Man weiss wenig über die Rebellen in Syrien. Schuld daran ist zu einem bedeutenden Teil der Umstand, dass es in Syrien keine öffentliche Information gibt, nur Regimepropaganda. Dies nicht erst seit dem Beginn der Revolution, schon seit guten 60 Jahren. Genauer gesagt, die staatliche Kontrolle der Information ist in diesen 60 Jahren immer vollständiger geworden.
Informationsbeschränkung
Auch die Berichterstattung im Ausland war und wurde immer mehr eingeschränkt. Während Jahrzehnten wurden nur wenige Visen für Journalisten ausgegeben. Doch seit der Revolution ist das Einreise-Verbot für ausländische Journalisten absolut geworden. Einzig einige "Renommier-" oder "Alibi-" Korrespondenten, erhalten Visen. Sie werden von Aufpassern des Regimes kontrolliert.
Unkontrollierbare Meldungen
Resultat dieser Anti-Informationspolitik war und ist immer noch, dass unkontrollierbare Berichte und Gerüchte aus dem Lande fliessen, oder gar erfunden werden. Dass geschossen wird, lässt sich auf die Dauer nicht verheimlichen. Doch wer warum schiesst, darüber gibt es nur einerseits Regime-Propaganda. Sie spricht systematisch von Banden, welche das Ausland motiviere und bewaffnen. Anderseits gibt es Informationen von freiwilligen Enthusiasten, Amateuren, aber wohl auch interessierten Propagandisten. Auch sie verbreiten gefilterte, unkontrollierbare und möglicherweise erfundene Berichte.
Brutale Fakten lassen sich auf die Dauer weder verbergen noch abstreiten. So erfährt man, wo geschossen wird und wo die Kämpfe Zerstörungen grossen Stils hinterlassen und dann wieder abklingen. Auch die Massenflucht in die Türkei, in den Libanon und nach Jordanien, sogar in den Irak, lässt sich nicht verbergen. Bilder enthalten Information, doch sie können auch gestellt sein. Die Information, die sie geben, sagt wenig aus darüber, was die Syrer motiviert und wie sie sich organisieren. Sie zeigen bloss "Kämpfer", "Armeeangehörige“, "Zivilisten" und "Opfer", neuerdings auch immer mehr verlassene Strassen und verödete Stadtviertel voller Ruinen.
Zwischen Wissen und Vermuten
Hier soll ein Versuch gemacht werden zusammenzustellen, was man über die syrischen "Rebellen" weiss und was man vernünftigerweise vermuten kann.
Man weiss, dass die Erhebung als eine gewaltlose Erhebung begann. Es gibt Behauptungen, nach denen "schon früh" Waffenträger unter den Rebellen gesichtet worden seien. Die wenigen Belege dafür, die angeführt werden, sind Bilder, darunter solche, „die von al-Jazeera aufgenommen, aber aus mysteriösen Gründen nicht gezeigt worden" seien (so Robert Fisk in Guardian vom 21. Juli). Anderseits gibt es die gewaltige Masse von Demonstranten im ganzen Lande, die gewaltlos vorgingen und auch immer wieder erklärten, sie wollten gewaltlos bleiben, sogar wenn auf sie geschossen werde.
Man darf als überaus wahrscheinliche Vermutung hinzufügen, dass ihre Bewegung, die im März 2011 in Deraa begann, inspiriert war durch die Ereignisse in Tunesien und Ägypten, die sich damals ja auch auf den Jemen und auf Libyen auswirkten und überall in der arabischen Welt, auch dort, wo sie sich nicht durchsetzen konnten (Marokko, Algerien, Bahrain, Jordanien, Saudi-Arabien, Irak) Erschütterungen hervorriefen.
Dass der Auslöser in Deraa die Folterung von minderjährigen Schülern durch die Geheimdienste war, weil Slogans gegen das Regime auf Hausmauern geschrieben worden waren, gehört zu den Informationen, die strikte genommen nicht überprüfbar sind; sie scheinen aber kaum abstreitbar, schon weil damals das Regime selbst offiziell zugab, dass "Fehler" begangen worden seien und sich zu entschuldigen suchte.
