Washington will IS bekämpfen. Die Ermordung von James Foley hat mitgeholfen, diesen Entschluss zu stärken. Die amerikanischen Militärs sagen laut und deutlich, dass IS nicht wirklich wirksam bekämpft werden kann, wenn dies nur auf der irakischen Seite der heute praktisch aufgehobenen syrisch-irakischen Grenze geschieht.
IS hat zwei Schwerpunkte, die als Hauptstädte des «Kalifats» funktionieren, Raqqa in Syrien und Mosul im Irak. IS ist bestrebt, seine Position auf beiden Flügeln auszubauen und auszudehnen. Dass es IS auch um Syrien geht, zeigte soeben die Einnahme des syrischen Militärflugplatzes bei Tabqa, nördlich von Raqqa, durch IS. Der Militärflugplatz war von strategischer Bedeutung, weil Asads Luftwaffe ihn benützte, um in Nordsyrien zu intervenieren, sowohl an der Aleppo-Front wie auch neuerdings an jener von Raqqa. Die Kämpfe um die Luftbasis dauerten wochenlang; sie sollen die blutigsten gewesen sein, die es bisher im syrischen Bürgerkrieg gab. Die Verluste beider Seiten werden auf gegen 500 Mann geschätzt. IS blieb Sieger.
Herrschaft über das syrische Euphrattal
Auch in den vorausgegangenen Kämpfen auf der syrischen Seite, die sich um die letzten Positionen des Asad-Regimes in Deir az-Zor drehten, weiter unten am Euphrat, war IS erfolgreich gewesen. Es ist deutlich, dass die Strategen von IS für die syrische Hälfte ihres «Reiches» darauf ausgehen, die dortige Position zu bereinigen und abzusichern, dem Euphrat entlang bis an die türkische Grenze.
Die jüngsten Siege von IS sind mit Hilfe des in Mosul erbeuteten Militärmaterials zustande gekommen. Das sind schwere amerikanische Waffen, von den Amerikanern den Irakern geliefert und von diesen im vergangenen Juni in Mosul kampflos IS überlassen. Ein Teil dieser Beute wurde nach Raqqa transportiert, dort zuerst der Bevölkerung und – über Youtube – der Welt vorgeführt, dann gegen die syrische Armee eingesetzt. Was deutlich macht, wie sehr der syrische und der irakische Raum vom «Kalifat» als ein einziger Herrschaftsbereich gesehen und gehandhabt werden.
Schalmeientöne aus Damaskus
Für IS besteht die Grenze nicht mehr. Doch sie besteht weiter für Washington. Dies ist der Fall, weil Washington im Irak Verbündete besitzt: die Kurden und – erhofft – in Bagdad, falls dort al-Abedi eine neue gesamtirakische Regierung zusammenbringt. In der syrischen Hauptstadt hatte Washington bisher nur Feinde, nämlich das Asad-Regime, dessen Ende die USA und eine Reihe ihrer nahöstlichen Verbündeten (die Türkei, Saudi-Arabien und die Golfstaaten) bisher aktiv anstrebten.
Der syrische Aussenminister, Walid Muallem, ein mit allen Wassern gewaschener Diplomat, hat nun öffentlich erklärt, sein Land (darunter versteht er das Asad-Regime) sei bereit, mit anderen Mächten gegen den Terror von IS zusammenzuarbeiten. Doch er machte auch im gleichen Atemzug klar, dass unilaterale Aktionen, also solche ohne Koordination mit Damaskus, auf syrischem Territorium als Aggression gelten würden. Dies kommt einer Aufforderung an die USA und an interessierte europäische Staaten gleich, in ein Aktionsbündnis mit Asad gegen IS einzutreten. Es ist aber auch eine Warnung, die besagt, falls die USA ohne Koordination mit Damaskus agieren sollten, könnte es geschehen, dass die Luftabwehr Asads auf US-Flugzeuge schiesse. Diese Luftabwehr, die sich auf russische Raketen stützt, gilt als keineswegs ungefährlich.
