Über Mailand geht die Sonne unter. Liebespärchen steigen am Valentinstag auf die Türme des Mailänder Doms und halten Händchen.
Eingeladen dazu werden sie von der kirchlichen Behörde, der Veneranda Fabbrica del Duomo, die für die Instandhaltung des Gotteshauses zuständig ist. Und – auf Nachfrage erklärt diese Behörde, dass auch homosexuelle Paare willkommen seien. Für Fabio Pellegatta, den Präsidenten der Mailänder Homosexuellen-Bewegung Arcigay, bedeutet dies „ein wichtiges Signal der Öffnung einer religiösen Körperschaft“. Wirklich?
Eros Ramazzotti und die andern
Von Mailand nach Sanremo, wo diese Woche das grösste italienische Schlagerfestival stattfindet. Es entwickelt sich zu einer eigentlichen Manifestation für die Homosexuellen. Fast alle werfen sich in den Kampf: Eros Ramazzotti, die Pop-Queen Arisa, der Mailänder Enrico Ruggeri, der Sizilianer Lorenzo Fragola und die Römerin Noemi.
Sie alle machen sich stark für eine Gesetzesvorlage, die eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft vorsieht. An ihren Mikrofonen flattern Bänder in den Farben des Regenbogens, dem Symbol der Homosexuellen-Bewegung. Ramazzotti sagt: „Die Familie ist wichtig, wie auch immer diese Familie zusammengesetzt ist.“ Das Publikum klatscht, doch nicht alle in Italien klatschen.
Rüge des Europäischen Gerichtshofes
Die Gesetzesvorlage, die der italienische Senat jetzt berät, spaltet das Land und entfesselt Emotionen. Italien ist das einzig grössere Land in Europa, in dem die Homosexuellen noch immer schwer diskriminiert werden – gesellschaftlich und auf Gesetzesebene.
Selbst das katholische Irland und das noch katholischere Malta kennen die gleichgeschlechtliche Ehe und Partnerschaft. Italien nicht. Das brachte dem Belpaese eine ungewöhnlich scharfe Rüge des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ein.
"Ziviler Zusammenschluss"
Der sozialdemokratische Ministerpräsident Matteo Renzi hatte schon vor Amtsantritt versprochen, er wolle sich für die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare einsetzen. Renzi ist angetreten, um Italien „zu verschrotten“, wie er sagt. Er meint damit das alte, unflexible, lethargische Italien mit seinen erstarrten Wirtschaftsstrukturen. Doch auch gesellschaftlich will er das Land mit sozialen Reformen modernisieren. Dazu gehört die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Paare.
Diese Woche begann der Senat über einen Gesetzesentwurf zu beraten, den die Senatorin Monica Cirinnà eingebracht hatte. Dieser Entwurf wirft riesige Wellen. Man meidet bewusst den Ausdruck „gleichgeschlechtliche Ehe“ und spricht von „zivilem Zusammenschluss: „Unioni Civili“. Da könnte sich Matteo Renzi die Zähne ausbeissen.
"Rettet die Familie, Gott will es!"
Es gab in der Vergangenheit immer wieder Vorstösse zur Einführung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Stets wurden sie von katholisch-konservativen Kreisen abgeschmettert. Auch diesmal steht ein Erfolg keineswegs fest.
Mit einem riesigen Aufgebot kämpfen die Gegner gegen das Gesetz. Würde es angenommen, sagen sie, sei dies „das Ende der Familie“. Als ob es im übrigen Europa keine Familien mehr gäbe. Auf Römer Plätzen verteilen sonderbare Menschen mit langen weissen Kleidern Flugblätter auf denen steht: „Rettet die Familie, Gott will es!“ Ein süditalienischer Bischof sagt, die Einführung eines solchen Gesetzes wäre „ein krimineller Akt gegen die Familie, diesen Hort der Liebe.“
Bigotterie
Doch das italienische Lied von der heilen Familienwelt ist ziemlich verlogen. Die Italiener sind die ersten, die wissen, dass sie in einem bigotten Land leben. Die Scheidungsrate schnellt nach oben, in Mailand leben mehr junge Singles als Paare. Die Geburtenrate gehört zu den tiefsten der Welt. In keinem andern europäischen Land werden so viele Frauen von ihren Männern misshandelt oder getötet.
Zur Bigotterie gehört auch, dass man das Thema Homosexualität nicht anschneidet. Ganz nach dem Motto: Es gibt keine Homosexuellen. Also sprechen wir nicht darüber.
Der Einfluss der Kirche schwindet
Ein Comingout wagt immer noch kaum jemand. Als ein homosexuelles Paar kürzlich Hand in Hand durch Rom spazierte, wurde es angepöbelt. Das Seltsame ist, dass selbst hochgebildete Leute, Professoren und andere Intellektuelle, Homosexualität verurteilen. Die lange, lange Gehirnwäsche der katholischen Kirche scheint sich nicht nur in den Köpfen, sondern auch in der italienischen Seele eingenistet zu haben.