Zuerst gewaltlose Demonstrationen
Trotz solchen Gesten gingen die Demonstrationen in Deraa weiter und die Sicherheitskräfte schossen sowohl auf Demonstranten wie auch auf Beerdigungszüge von Opfern. Aus dieser ersten Phase des Widerstandes gibt es zahllose Erklärungen der Demonstranten. Sie beteuerten, sie wollten gewaltlos vorgehen. Es gab auch immer wieder gewaltlose Grossdemonstrationen. Sie blieben gewaltlos, obwohl die Sicherheitskräfte Gewalt anwendeten. Dies kam so oft vor und wurde so ausführlich dokumentiert, dass es als gut verbürgte Tatsache gelten darf.
Wie genau und unter welcher Führung sich dann die Unruhe aus der Region von Deraa auf andere Landesteile ausbreitete, ist weniger klar. Überraschend kam, dass es nicht die beiden Hauptstädte Syriens waren, in denen weitere Demonstrationen ausbrachen. In allen anderen arabischen Ländern waren und blieben die Hauptstädte Fokalpunkte der Volkserhebungen. In Ägypten hatten sie in Kairo begonnen, in Jemen in San'a, in Bahrain in der Hauptstadt Manama. In Tunesien allerdings nicht. Dort begann die Bewegung im vernachlässigten Hinterland. Erst als in Tunesien der Umsturz kurz bevorstand, erreichten die Demonstrationen die Hauptstadt.
In den Herzgebieten der Shabiha
Nach Deraa griffen die Unruhen auf die Regionen von Tartous und Lattakiya über. Dort kam es zu den ersten kämpferischen Auseinandersetzungen. Sie scheinen ausgelöst worden zu sein durch die Shabiha, die Mafia-artigen Milizen, die in der Region endemisch sind seit der Zeit von Rifaat al-Asad, der sie als seine Privatarmee in Hama und später während des Bürgerkrieges in Libanon einsetze.
Rifaat, der Bruder von Hafez al-Asad, wurde dann 1984 nach Paris in ein vergoldetes Asyl verbannt, weil er versucht hatte, seinen Bruder zu entmachten.
Homs und Hama im Zentrum
Dann setzten sich die Unruhen in Hama und seiner Umgebung fort, wenig später auch in Homs, der drittgrössten Stadt Syriens. Homs sollte zur eigentlichen Zentrale und zum Symbol der Erhebung werden. Hama hat seit 1982 eine blutige Rechnung mit dem Asad-Regime offen. Homs ist in den letzten Jahrzehnten ein Industriezentrum und ein zentraler Markt für den Verkauf und die Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte geworden. Daher haben sich grosse Vororte gebildet, wo Arbeitskräfte leben, die vom Land zugezogen waren. Es entstanden ganze Quartiere von Alawiten. Sie hatten in der sunnitischen Landstadt Homs Arbeitsplätze gefunden. Unter Hafez al-Asad hatten die Alawiten politischen Einflusses gewonnen. Diese Vorstädte reichen weit ins Land hinaus. Ihre Bewohner hatten also ständig das Elend, das sich in der syrischen Landwirtschaft ausbreitete (Trockenheit, Vernachlässigung, Landflucht) vor Augen.
Vororte mit krassen sozialen Übeln
Wie in der ganzen arabischen Welt kam dazu, dass die Mehrheit der Jugendlichen keine Arbeitsplätze fand. Die meisten jungen Männer konnten nicht heiraten, weil sie von ihren Eltern abhängig blieben und keine eigene Wohnung beziehen konnten. Beziehungen ohne Heirat gibt es nur in ganz wenigen Fällen.
Die Desertionen am Anfang der Gewalt
Auch in Hama und Homs und später in allen umliegenden Kleinstädten des Orontes-Tals gab es zuerst gewaltlose Massendemonstrationen. Die Truppen und Sicherheitsleute erhielten Befehl, auf die Demonstranten zu schiessen. Deshalb begannen sunnitische Soldaten zu desertieren. Sie hatten von den alawitischen Vorgesetzten Schiessbefehle erhalten und wussten, dass die Menschen, auf die sie schiessen mussten, ihre eigenen sunnitischen Landsleute sein würden.
Die Desertion bewirkte zweierlei: Der bisher gewaltlose Widerstand wurde jetzt ein bewaffneter. Und: Der Graben zwischen den regimetreuen Alawiten (und Christen) und den aufständischen Sunniten wurde tiefer und tiefer.