Aufklärung, aber bis jetzt keine Bomben
Aus Washington verlautet, Obama habe seiner Luftwaffe Erlaubnis gegeben, Aufklärungsflüge über syrischem Gelände durchzuführen. Ob die amerikanische Regierung daran denkt, sich mit Asad zu verständigen oder nicht, ist zur Zeit ungewiss. Alle öffentlichen Aussagen lauten so, als ob das nicht geschehen werde. Doch kann man nicht ausschliessen, dass von amerikanischer Seite so etwas wie eine inoffizielle, geheim gehaltene und auf die Geheimdienste beschränkte Koordination versucht werden könnte.
Wie die Syrer auf solche versteckte Annäherungsversuche reagieren werden, ist ebenfalls unklar. Man kann erwarten, dass sie darauf drängen werden, die Kollaboration möglichst öffentlich und offiziell durchzuführen, weil es Damaskus darum geht, aus der diplomatischen Isolierung gegenüber der westlichen Welt freizukommen und gleichzeitig den Anspruch Asads, Syrien zu regieren, durch Anerkennung seines Regimes zu festigen. Offizielle Koordination impliziert Anerkennung.
Dazu wird es zunächst schwerlich kommen. Eine offene Kehrtwendung in der Syrienpolitik bedeutete ein Eingeständnis, stillschweigend oder gar ausgesprochen, dass die bisherige Politik der Amerikaner ein Fehler gewesen sei und Asad immer recht gehabt habe, als er erklärte, die Rebellen in seinem Land seien alle nichts anderes als Terroristen. Dies auf sich zu nehmen, scheint Washington zurzeit nicht bereit.
Warnung vor einem langen Krieg
Doch die Sicherheitsfachleute, auch jene in Washington, warnen, dass der begonnene Krieg gegen IS ein «langer Krieg» werden könnte. Und das irakische Standbein, auf das die amerikanische Strategie offensichtlich zählt, wird höchst wahrscheinlich für geraume Zeit wackelig bleiben. Bei allem guten Willen des mit der Regierungsbildung beauftragten al-Abedi wird es keineswegs einfach sein, die erhoffte gesamtirakische Regierung zustande zu bringen.
Das Misstrauen zwischen Sunniten und Schiiten, das während der amerikanischen Besetzungszeit aufgebaut wurde und 2007 seine blutigsten Folgen zeitigte, wurde in den acht Jahren der Maleki-Regierung weitergetragen und gefestigt. Es ist nun tief eingefressen im irakischen Sozialkörper. Im Zug der Regierungsbildung wird es sich dahin auswirken, dass beide Seiten nur einer Regierung zustimmen werden, in der sie die entscheidenen Machtpositionen erhalten, nämlich jene, die über Personalpolitik und Einsatz der Sicherheitskräfte entscheiden: Armee, Polizei, Geheimdienste, Sondertruppen.
Der erhoffte Seitenwechsel der Sunniten
Sogar wenn die erhoffte gesamtirakische Regierung zustande kommt und zu funktionieren beginnt, bleibt noch der weitere Schritt: Die heute mehr oder weniger locker mit IS zusammenarbeitenden bewaffneten Sunniten müssen dazu gebracht werden, IS zu verlassen und sich auf die Seite der neuen Regierung zu schlagen. IS wird natürlich versuchen, sie daran zu hindern. Die jüngsten mörderischen Bombenschläge in Moscheen, zuerst in einer sunnitischen in der gemischten Provinz Dujail mit 63 sunnitischen Todesopfern, dann als Antwort in einer schiitischen nahe bei Bagdad mit 13 Toten, machen klar, mit welchen Methoden das Misstrauen aufrechterhalten wird.
Die Sunniten werden vorsichtig vorgehen. Alle erinnern sich daran, dass die sunnitischen Stämme zur Zeit der Amerikaner einen solchen Seitenwechsel durchgeführt haben. Die betroffenen sunnitischen Stämme haben auch sehr präsent, dass die Versprechen, die ihnen damals von den Amerikanern gemacht wurden, von Maleki nicht honoriert worden sind.