Doch der Einfluss der katholischen Kirche schwindet. Deutlich wurde dies auch im Januar. Die Gegner der Gesetzesvorlage hatten zu einem „Family Day“, einer Grossdemonstration beim Circo Massimo in Rom aufgerufen. Die Organisatoren sprachen von zwei Millionen Teilnehmern. In Wirklichkeit waren es keine 200'000. Bei früheren Anti-Homo-Demonstrationen war der Zulauf mindestens zehn Mal grösser. Selbst der Papst mag sich nicht mehr so recht ins Zeug legen, wenn es um homosexuelle Partnerschaften geht.
"Hinterwäldner Europas"
Für die Regierung Renzi ist die Zeit reif, endlich Klarheit zu schaffen. Ob es nun den Ultrakonservativen passt oder nicht: Es gibt sie, die Homosexuellen, und es gibt auch in Italien mehr davon, als der Kirche lieb ist. Viele leben zusammen, und dazu braucht es Gesetze. „Wir müssen uns schämen, dass wir noch keine solche Gesetze haben“, sagt Monica Cirinnà. „Wir sind die Hinterwäldler Europas.“
Der jetzt vorliegende Gesetzesentwurf geht wesentlich weniger weit als in andern Ländern. Er sieht vor, dass Schwule und lesbische Paare in den meisten sozialen Bereichen mit Verheirateten gleichgestellt würden, dies auch in Bezug auf Erbrecht und Renten. Homosexuelle könnten auch den Namen des Partners oder der Partnerin annehmen.
Auch Linke sind dagegen
Vor allem gegen die vorgeschlagene Adoption von Stiefkindern laufen die Gegner Sturm. Doch: „Wenn heterosexuelle unverheiratete Paare die jeweiligen Stiefkinder adoptieren können, soll das gleiche Recht auch für gleichgeschlechtliche unverheiratete Paare gelten", sagt Nils Muižnieks, Menschenrechtskommissar des Europarates. In diesem Sinn haben sich auch im letzten und vorletzten Jahr Richter in Rom ausgesprochen.
Doch es ist keineswegs so, dass das urbane Italien und die Linken unisono für die Gesetzesvorlage sind - und die Konservativen und Landbewohner dagegen. Es gibt auch linke Gegner. Da zeigt sich, dass Renzis sozialdemokratischer Partito Democratico (PD) eben einen starken christdemokratischen Flügel hat.
"Italien wach auf!"
Vor allem konservative und populistische Politiker wissen um die Stimmung im Land. Sie fürchten, dass eine Parteinahme für das Gesetz ihrer Popularität schaden könnte.
Heftigen Widerstand gibt es natürlich bei Berlusconis Forza Italia und der Lega Nord, die keine Gelegenheit auslassen, um Renzi zu schaden. Doch auch viele Politiker der Mitteparteien sind dagegen. Beppe Grillos „5 Sterne-Bewegung“ könnte Stimmfreigabe beschliessen.
Doch inzwischen haben sich auch die Befürworter organisiert. „Italien wach auf“, heisst es auf Transparenten. Zehntausende vorwiegend Junge protestierten in fast hundert Städten gegen die Diskriminierung der Homosexuellen. Mit Regenbogenfahnen zogen sie durch die Strassen.
Starker Renzi
Zwar sind am Mittwoch erste Blockierungsversuche des Gesetzes abgewiesen worden, doch noch ist längst nichts entschieden. Auf der Agenda stehen über hundert Abänderungsvorschläge. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Renzi den Kampf um die Unioni Civili verliert. Oder das Gesetz wird derart verwässert, dass es nichts bringt. Schlechte Karten hat Renzi auch, weil er sich – damals als Bürgermeister von Florenz – selbst gegen ein solches Gesetz ausgesprochen hatte – wohl auch aus populistischen Gründen. Renzi kommt eben auch aus der christdemokratischen Küche.
Der draufgängerische Renzi hat sich in seiner kurzen Amtszeit eine starke Position aufgebaut. Eine Alternative zu ihm gibt es im Moment nicht. Er hat in zwei Jahren mehr erreicht als seine Vorgängerregierungen in zwanzig Jahren. Italien braucht heute einen Mann wie ihn. Sein vehementer Einsatz für die Unioni Civili, dieses hochemotionale Thema, birgt grosse Risiken. Gewinnt er, wächst seine Statur um zehn Zentimeter, verliert er jedoch, wird sie um zwanzig Zentimeter kleiner.
All das kümmert die hetero- und homosexuellen Liebespärchen nicht, die am Valentinstag auf die Türme des Mailänder Doms steigen und den Sonnenuntergang betrachten. Doch wie immer in der Kirche hat die Sache einen Haken. Der Aufstieg kostet 60 Euro. Will man den Besuch mit einer Urkunde bescheinigen lassen, zahlt man 80 Euro. Das Geld geht an die Renovation des Doms.