Die eigenen Landsleute in Lebensgefahr gebracht
Die Deserteure, die nach Möglichkeit ihre persönlichen Waffen mitbrachten, betonten am Anfang, sie wollten ihre zivilen Brüder, die demonstrierenden Massen von Sunniten, "verteidigen". Sie bewirkten freilich das Gegenteil. Sie brachten ihre Mitbürger und Landsleute in Lebensgefahr, denn die Armee wollte natürlich die Deserteure aufspüren und energisch bestrafen. Das Militär setze seine überlegenen Waffen ein, ohne sich gross darum zu kümmern, ob es damit die Deserteure, die zivilen „Rebellen“ oder auch Unbeteiligte traf. Dies führte dazu, dass es immer seltener gewaltlose Manifestationen gab. Auf beiden Seiten nahm jetzt die Gewalt zu. Sie bestimmt nun das Geschehen. Gewaltlose Demonstrationen hingegen gab es später noch neu in den Vorstädten von Damaskus und noch dann auch in Aleppo.
Die Aussenquartiere besonders betroffen
In diese Vorstädte strömten, wie in Homs, Menschen aus den verarmten umliegenden Dörfern. Auch hier herrscht Armut und Arbeitslosigkeit. Doch es gab weniger Überläufer. Und sie verfügten kaum um Waffen. Die alawitischen Aufseher taten alles, um das Abbröckeln ihrer Armee zu verhindern. Die Präsenz der rein oder überwiegend alawitischen Elitetruppen, Agenten und Spitzeln war in Aleppo und Damaskus dichter als in den Provinzen.
Direkte und indirekte Nutzniesser des Regimes
In den beiden Hauptstädten, meist in den zentralen und besseren Quartieren, leben auch bedeutende Gruppen von Syriern, die direkt oder indirekt vom herrschenden System profitieren. So die Staatsangestellten auf der untersten Stufe. Aber auch die verschiedenen Gruppen, die an den Geschäften und Monopolen der herrschenden alawitischen Elite beteiligt sind, etwa als Fachleute und als Zudiener. Sie wurden für ihre Leistungen belohnt, weil ohne sie die schwerreichen Monopol- und Oligopol-Inhaber der staatlichen Elite, weitgehend alawitischer Färbung, ihre Geschäfte nicht voranbringen konnten.
Zu dieser Vermittler- und Zuschaffungsklasse gehören auch die christlichen Kaufleute und Unternehmer von Aleppo und Damaskus – und mit ihnen ihre weit gestreute eigene Klientel christlichen Glaubens. Auch sunnitische Geschäftsleute waren reich geworden, weil sie den Machthabern und Milliardären aus dem Hause Asad zudienten. Sie fürchteten, dass ein Sturz des Regimes auch das Ende ihres Wohlstands bringen könnte. Dazu kommt, dass die christliche Minderheit Angst vor den salafistischen Islamisten hat, falls diese Syrien beherrschen sollten.
Vertiefung der bestehenden Gräben
So wurden, als Blut zu fliessen begann, die Gräben zwischen den verschiedenen Gemeinschaften und Gesellschaftsschichten immer tiefer. Die neu akzentuierten Gegensätze zwischen den Religionsgemeinschaften führten dazu, dass die Klassenunterschiede zwischen den Reichen, den Armen, der oberen und unteren Mittelschicht immer weniger wichtig wurden. Wichtig sind jetzt die Religionsgemeinschaften. Auch die armen Alawiten, von denen es ohne Zweifel mehr gibt als reiche, fühlten sich bedroht durch den Aufstand, der zunehmend ein sunnitischer wurde. Auch die wohlhabenderen Sunniten sahen mit Furcht und Befremden wie die sunnitischen Rebellen zusammengeschossen wurden, sich aber dennoch immer häufiger und immer kampflustiger in immer weiteren Teilen des Landes erhoben. Die Befürworter des gewaltlosen Widerstandes hatten immer wieder betont, sie wollten für alle Syrier sprechen, auch Alawiten und Christen gehörten zu ihnen. Doch als die Kämpfe begannen, fanden ihre Ermahnungen immer weniger Gehör.
Weitere geographische Ausdehnung
Die Provinzhauptstadt Deir az-Zor im fernen Euphrat-Tal und die ganze Region von Edlib, gebirgig und nah an der türkischen Grenze, wurden Zentren der Erhebung. Auch dort gab es gewaltfreie Demonstrationen, dann Überläufer, dann bewaffnete Zusammenstösse. Die reguläre syrische Armee ist den Rebellen militärisch weit überlegen. Deshalb ist es wichtig, dass die Aufständischen die Konfrontationen mit der Armee auf möglichst weite Gebiete ausdehnen und verteilen. Nur so können sie der Armee in Kleinaktionen, fast Guerilla-mässig, Schaden zufügen.
