Nimmt man zum Nennwert, was die vom Regime «inspirierten» iranischen Medien täglich zum Themenkomplex Atomverhandlungen/Sanktionen publizieren, gibt es in Wien fast gar nichts zu bereden – denn die Vorgaben Irans lassen sich auf einen Satz reduzieren: Die USA müssen sämtliche Sanktionen, nicht nur die von US-Präsident Trump verfügten, aufheben.
Sobald das «verifizierbar» sei, werde Iran im Blitztempo alle Verletzungen des Abkommens von 2015 rückgängig machen, lautet das Versprechen der islamischen Rechtsgelehrten. Man werde vor allem das seit 2019 hoch angereicherte Uran vernichten oder kontrolliert ins Ausland (nach Russland?) schaffen. Dann würden auch die Inspektoren der IAEA wieder ungehindert Zugang zu allen atomaren Anlagen in Iran erhalten, Iran würde indirekt «garantieren», dass es nicht heimlich den Weg zur Atombombe sucht und dass der Weg zu einem friedlicheren Mittleren Osten frei sei.
Elemente aus Trumps Erbschaft
Die iranische Führung wird sich darüber im Klaren sein, dass ihr Szenario so nicht umgesetzt wird. In erster Linie, weil die Biden-Administration die Aufhebung der von Vorgänger Trump willkürlich erlassenen Sanktionen innenpolitisch schon deshalb nicht durchsetzen kann, weil das Weisse Haus im ganzen «Sanktionen-Poker» nur ein Spieler von mehreren ist. Einige Sanktionen wurden von US-Präsidenten, angefangen bei Jimmy Carter und Ronald Reagan, erlassen, andere vom Senat (die rigorosesten dann, 2018, von Donald Trump). Was seinerzeit im Senat beschlossen wurde, kann jetzt auch nur der Senat wieder aufheben. Oder der Senat muss mehrheitlich einem entsprechenden Dekret des Präsidenten zustimmen.
Aber will Joe Biden gegenüber Iran überhaupt Konzessionen machen? Bisher sieht es nicht danach aus. Er gab nicht nur beim «Dossier Iran», sondern auch bei anderen Themen stillschweigend zu erkennen, dass er ganz gerne Elemente aus Trumps Erbschaft übernimmt. Zum Beispiel für den Konflikt Israels mit den Palästinensern. Joe Biden äusserte zwar nie ein Wort zugunsten der von Trump anerkannten Annexion der Golan-Höhen durch Israel, auch nicht zugunsten des grünen Lichts, das Trump der israelischen Regierung hinsichtlich einer Annexion von Teilen des palästinensischen Westjordanlands gegeben hatte. Aber er sagte bisher auch nicht ein Wort in gegenteiligem Sinne. Und unterstützt die israelische Regierung so bedingungslos wie sein präsidialer Vorgänger.
Die harte Hand der Banken
Ja, gewiss, ein paar kritische Anmerkungen gab es aus Washington, als die neue israelische Regierung den Bau weiterer Siedlungs-Wohneinheiten im Palästinensergebiet bekannt gab, aber niemand musste danach materielle respektive finanzielle Konsequenzen gewärtigen. Die Bündnistreue Bidens gegenüber Israel ist niet- und nagelfest – und ebenso fest ist das Misstrauen dieser US-Regierung gegenüber Iran. Sie verdächtigt das Teheraner Regime nicht nur, heimlich Atombomben-Forschung zu betreiben, sondern auch mit Raketen grosser Reichweite und Drohnen (und mit einer grossen Zahl von bewaffneten Milizen) die mittelöstliche Region plus Israel zu bedrohen. Folgerichtig versucht die US-amerikanische Delegation bei ihrer indirekten Beteiligung an den sogenannten Atomverhandlungen in Wien (offizielle Bezeichnung JCPOA, Joint Comprehensive Plan of Action) auch solche Themen einzubringen. Was die iranischen Verhandler strikt ablehnen oder mit Gegenforderungen kontern, die etwa so lauten: Wenn ihr über unsere Raketen, Drohnen und Milizen reden wollt, dann nur unter der Bedingung, dass auch das israelische Atomarsenal und die Hochrüstung Saudi-Arabiens und der Emirate beredet werden.
Das wiederum ist chancenlos im Format der Verhandlungen in Wien – es wird wohl auch darüber hinaus, international, chancenlos bleiben. Und nicht nur sagen die Iraner Nein zu Verhandlungen über den Bereich des «Atomaren» hinaus, sie präsentieren den USA auch echt phantastische Forderungen: sie sollen garantieren, dass eine künftige US-Regierung nicht vertragsbrüchig werden könne, dass also auch eine (denkbare) Präsidentschaft Trump zwei sich an das halten müsse, was jetzt, allenfalls, die Administration Biden unterschreiben würde.
Doch wenn es um Sanktionen respektive die Aufhebung von Sanktionen geht, ist die Sachlage noch um einiges komplizierter. Nicht nur politische Kräfte in den USA haben Sanktionen verfügt – indirekte Strafmassnahmen erliessen auch die Banken der USA. Selbst in den Jahren des «Tauwetters», also zwischen 2015 und 2018, blockierten amerikanische Finanzinstitute weltweit Handel und Investitionen mit Iran mit der Drohung: Wer mit Iran geschäften will, verliert das viel lukrativere USA-Geschäft. Das wirkte fast über Nacht: Firmen wie Total oder die schweizerische Stadler Rail annullierten bereits unterzeichnete Verträge. Und dann folgte 2018 noch der Donnerschlag Donald Trumps, der glaubte, er könne mit einer Strategie des «maximalen Drucks» die islamischen Rechtsgelehrten in Teheran stürzen.
«Alles oder nichts»
Das Kalkül ging nicht auf. Trumps Druck stärkte die Hardliner in Iran, und auch wenn nun geschätzte 30 Prozent der Bevölkerung in Armut leben und einzelne Gruppen von Benachteiligten sporadisch gegen das Regime demonstrieren – das Land ist weiterhin fern einer weiteren Revolution. Wirtschaftlich überlebt Iran auch dank immer stärkerer Anbindung an China. Die iranischen Medien behaupten sogar, das Land könne für das Jahr 2022 mit einem Wachstum von acht Prozent rechnen. Also sei es gar nicht so bedeutend, ob man mit den USA die Aufhebung der Sanktionen verhandeln könne.
Dass in Wien keine Seite ihr Maximal-Ziel durchsetzen kann, ist offenkundig. Aber gibt es eine Möglichkeit für Kompromisse, für kleine Schritte? Theoretisch ja. Die USA könnten, beispielsweise, grünes Licht geben für die Deblockierung von rund neun Milliarden Dollar, die Südkorea den Iranern schuldet – die Südkorea auch gerne zahlen würde, das aber wegen des US-Embargos nicht darf. Iran hat weitere Guthaben in zahlreichen anderen Ländern – alle von den USA blockiert. Ergäbe die Freigabe solcher Guthaben nicht zumindest eine Grundlage für ähnlich kleine Schritte der Iraner zum Beispiel für die Reduktion einiger Bestände von hoch angereichertem Uran?
So logisch ein solches Kompromiss-Vorgehen sein mag – angesichts der Hardliner-Propaganda in den iranischen Medien erscheint es eher illusorisch. Das Regime lässt jetzt täglich die Forderung publizieren «Alles oder nichts». In Wien müsste sich ein Wunder ereignen, wenn die Verhandlungen dennoch zu einem halbwegs positiven Resultat führen würden.