“Journal 21“: Der WWF hatte früher das Image von „Kupfer, Wolle, Bast“. Stimmt dieses Image noch?
Hans-Peter Fricker: Nein. Das Forschungsinstitut gfs-Zürich befragt jährlich im Auftrag gemeinnütziger Organisationen über 1500 Bürger. Gemäss diesen Umfragen werden wir als kompetent, glaubwürdig, modern und erfolgreich gesehen.
Früher hatten wir vielleicht dieses Image, weil alle grün orientierten Organisationen mit Kupfer, Wolle, Bast in Verbindung gebracht wurden. Heute ist es zum Teil sogar umgekehrt. Manchmal kommt die Frage: Seid ihr vom WWF überhaupt noch grün, da ihr Kontakte zur Business-Welt habt und jetzt modern auftretet - nicht mehr mit Birkenstöcken?
Sie suchen sogenannte Wirtschaftspartnerschaften und versuchen grosse Firmen zu überzeugen, umweltgerechter zu produzieren. Lassen sich zum Beispiel riesige Lebensmittel-Multis von Ihnen überzeugen, umweltfreundlicher zu produzieren oder umweltfreundlichere Produkte anzubieten?
Ja. Die beiden Grossverteiler Migros und Coop zum Beispiel haben bedeutende Fortschritte gemacht. Sie verkaufen zu einem grossen Teil nur noch Möbel aus zertifiziertem Holz. Sie bieten immer mehr MSC-zertifizierte Fische an, nehmen bedrohte Arten ganz aus dem Fisch-Verkauf und verzichten auf Palmöl aus zweifelhaften Quellen. Wir konnten beide überzeugen, den CO2-Ausstoss massiv zu drosseln. Bei Migros z.B. waren es in den letzten Jahren 27 Prozent. Coop spart allein mit einer besseren Abwärmenutzung in der Verteilzentrale Gossau 500 Tonnen CO2, bzw. 160‘000 Liter Heizöl jährlich ein. Ein weiteres Beispiel sind die Nachhaltigkeitsfonds, die die Zürcher Kantonalbank in Zusammenarbeit mit uns eingerichtet hat.
Auch im Ausland gibt es viele Beispiele. Coca Cola hat sich dem WWF gegenüber verpflichtet, den Wasserverbrauch bei der Produktion ihrer Getränke und beim Flaschenreinigen um 20 Prozent zu reduzieren. Lafarge, der grösste Zementhersteller, hat die Treibhausgase innert zehn Jahren um mehr als 20 Prozent reduziert. Jetzt will die Firma bis 2020 weitere zehn Prozent schaffen. Oder Wal-Mart, die weltweit grösste Supermarkt-Kette, bietet bald nur noch MSC-Fische an. All das zeigt, wie sinnvoll die Zusammenarbeit des WWF mit der Wirtschaft ist.
Wenn Kooperation nicht hilft, scheuen Sie dann auch die Konfrontation nicht?
Nein. Wir haben zum Beispiel die CS wegen ihrer Kreditvergabe an das ostrussische Sachalin-Projekt offen angegriffen. Dort wird Erdöl gefördert, das die Grauwalpopulation bedroht. Heute benutzt man die Social Media wie z.B. Facebook und Twitter, um Firmen zu kritisieren. Im letzten Herbst haben wir economiesuisse attackiert, die auf einer speziell eingerichteten Homepage zusammen mit zahlreichen Firmen gegen das CO2-Gesetz Sturm gelaufen war. Dabei waren auch Firmen, die sich in der Öffentlichkeit sehr ökologisch geben. Diese haben sich nach unserem öffentlichen Druck von der Aktion der economiesuisse zurückgezogen. Ein weiteres Beispiel: Wir konnten verhindern, dass die Zürcher Kantonalbank, mit der wir eine Partnerschaft pflegen, einen Kredit an das türkische Ilisu-Staudamm-Projekt vergibt.
Können Sie sich vorstellen, dass der WWF zum Boykott einzelner Produkte oder einer ganzen Firma aufruft?