Ausländische Interessen
Es waren die bewaffneten Zusammenstösse, die dem Ausland Gelegenheit boten, sich nicht mehr darauf zu beschränken, nur diplomatisch tätig zu sein und nur Boykottdrohungen auszustossen. Die Armee war waffenmässig weit überlegen, und es wurde bald klar, dass die Desertionen allein nicht zu einer entscheidenden Machtverschiebung führen würden. Der bewaffnete Widerstand brauchte mehr Waffen und mehr Munition als die Überläufer und einige korrupte Offiziere der Armee, die Waffen verkauften, erbringen konnten. Sobald die Kämpfe begannen, entstand auch eine Abhängigkeit von Waffenlieferungen aus dem Ausland. Dies umso mehr als die Regierung Waffennachschub aus Russland, aus Iran und möglicherweise aus China, zu erhalten schien. Was von den Waffen gilt, galt auch vom Geld, ohne das ein Krieg bekanntlich nicht geführt werden kann.
Der saudische "Krieg" gegen "die Schiiten"
Saudi Arabien und Qatar sprangen in diese Lücke. Das Hauptmotiv für beide, besonders aber für die Saudis, ist der "Krieg" gegen Iran und die arabischen Schiiten. Saudi-Arabien glaubt, dass diese von Teheran instrumentalisiert würden. Syrien war seit Beginn der iranischen Revolution, die neun Jahre nach der Machtergreifung Hafez al-Asads erfolgt war, ein enger Verbündeter Irans, ursprünglich wegen der gemeinsamen Feindschaft gegenüber Saddam Hussein, dem irakischen Machthaber, der von 1980 bis 1988 in einem zähen und grausamen Krieg mit Iran stand. Später war Syrien der einzige Verbündete Irans unter den arabischen Staaten geworden.
Die Saudis unterstützen den Aufstand
Saudi-Arabien war während vieler Jahre bemüht, sich dennoch mit der Asad-Herrschaft gut zu stellen, wohl in der Absicht, Asad zu umarmen, damit er nicht gänzlich unter iranischen Einfluss gerate. Erst zu Beginn der syrischen Rebellion hatte Saudi-Arabien seine Haltung geändert. Saudische Emissäre rieten Baschar al-Asad anfänglich zu Reformen, um die Rebellen zu versöhnen. Erst als dies von Baschar scharf zurückgewiesen wurde, änderten die Saudis ihre Haltung. Sie begannen, den Aufstand zu unterstützen, gewiss in der Hoffnung, durch einen Sieg der Aufständischen den iranischen Einfluss in der gesamten arabischen Welt entscheidend zurückzudrängen.
Die Sicht einer angeblich "schiitischen Offensive" gegen die sunnitische arabische Welt hatte sich in Saudi-Arabien herausgebildet, nachdem die irakischen Schiiten ihre Machtstellung im Irak und vor allem in Bagdad stark ausgebaut hatten. Dies geschah nach dem blutigen inneren Ringen, das unter der amerikanischen Besetzung, vor allem in den Jahren 2006 und 2007 stattfand. Der Umstand dass auf den saudischen Erdölfeldern saudische Schiiten leben, die mit dem Regime wenig zufrieden sind, weil sie sich über Diskriminierung beklagen, spielt gewiss bei der Abneigung des Königreiches gegen die Schiiten mit. Natürlich gibt es auch tief eingefressene Vorurteile religiösen Ursprungs. Dass die Saudis dabei alle Schiiten in einen Topf werfen, die iranischen so gut wie die arabischen und gleich auch noch die Zaiditen Jemens und die Alawiten in Syrien (die bloss entfernte Verwandte der iranischen 12-er-Schiiten sind), ist gewiss eine unzulässige Vereinfachung. Doch es ist die Sicht aus Riad.
