der Regierungschef zurücktreten. Das hatte er im Frühjahr angekündigt. Viele werteten dies damals als plumpe Drohung. Doch an diesem Donnerstag wurde er konkret.
Renzi kündigte klipp und klar an, er sei nicht da, um politische Spielchen zu spielen. Er sei angetreten, um Italien zu reformieren. Sollten die Italiener seiner Reform nicht zustimmen, werde er definitiv zurücktreten. „Entweder gibt es Veränderung“, sagte er in einem Interview mit dem italienischen Radiosender RTL.102.5, „oder ich werde keine Rolle mehr in der künftigen Entwicklung des Landes spielen.“ Sollte sein Prestigeprojekt abgelehnt werden, werde er auch nicht für eine Übergangsregierung zur Verfügung stehen.
Es sieht schlecht für ihn aus
Seine Worte schlugen am Donnerstag im politischen Rom wie eine Bombe ein. Eine solche Aufrichtigkeit ist man bei den Römer Sesselklebern nicht gewohnt. Da meint es einer plötzlich mit Reformen ernst – und stellt seine persönliche Karriere zurück.
Ob Renzis klare Worte ihm etwas nützen, weiss niemand. Jedenfalls sieht es schlecht für ihn aus. Laut letzten Meinungsumfragen wird die Verfassungsreform, die das Land endlich etwas regierbarer machen soll, abgelehnt. Wird es Renzi noch gelingen, die fehlenden (je nach Umfrage) 3 - 7 Prozentpunkte gutzumachen? Heute glauben in Rom nur wenige daran. Vor allem auch nicht wegen des Aufschwungs der Trumponi.
Unnötige Volksabstimmung
Die von der Regierung Renzi angestrebte Verfassungsreform sieht faktisch eine Abschaffung des Zweikammern-Systems vor. Der Senat, die zweite Kammer, soll nur noch beschränkte Vollmachten haben. Zudem wird er auf 100 Mitglieder gestutzt. Mit dieser Reform soll das Land regierungs- und beschlussfähiger werden. Dem ewigen Palaver der Abgeordneten soll ein Riegel geschoben werden. Das endlose Hin- und Herschieben von Vorlagen soll so beendet werden.
Das Parlament hatte der Reform zugestimmt. Selbst der Senat hat seine faktische Abschaffung befürwortet. Renzi hätte diese Volksabstimmung laut Gesetz gar nicht ansetzen müssen. Er tat es trotzdem. Weshalb?
Selbst Berlusconi war für die Reform
Im Frühjahr sagten Meinungsumfragen ein überwältigendes Ja zur Reform voraus. Renzi packte die Gelegenheit beim Schopf. Er ist einer der einzigen Ministerpräsidenten, die durch einen parteiinternen Putsch an die Macht gelangten und nie vom Volk gewählt wurden. Mit einem Volks-Ja zu seiner Reform wollte er im Nachhinein eine demokratische Legitimation erhalten.
Die Reform findet in weiten italienischen Kreisen Zustimmung. Selbst Renzis Gegner sagten früher offen – und jetzt hinter vorgehaltener Hand – dass diese Reform der einzige Weg sei, um das Land endlich regierbarer zu machen. Und selbst Berlusconi hatte vor nicht allzu langer Zeit, die Reform mit salbungsvollen Worten befürwortet. Renzi hat ihm dies am Donnerstag im RTL-Radio-Interview dezidiert unter die Nase gerieben.
Erbärmlicher Zustand der Opposition
Und trotzdem will – laut jetzigem Stand – eine Mehrheit des Volkes gegen die Reform stimmen. Weshalb?
Längst ist klar, dass es bei dieser Abstimmung nicht um die Verfassungsreform geht. Es geht darum, ob Renzi gestürzt werden soll.
Dass die Opposition, ausserhalb und innerhalb seiner Partei, auf einen Sturz hinarbeitet und selbst an die Macht gelangen will, ist legitim. Zwar befinden sich alle Oppositionsparteien in einem erbärmlichen Zustand, doch sie fühlen sich in der Lage, das Land zu regieren.
Besser als Deutschland
Dass aber die Mehrheit des Volkes Renzi stürzen will, erstaunt auf den ersten Blick. Kein Ministerpräsident hat in den letzten Jahren so viel erreicht wie er. Auch die jüngsten Wirtschaftszahlen sind eher ermutigend. Man rechnet in diesem Jahr mit einem Anstieg des BIP um 0,8 Prozent. „Das ist zurzeit mehr als in Deutschland und Frankreich“, sagt Renzi. Viel Geld fliesst in die Infrastruktur.