Mit 220‘000 Mitgliedern sind wir die grösste Schweizer Umweltorganisation. Schon wenn wir all unsere Mitglieder aufrufen, ein Produkt oder eine Firma zu boykottieren, kann das etwas bewegen. Bei solchen Aufrufen suchen wir aber immer die ganze Öffentlichkeit, und so kommt entsprechend viel Druck zusammen.
Die Suche nach Wirtschaftspartnerschaften hat ihnen ja den Vorwurf eingetragen, Sie seien wirtschaftsfreundlich. Leidet ihr Ruf darunter?
Es ist vorgekommen, dass uns einzelne Mitglieder kritisiert haben, weil wir Wirtschaftskontakte haben und mit bestimmten Firmen Partnerschaftsverträge eingegangen sind. Wir müssen dann eben erklären, was wir dank dieser Zusammenarbeit viel erreichen konnten und weiterhin können. Diese Partnerschaften haben uns umgekehrt auch viel Respekt eingetragen. Es wird geschätzt, dass wir nicht die Konfrontation suchen, sondern den Dialog und dass wir viel Überzeugungsarbeit leisten. Vor allem auch in der Politik ist das Echo darauf sehr positiv.
Im Schweizer Parlament hat fast jede Kaninchenzüchter-Gruppe eine Lobby. Hat der WWF auch eine Lobby?
Wir sind unsere eigene Lobby. In den letzten Jahren haben wir in der Schweiz die politische Arbeit stark ausgebaut. Wir haben jetzt eine dreiköpfige Politikabteilung. So können wir die Wirkung auf parlamentarische Entscheide verstärken.
Wie funktioniert das?
Schon während die politischen Vorlagen in der Verwaltung oder im Bundesrat erarbeitet werden, bringen wir unsere Standpunkte ein: schriftlich und zum Teil mündlich. Wenn die Botschaft des Bundesrates ans Parlament geht, nehmen wir mit den zuständigen Kommissionsmitgliedern Kontakt auf. Ihnen legen wir unsere Haltung dar. Wir sind daran interessiert, dass schon gute Kommissionsentscheide in beiden Kammern zustande kommen. Wenn es dann um die Debatte im Plenum geht, sind wir in der Wandelhalle präsent und versuchen, den Parlamentariern unseren Standpunkt zusammen mit den wesentlichen Argumenten und Zahlen zu erklären.
Sollte der WWF nicht manchmal etwas aggressiver auftreten?
Diese Frage taucht ab und zu auf. Man betrachtet uns offenbar als die integrierteste und bravste Umweltorganisation. Doch man muss zwischen Form und Inhalt unterscheiden. Bei den Inhalten sind wir genau so entschieden, zielstrebig und entschlossen wie andere Organisationen. Unsere Stärke ist die Überzeugungsarbeit. Ich glaube nicht, dass uns die Entscheidungsträger als schwach empfinden. Kürzlich sagte mit ein Vertreter von economiesuisse, dass der WWF in letzter Zeit deutlich gefährlicher geworden sei. Gefährlicher, weil wir selbst die Sprache der Wirtschaft, der Politik und der Mächtigen sprechen und so grössere Wirkung entfalten können. Aber das wirkt natürlich nach aussen weniger spektakulär, als wenn ich einen Kühlturm besteige.
Umweltschutz wird in breiten Teilen der Bevölkerung noch immer als „nice to have“ eingestuft. Liegt das daran, dass uns das Wasser noch nicht wirklich bis zum Hals steht?
Ich denke schon. Das liegt daran, dass man die schlimmen Entwicklungen nicht hautnah erlebt. Dass wir zu viel CO2 in der Luft haben, sehen wir nicht, spüren wir nicht, riechen wir nicht. Wenn Tier- oder Pflanzenarten verschwinden, Käfer, Fischarten, Amphibien, dann tut das niemandem direkt und persönlich weh.
In den Achtzigerjahren hatten wir das Waldsterben, das sich dann im Nachhinein als nicht so schlimm erwies. Aber da sah man etwas. Konkret. Da waren die Leute viel alarmierter als heute beim CO2.