Syrien als Bindeglied für den Einfluss Irans
Den "Krieg" gegen die Schiiten hatten die Saudis bereits erklärt, bevor die Unruhen in Syrien begannen. Doch nun begannen sie den syrischen Widerstand massiv zu unterstützen. Zusammen mit Qatar leisten sie Finanzhilfe und liefern Waffen. Man verdankt der Indiskretion eines anonymen Beteiligten gegenüber der Agentur Reuters, dass heute Informationen über ein Nachschubzentrum in Adana vorliegen, das unter türkischer Aufsicht stehen, aber primär dazu dienen soll, Hilfsgüter und Waffen für den Widerstand in Syrien zu lagern und dann nach Syrien zu bringen. Die CIA soll dabei mitspielen, jedoch nicht in einer führenden Rolle, sondern mehr als Beobachter und Berater. Dass die Türkei ihr Territorium für derartige - nicht öffentlich zugegebene - Unternehmen zur Verfügung stellt, ist natürlich von grundlegender Bedeutung.
Abwendung der Türkei
Auch die Türkei hatte lange Zeit, bis in die ersten Monate des Aufstandes hinein, gute politische und gewichtige wirtschaftliche Beziehungen zu Syrien unterhalten. Auch sie hatte sich dann vom Asad-Regime abgewandt, als es ihre Ratschläge, Reformschritte durchzuführen, schroff zurückwies. Sie setzt nun offensichtlich darauf, einen Freund und Klienten in einem künftigen Nachfolgeregime in Syrien zu finden.
US-"Interessen"
Dass ein amerikanisches Interesse daran besteht, die Verbindung zwischen Syrien und Iran zu brechen und damit den Einfluss Irans im arabischen Raum, insbesondere auf Hamas und Hizbullah, entscheidend zu schädigen, ist offensichtlich. Anfänglich hatten auch die Vereinigten Staaten Versuche unternommen, Asad von der Notwendigkeit zu überzeugen, positiv auf die Begehren der Volkserhebung einzugehen.
Der Umstand, dass Baschar al-Asad im Gegensatz zu seinem Vater, der stets bemüht war, auch seinen politischen Gegenspielern in ausführlichen Vorträgen seine Sicht der Dinge nahezulegen, die politischen Initiativen seiner wichtigsten politischen Partner schroff und diskussionslos zurückwies, lässt sich am ehesten dadurch erklären, dass Baschar sich in den Händen seiner (alawitischen) Sicherheitsdiente und denen seines Bruders, Maher, befindet. Maher befehligt die alawitischen Elite-Truppen der Präsidialgarde. Vater Hafez hingegen verstand es, seine Sicherheitsschergen zu beherrschen und nach seinem Willen einzusetzen.
Der Einfluss von aussen wächst
Für die syrische Erhebung ist jedenfalls von grosser Bedeutung, dass es diese ausländischen Partner gibt und dass sie von ihnen Hilfe erhält. Natürlich wächst innerhalb des bewaffneten Widerstandes auf diesem Weg das Gewicht der ideologischen Partner der Saudis, das heisst der Sunniten islamistischer Ausrichtung. Zweifellos sind sie es, die am meisten von der Hilfe aus den Golfstaaten profitieren. Sie sind die Vertrauensleute der Saudis.
Rückkehr der Islamisten
Man weiss noch weniger von den syrischen Islamisten als man von den ägyptischen und den tunesischen wusste, bevor sie an die Macht oder in die Nähe der Macht gelangten. Seit ihrer Niederschlagung in Hama 1982 verbargen sie sich in Syrien viel tiefer unter der Erde als in Ägypten, wo die Moslembrüder halblegal und die Salafisten saudischer Färbung legal existierten. Die Brüder entfalteten eine weithin sichtbare soziale Aktivität; die Salafisten durften predigen, solange sie sich von der Politik fernhielten. In Tunesien sassen die Leiter von an-Nahda zwar in den Gefängnissen, doch ihr wichtigster Exponent befand sich im Exil in London und entwickelte dort eine eigene Theologie, die darauf ausging, Islam und Demokratie in Übereinstimmung zu bringen.
Von den syrischen Islamisten wusste man nichts - ausser, dass es einen führenden Theoretiker des Jihad gab, der Abu Musab al-Suri hiess (seine volle und lehrreiche Biographie hat Brynajar Lia verfasst, Columbia Univ. Press 2008) und der aus Hama stammte. Er hatte den syrischen Jihad als hoffnungslos abgeschrieben und sich ganz dem Weltjihad gegen "Amerika" im Zeichen der Qaida zugewandt.
