Im Jahr 2017 haben Schweizer Forscher im Golf von Aqaba zwischen der Sinai-Halbinsel und Saudi-Arabien eine Aufsehen erregende Entdeckung gemacht. Sie sind auf eine Korallenart gestossen, der weder hohe Wassertemperaturen noch Versauerung viel auszumachen scheint. Während überall auf der Erde genau deswegen Korallenriffe ausbleichen, waren im Golf von Aqaba diese Auswirkungen des Klimawandels kaum zu spüren. «Entdeckungen wie die der verborgenen Fähigkeiten der Korallen nähren die Hoffnung, dass manche Lebewesen für die Folgen eines Klimawandels besser gerüstet sein könnten, als wir befürchten.»
Mit diesen vorsichtig optimistischen Worten beschliesst der Wissenschaftsautor Bernhard Kegel ein Buch, in dem er sich fragt, wie die Natur auf die Klimaerwärmung reagiert. Darin ist viel von der Zerstörung von Lebensräumen unter und über Wasser die Rede – aber auch von ermutigenden Erkenntnissen.
Endlich entsteht ein Gesamtbild
Für interessierte Zeitgenossen ist Kegels «Die Natur der Zukunft» ein Segen. Denn beinahe Tag für Tag prasseln Meldungen zum Klimawandel über uns herein, ohne dass daraus ein Gesamtbild entstünde. Kegel hat genau dies im Sinn. Er beschreibt, wie Tier- und Pflanzenarten auf steigende Temperaturen reagieren, indem sich ihre Lebensräume verschieben – einerseits in die Höhe, andererseits gegen die Pole hin. Er fasst zusammen, was wir gerade in diesem Sommer erkennen konnten: Dass sich die Wetterextreme häufen.
Die Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt: Das wird seine Auswirkungen haben. In den Meeren kommt es zu Hitzewellen, es bilden sich riesige Totzonen, in denen jedes Leben erstirbt. Und es zeigt sich: Da gibt es Gewinner, und es gibt Verlierer. Zu den Gewinnern gehören beispielsweise die Tintenfische, die sich in die Nordsee ausbreiten. Dazu gehören die Quallen. Und dazu gehören auch zahlreiche Krankheitserreger.
Nicht nur der Blick zurück in jene Jahrmillionen, als es bedeutend wärmer war, zeigt: Einen Weltuntergang müssen wir nicht befürchten. «Natur wird bleiben», stellt Bernhard Kegel fest, «aber es wird eine andere Natur sein.» Viele Pflanzen- und Tierarten werden fehlen, denn der Mensch trägt mit seiner expansiven Wirtschafts- und Siedlungspolitik zu ihrer Verdrängung bei. Nur eine Nachricht aus den vergangenen Wochen: Ein Bericht der Akademie der Naturwissenschaften kommt zum Schluss, dass mehr als die Hälfte aller Insektenarten der Schweiz zumindest potenziell gefährdet ist. Und nennt als Ursachen die Intensivierung der Landwirtschaft, den Klimawandel, die von ihm begünstigte Ausbreitung invasiver Arten und die Lichtverschmutzung durch den Menschen.
Einiges davon werden wir vor der Haustüre sehen können. Die Wälder sind noch vom Dürrejahr 2018 stark angeschlagen, in ihnen «haben eingeschleppte Pilze, Stürme und vor allem Schädlinge wie die Borkenkäfer leichtes Spiel», fasst Bernhard Kegel zusammen. Und zwar deshalb, weil der am meisten verbreitete Baum, die Fichte, Hitze und Trockenheit ganz schlecht verträgt. Ein Waldumbau ist also angesagt, denn überlebensfähige Wälder werden wesentlich artenreicher sein müssen.
Interessante Experimente in Bayreuth
Katastrophaler könnte die Lage in und an den Meeren werden, ganz einfach deshalb, weil ihre Bewohner nur begrenzt die Möglichkeit haben, in lebensfreundlichere Regionen auszuweichen. Und weil sich erwärmendes Wasser weniger Sauerstoff aufnehmen kann als kaltes. Das Gesamtbild fällt deshalb düster aus: «Seit den 1960ern sind viele begehrte Fischarten um 90 Prozent eingebrochen, stellt die Ozeanografin Sylvia A. Earle fest. «Die Hälfte aller Korallenriffe, Mangrovenwälder und Seegraswiesen wurde zerstört oder befindet sich auf dem Weg dahin.»
Wie wird die Natur reagieren? Das ist in vielen Bereichen die grosse Frage. Sie wird in aufwendiger Detailforschung beantwortet, wie sie beispielsweise an der Universität Bayreuth betrieben wird. Dort hat man 150 zwei Mal zwei Meter messende Versuchsflächen angelegt, die mit unterschiedlichen Kombinationen von jeweils 100 einheimischen Gras- und Heidepflanzen bestückt wurden. Dann wurden mit Beregnungsanlagen, Regendächern und Heizdrähten verschiedene Wettersituationen simuliert. Mit überraschenden ersten Resultaten: Auch nach schweren Dürreereignissen erbrachten die Versuchsflächen über einen Untersuchungszeitraum von fünf Jahren in etwa den gleichen Ertrag. Im Vergleich zum Wald zeigt sich das Grünland also ausgesprochen widerstandsfähig.
Bernhard Kegel: Die Natur der Zukunft. Tier- und Pflanzenwelt in Zeiten des Klimawandels. Dumont 2021.