Renzis harte Haltung gegenüber der EU kommt in Italien gut an. Er droht damit, gegen das neue EU-Budget das Veto einzulegen. Das beflügelt den lädierten italienischen Stolz. „Mit unserem Geld“, sagt Renzi, „bauen andere Mauern“ (Anspielung auf Ungarn). Italien zählt wieder im internationalen Konzert.
„Geistige und soziale Unreife des Volkes“
Trotzdem soll der Regierungschef weg. Die Italiener lieben den Königsmord. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben sie 64 Regierungen weggefegt – meist mit Opera-buffa-ähnlichem Showdown. Jetzt könnte Renzi dran sein.
Nicht nur in Italien erwartet man von einer neuen Regierung Wunder – aber in Italien besonders. Der neue Regierungschef soll – und zwar subito – die wirtschaftliche Lage verbessern. Er soll – und zwar subito – die Arbeitslosigkeit reduzieren, die Renten erhöhen, die Infrastruktur ausbauen, die Bürokratie abschaffen.
Das italienische Volk ist ungeduldig. Kommt nicht sofort eine Besserung, wird der Chef gestürzt. Dass gerade in einem kranken Land wie Italien mit seinen verkrusteten Strukturen, keine augenblickliche Besserung möglich ist, wollen viele nicht einsehen. Das zeige die „geistige und soziale Unreife des Volkes“, sagen Soziologen, die in Italien nicht gern gehört werden.
„Renzi hat mir nichts gebracht“
So wirft man den Chef raus, versucht es mit einem Neuen, der wieder mit neuen Mannschaften und Konzepten von vorne beginnen muss – und so bleibt das Land gelähmt wie eh und je.
Und so ist es jetzt. Renzi ist der Sündenbock für all das Heil, das man erwartet hat, das aber nicht sofort eingetreten ist. „Renzi hat mir nichts gebracht“, sagt ein älterer, gutsituierter Mann in einem Café hinter der Piazza del Popolo in Rom. „Die Preise steigen, die Renten sind eingefroren, meine Enkelkinder finden keine passende Arbeit.“ Seine Geduld sei am Ende. Zwar sei auch er für die Verfassungsreform, doch Renzi gehöre weg.
Herzzerreissend naiv
Käme es zu Neuwahlen, hätten Beppe Grillos „5 Stelle“ laut jüngsten Umfragen Chancen, stärkste Partei zu werden. Die „5 Sterne“ kommen zurzeit sehr nahe an Renzis Sozialdemokraten heran.
Würde Grillo regieren, würde Italien um Jahre zurückgeworfen. Die Grillo-Truppe hat keinerlei Exekutiv-Erfahrung – Virginia Raggi macht es vor. Zudem fehlt es den „Grillini“ an Persönlichkeiten. Viele meinen es zwar gut, doch wirken sie herzzerreissend naiv. Käme Grillo an die Macht, würde es Jahre dauern, bis sein Team gelernt hat, wie Regieren funktioniert.
Auch für die Wirtschaft und für Europa wäre eine Grillo-Regierung ein Schlag. Die „5 Sterne“ zeigen der EU die kalte Schulter und wollen aus dem Euro austreten. Ein klares Konzept haben sie genauso wenig wie Virginia Raggi in Rom.
Impotente technische Regierungen
Doch vielleicht kommt es bei einem Renzi-Sturz nicht sofort zu Neuwahlen. Es gibt Planspiele, wonach dann eine „technische Regierung“ eingesetzt würde – eine Regierung aus nicht parteigebundenen Fachkräften. Italien hat schlechte Erfahrungen mit solchen Kabinetten gemacht. Sie werden immer dann eingesetzt, wenn man nicht weiter weiss. Spuren hinterlassen haben sie nicht.
Sowohl die Regierung von Carlo Azeglio Ciampi, als auch jene von Lamberto Dini und Mario Monti sind nach kurzer Zeit gescheitert. Technische Regierungen bedeuten in Italien: Stillstand. Und dies zu einer Zeit, da das Land dringend reformiert werden müsste.
Jerusalem, Palästina
Noch hat Renzi gut zwei Wochen Zeit, das Ruder herumzuwerfen. Er ist jetzt auf jede Stimme angewiesen. Vor allem darf sich sein Team jetzt keine Pannen leisten und seine Freunde nicht verärgern. Doch genau das tat es.
Die italienischen Juden gehören zu jenen, die mehrheitlich hinter Renzi stehen. Das Renzi-freundliche „Komitee für ein Ja“ schickte jetzt den in Israel wohnenden und stimmberechtigten Juden einen Brief. Darin schildert das Komitee die Vorteile der Reform. Der Brief war so adressiert: Massimiliano Goldstein, Jerusalem, Palästina. Die israelischen Juden waren not amused.