Tarnung aus politischen Gründen
Wer immer im Verborgenen von den Nachfahren der Jihadisten der frühen 80er-Jahre fortlebte, hatte allen Grund, sich dem bewaffneten Aufstand anzuschliessen und eine führende Stellung anzustreben. Doch wir wissen nicht, wie viele der vielen Dutzend von Einzelgruppen, die heute Waffen gegen das Regime tragen, in dieser islamistischen Ideologie verwurzelt sind. Natürlich haben die Darsteller und Propagandisten, welche die Bewegung nach aussen vertreten, ein Interesse daran, derartige Gruppen und ihre Ideologie nicht offen sichtbar zu machen. Sie wissen, dies würde die Akzeptanz ihrer Bewegung in wichtigen Staaten, wie den USA und Europa, schädigen. Es würde auch im Inneren Widerspruch bei den Gruppen hervorrufen, denen eine "Befreiung" im Sinne eines künftigen demokratischen Regimes vorschwebt.
Gegenüber den Geldgebern aus dem Golf muss ebenfalls eine gewisse Diskretion geübt werden. Sie wollen "Muslime" unterstützen, durchaus auch solche, die als "Salafisten" auftreten. Doch Qaida-Jihadisten gelten auch ihnen als Feinde. Es gibt gewiss Elemente aus Nordirak, die gegenwärtig zu den Bewaffneten des syrischen Widerstands stossen, so wie es zur Zeit der Anschläge gegen die Amerikaner und der Kämpfe gegen die Schiiten Hilfskräfte für die irakischen sunnitischen Jihadisten gab, die aus Syrien über die Grenze kamen. Doch ob und wie weit sie sich als zur Qaida zugehörig empfinden, ist ungewiss, und es liegt nicht in ihrem Interesse dies offenzulegen.
Auch säkulare Kampfgruppen?
Es gibt aber zweifellos auch Gruppen, die nicht aus "islamischen" Gründen kämpfen. Sie versprechen sich von einem neuen Regime eine demokratische Öffnung, oder einfach ein besseres Leben mit Arbeitschancen für alle. In Aleppo waren es die Studenten, die zuerst gegen das Regime demonstrierten und die einer brutalen Unterdrückung durch die Sicherheitskräfte anheimfielen. Bei ihnen dürften die Hoffnungen auf Demokratie, das Wort "Freiheit", die Ressentiments gegen die privilegierten Machthaber und ihre Söhne, die entscheidende Rolle gespielt haben – sicher mehr als islamische oder islamistische Loyalitäten.
Islamischer und Familien-Zusammenhalt
Doch bei den Bewaffneten, die vom Lande in die beiden Grossstädte infiltriert wurden, dürfte es nur zwei wirksame Loyalitäten gegeben haben: jene der Familien, Grossfamilien und lokalen Zusammenhänge, die immer auch religionsgemeinschaftliche sind, weil die Religionsgemeinschaften untereinander heiraten, und die "islamischen" Loyalitäten auf Grund eines sunnitischen Gemeinschaftsgefühls, gegenüber den "alawitischen" Machthabern, Sicherheitsleuten und Milizen des Regimes.
Der Islamismus als Kampfideologie
Dabei ist deutlich, dass ein islamistisches Islamverständnis, das auf einen unreflektierten Islam zurückgreifen will, Schriftverständnis und Traditionsübernahme ohne Deutung und ohne Anpassung an die Gegenwart, die besten Chancen hat, sich als die Grundlage kriegerischen Handelns unter Todesgefahr durchzusetzen. Dies scheint den unverrückbarsten inneren Halt zu bieten und bringt gleich auch noch die wirksamste Unterstützung von aussen.
"Der Islam" bietet auch Führungsstrukturen, wo keine anderen sind, weil Chefs, die im Namen des Islams auftreten und wirken, leicht akzeptiert werden können. Nicht im Namen des Islams zum Kampf Aufrufende müssen sich auf Grund ihrer Persönlichkeit und anderer Führungsqualitäten durchsetzen. Möglicherweise manchmal sogar gegen "islamisch" argumentierende und sich gebende Rivalen, von denen die Gruppenmitglieder wissen, dass sie die besten Chancen haben, Hilfe für die gesamte Gruppe aus dem Ausland zu erhalten.
Obwohl man die Einzelheiten nicht kennt, hat man aus derartigen Gründen anzunehmen, dass die islamische und innerhalb dieser die spezifisch islamistische Färbung des bewaffneten Widerstands zunehmen wird, wenn die blutige Konfrontation andauert. Wie dies leider zu gewärtigen ist.