Und so läuft auch das Beispiel „Fukushima“. Wir haben jetzt miterleben müssen, was eine Atomkatastrophe wirklich ist und dass sie auch in einem hochtechnisierten, modernen, reichen Land stattfinden kann. Jetzt ist die Vergleichbarkeit mit der Schweiz gegeben und es gibt die entsprechenden Reaktionen. Erst wenn wir die Gefahr wirklich vor uns sehen, ändert sich etwas. Ich hoffe wirklich, dass wir beim Klimawandel nicht erst reagieren, wenn wir vor lauter Dürren selbst im Westen nicht mehr genügend Nahrungsmittel haben. Denn das CO2 bleibt 200 Jahre in der Luft, bis es abgebaut ist….
Sie waren acht Jahre lang Geschäftsführer des WWF Schweiz. Sagen Sie uns kurz, was in den letzten Jahren erreicht wurde.
Auf politischer Ebene konnten wir dazu beitragen, dass das neue CO2-Gesetz doppelt so hohe Ziele hat für 2020, als es der Bundesrat ursprünglich wollte. Wir haben auch zu einem besseren Gewässerschutz und zu einer ökologischeren Agrarpolitik beigetragen. Ferner konnten wir die Errichtung neuer Schutzgebiete erreichen. Einige schädliche Bauten konnten verhindert werden, eine Vielzahl wird ökologischer ausgestaltet als ursprünglich vorgesehen. In einem neuen Projekt beobachten jetzt 400 Freiwillige den Zustand von Flüssen und Bächen. Mit öffentlichen Kampagnen haben wir die Konsumenten sensibler für ökologische Produkte gemacht. Auch das zeigen die Umfragen.
Ein Teil der Welt hat jetzt eine der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrisen erlebt. Ist es da nicht verständlich, dass man kurzfristig an die Erhaltung von Arbeitsplätzen denkt – und nicht an das Klima in dreissig Jahren?
Das ist nachvollziehbar. Das Hemd der jetzigen Generation ist uns bekanntlich näher als der Kittel der kommenden Generation. Aber Ökologie und Erhaltung von Arbeitsplätzen schliessen sich ja nicht aus. Die Cleantech-Industrie wächst und hat neue, auch wirtschaftlich sehr interessante Potentiale. Auch damit können Arbeitsplätze geschaffen werden. Als aufgeklärte, intelligente Menschen können wir sowohl für den Moment als auch für die Zukunft etwas tun. Es ist die Aufgabe einer Organisation wie des WWF, an die langfristige Perspektive zu erinnern.
Es gibt zudem immer mehr Leute, für die Wachstum und Reichtum nicht das einzige Ziel im Leben ist. Viele denken darüber nach, was sie künftigen Generationen hinterlassen. Gerade die Wirtschaftskrise hat dieses Bewusstsein geschärft.
Bis 2030 wird die Weltbevölkerung von heute knapp sieben auf neun Milliarden Menschen wachsen. Und alle brauchen Rohstoffe. Ist ein Kollaps nicht unvermeidbar?
Wenn wir den ökologischen Fussabdruck weiter so wachsen lassen wie bisher, dann ist der Kollaps unausweichlich. Wenn wir es schaffen, dass die bevölkerungsreichen Schwellenländer wie Brasilien, Indien, Südafrika, Mexiko oder China nachhaltiger werden, dann können wir den Kollaps wahrscheinlich vermeiden. Wir haben heute die Technologien, um es besser zu machen. Das zeigt z.B. auch der neuste WWF Energy Report. Diese Techniken müssen wir den Menschen, die noch nicht unseren Wohlstand haben, aber auf dem Weg dazu sind, zur Verfügung stellen. Und wir können beim Energieaufwand ganz wesentlich zurückschrauben, ohne irgendeinen wesentlichen Komfort zu verlieren.
Wir hören immer wieder gutmeinende Aufrufe: Esst weniger Fleisch, benutzt den OeV, löscht das Licht – ist es nicht naiv zu glauben, die Menschen würden sich überzeugen lassen, das eigene Verhalten zu ändern?