Diesmal werden die Sunniten Dinge fordern wie den sofortigen Einbau ihrer Kräfte in die reguläre Armee, so dass sie von Beginn ihres Übertritts an in der militärischen Hierarchie mitreden können. Dies wiederum wird den heute die Führungspositionen und das numerische Übergewicht in den Sicherheitskräften innehabenden Schiiten keineswegs passen. In der Praxis werden derartige Umstellungen in der Armee nur im Zug einer Neuorganisation der gesamten Streitkräfte möglich sein. Eine solche ist notwendig, wie der dritte vergebliche Anlauf der irakischen Armee, die Stadt Tikrit zu erobern, erneut unterstrichen hat. Doch dieser Umbau braucht Zeit – zwei, drei womöglich vier Jahre.
Wer wird kämpfen?
Bis all dies unter Dach gebracht ist, müssen die Amerikaner damit rechnen, dass die irakische Stütze in dem begonnenen Krieg gegen IS im besten Fall dazu ausreichen wird, Bagdad und die von den Schiiten bewohnten Landesteile gegen IS zu halten. Eine wirksame Hilfe zur Rückeroberung Nordwestiraks aus dem Bann von IS können sie schwerlich von Bagdad erhoffen.
Also ein langer Krieg. Washington und auch die Europäer haben ausgeschlossen, ihn mit eigenen Soldaten zu führen; höchstens mit eigenen Flugzeugen und Raketen. Was sehr wahrscheinlich nicht ausreichen wird.
Eigentlich müsste Washington sich zu einer Strategie entschliessen, die über Jahre verfolgt werden kann, bis sie das Ziel einer Niederkämpfung von IS erreicht. Dass ein solches Ziel den Einsatz von Bodentruppen verlangt, ist unumstritten. Washington müsste entscheiden, woher diese kommen sollen. Auf diesem Entscheid müsste die Gesamtstrategie beruhen. In Bezug auf Syrien gibt es eigentlich nur zwei Wege. Entweder klein beizugeben und die wenig appetitliche Zusammenarbeit mit Asad zu akzeptieren, oder aber, diesmal in aller Entschiedenheit, auf den Rest der nicht islamistischen syrischen Rebellen zu setzen.
Der dritte Weg zwischen Asad und IS
Bei einer solchen Strategie gibt es viele Ungewissheiten. Die wichtigste ist: Gibt es noch Gruppen unter den syrischen Rebellen, die klar von den Islamisten zu trennen sind und sind sie genügend stark? Oder, wenn nicht: Kann man sie aufrüsten und aufbauen, ohne dass sie und ihre Waffen – wie offenbar des öfteren in der Vergangenheit – am Ende doch nur IS verstärken? Solches kann entweder direkt geschehen durch Überlauf zu dem erfolgreichen Kalifat oder indirekt, indem die Zusammenarbeit und Waffenbruderschaft zunächst mit Islamisten zustande kommt, die im Augenblick nicht zu IS gehören, sich aber dann im Verlauf der Auseinandersetzungen doch noch zu IS schlagen.
Die Vergangenheit war dadurch bestimmt, dass die amerikanische Hilfe nur sehr zögernd und in ungenügendem Masse zustande kam. Der Anreiz für die Nicht-Islamisten, sich den reicheren Gruppen anzuschliessen war deshalb gross. Die Hilfe aus den Erdölstaaten am Golf war chaotisch. Jeder Geldgeber suchte sich seine Kampfgruppe aus, manchmal aufgrund von Videos von scheinbaren Schlachterfolgen, die diese Gruppen den Geldsäcken in den Golfstaaten vorlegten. Auch dies scheint letztlich in die Hände der Radikalsten der Radikalen gespielt zu haben, eben IS und Konsorten. Für sie waren die Waffen Kriegsinstrumente und nicht, wie für manch andere, Handelsware, die bei den Meistbietenden landete.
Eine endgültige Strategie ist notwendig
Wie verfahren die Lage der nicht-islamistischen Rebellen ist, rettbar oder unrettbar, müsste als erstes erforscht und bewertet werden. Aufgrund der Ergebnisse wäre dann eine Strategie zu entwerfen, die entweder wirklich und voll auf diese Gruppe setzt, oder – falls dies als aussichtslos erschiene – doch noch die bittere Pille der Zusammenarbeit mit Asad schluckt. Halbe Massnahmen, die das eine ein bischen tun und das andere nicht ganz lassen, werden das Leben von IS verlängern.