Landbevölkerung gegen die Städte
Schon heute trägt diese Konfrontation Züge von Land gegen Stadt. Ein islamistisch gefärbter Islam dürfte die Ideologie sein, unter der die Landbewohner, die wegen der Trockenheit von ihren Ländern in die Elendsviertel vertrieben wurden, zusammenfinden und bewaffnete Gruppen bilden. Sie kennen kaum eine andere Ideologie.
Was dies bedeuten wird, wenn es dem Widerstand schliesslich gelingt, das Regime zu Fall zu bringen, lässt sich nicht wirklich voraussagen. Dass das Regime mittelfristig zu Fall kommen wird, ist kaum zu bezweifeln, obwohl es noch immer über eine militärisch weit überlegene Armee verfügt. Seine alawitisch kontrollierte Armee und Sicherheitstruppen sind zunehmend die einzige Stütze über die es verfügt.
Eine islamistische Welle?
Dass es nach einem Sturz des Regimes starke islamische und besonders islamistisch ausgerichtete Strömungen geben wird, muss man erwarten. Jedoch, wie sich diese verhalten werden, inwieweit sie durch die mehr säkularistischen ursprünglichen Träger des Widerstandes beeinflusst werden und wie weit umgekehrt diese durch sie, ist noch nicht abzusehen. Schon weil man nicht weiss, wie lange der Bürgerkrieg dauern wird.
Ein verarmtes und ein chaotisches Syrien steht den Syriern und der sie umgebenden Aussenwelt bevor. Es wird umso ärmer und umso chaotischer werden, je länger das blutige Ringen andauert.
Anhang: Die Emigrationsopposition und informative Einblicke
Im Gegensatz zur innersyrischen Lage sind die selbsternannten Vertreter Syriens in der Emigration, der sogenannte Syrische Nationale Rat, offen für Informationen. Doch ist auch bekannt und sehr offensichtlich, dass es in diesem Rat scharfe Gegensätze und Spaltungen gibt. Vermutlich verläuft auch in ihm die Hauptspaltung zwischen "modern" orientierten Säkularisten und mehr oder weniger fundamentalistisch orientierten Islamisten. Den Mitgliedern des Rates ist bewusst, dass diese Spaltungen dessen Prestige beeinträchtigen. Sie versuchen deshalb, ihren inneren Streit einigermassen verdeckt zu halten. Eine Lage, die sich auch auf die Informationen auswirkt, die sie nach aussen weitergeben. Dazu kommt die Frage, wie sie sich selbst informieren. Sie haben wohl Quellen, doch jeder hat die seinen, auf die er sich verlassen will und zu verlassen gezwungen ist. Aus dem Inneren sind immer wieder Stimmen von Kämpfern zu vernehmen, nach denen der Rat sie jedenfalls nicht vertrete.
In den letzten Wochen ist es angesichts des Zerfalls der Zentralgewalt einigen westlichen Journalisten gelungen, sich mit Hilfe der Kämpfer nach Syrien einzuschleusen und von dort Augenzeugenberichte zu liefern. Durch sie erhält man Einblick in die Kämpfe und manchmal in die Mentalität einzelner Anführer unter den vielen Dutzenden, wenn nicht Hunderten von Führern von Kleingruppen, die in Syrien den Widerstand leiten. Doch solche Mit-Infiltratoren sind natürlich an die eingeschränkten Aspekte gebunden, die ihnen angesichts ihrer Lage offen stehen. Ihr Mut und ihre Leistung flössen Respekt ein. Doch sie können nicht die Einblicke ersetzen, die ein frei agierender Normaljournalist, der sich nach seinem Ermessen in der syrischen Gesellschaft bewegen könnte, zu geben vermöchte. Blitze einer solchen Information tauchen ganz selten auf. Ihre Urheber müssen sich natürlich anonym halten, doch finden sie sich offenbar immer noch in der Lage von Normaljournalisten, die sich ihre Gesprächspartner frei aussuchen können.
Eine angesehen Quelle für Syrien ist die bekannte Website des akademischen Syrien-Spezialisten Landis, der weitsichtig die Gesamtlage überschaut: Syria Comment, www.joshualandis.com/blog
Eindrücklich von einem ungenannten Korrespondenten: http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-19046521 « A Syrian Activist's Message not lost in Death »
Gute Einblicke gewährt auch: GLOBAL POST: http://www.globalpost.com/series/inside-syria, wobei mit ungenannten syrischen Korrespondenten zusammengearbeitet wird.