Ja und nein. Das ökologische Bewusstsein wächst. Viele haben gemerkt, dass man heute handeln muss, um morgen etwas zu erreichen. Das geschieht in vielen Einzelköpfen, aber auch in vielen Familien. Doch andere machen sich noch überhaupt keine Gedanken. Sie fliegen an diesem Wochenende nach London, am nächsten nach Berlin, und Ferien müssen auf den Maladiven sein.
Ist generell das ökologische Bewusstsein gewachsen?
Ja. Viele sagen zwar, ich handle noch nicht ökologisch, aber ich wüsste schon mal, wie man sich verhalten soll. Das ist schon ein Fortschritt. Immer mehr Leute auch achten beim Kauf eines Geräts auf den Stromverbrauch oder beim Kauf eines Autos auf den CO2-Ausstoss. Wenn dieses Bewusstsein nun breiter vorhanden ist, so hilft uns das schon mal bei den Abstimmungen. In den letzten 8 Jahren haben wir keine Abstimmung, die ökologisch relevant war, verloren. Siehe zum Beispiel auch die Zweitwohnungsinitiative vom letzten März, von der alle angenommen hatten, sie werde sowieso abgelehnt.
Schafft die Schweiz die Energiewende?
Ich gehe davon aus. Ich bin positiv überrascht, wie die Schweiz auf Fukushima reagiert hat. Das war keine Reaktion, die nur eine kurze Zeit dauerte. Eine grundsätzliche Kehrtwende in der Energiepolitik hat eingesetzt. Im Parlament, im Bundesrat will man aus der Atomkraft aussteigen. Das wird uns noch viele Mühen bereiten und zahlreiche Kontroversen auslösen. Da man aber weiss, dass ein neues AKW in der Schweizer Bevölkerung nicht mehrheitsfähig ist, geht man jetzt seriös daran, Alternativen zu prüfen und auszubauen.
Schafft die Schweiz den Stopp der Zersiedelung
Bis zum 11. März hätte ich gesagt, nein. Dann kam die Abstimmung über die Zweitwohnungsinitiative. Zwar war das Ergebnis knapp, aber es ist doch ein deutliches Signal in Sachen Raumplanung. Pro Sekunde wird in der Schweiz ein Quadratmeter verbaut, pro Jahr also die Fläche des Walensees. Und das Land wächst nicht. „Genug ist genug“, das war die Botschaft dieser Abstimmung. Wir müssen mit unserem Raum sorgfältiger umgehen.
Der WWF Schweiz kümmert sich ja mehr und mehr auch um Themen im Ausland, zum Beispiel in China, Südostasien, Afrika. Was kümmert uns China? Gäbe es in der Schweiz nicht genug zu tun?
Der WWF wurde 1961 gegründet. Damals hat alles mit Afrika begonnen. Die nationalen Gesellschaften wurden gegründet, um Geld zu sammeln für die Rettung aussterbender Tierarten. Der Panda ist unser Wappentier. Doch unsere Spenderinnen und Spender erwarteten mit der Zeit, dass auch im eigenen Lebensraum etwas geschieht. Deshalb haben wir im Laufe der Jahre die Naturschutzarbeit im eigenen Land auf- und ständig ausgebaut. Bei der Bildung Jugendlicher konnten wir viel erreichen. Viele Kinder und Jugendliche gehören zu unsern Mitgliedern. Wir gehen in Schulen im ganzen Land, wir sind mit dem Pandamobil unterwegs.
Anderseits waren wir ein wichtiger Träger der Rothenturm-Initiative. Sie hat das Bewusstsein für den Umweltschutz in der Schweiz wesentlich gestärkt. Heute geben wir etwa die Hälfte der Programm-Gelder in der Schweiz und die andere Hälfte im Ausland aus.
Gerade das Klima können und müssen wir nicht nur in unseren eigenen vier Wänden schützen. Die Treibhausgase, die in China und in Indien produziert werden, haben einen wesentlichen Einfluss auch auf die Schweiz. Deshalb sind wir auch im Ausland aktiv – und das hat dann auch wieder eine positive Auswirkung auch auf uns.
(Das Gespräch mit Hans-Peter Fricker führte Heiner Hug)