Das Ergebnis der iranischen Präsidentschaftswahl konnte nun wirklich niemanden mehr überraschen: Gründlicher als sonst hatte der „Wächterrat“ die Liste potentieller Kandidaten im Voraus leergefegt und hatte nicht einmal Rücksicht auf solche Männer genommen, die in den letzten Jahren höhere Staatsämter bekleidet hatten. Etwa den ehemaligen Parlamentspräsidenten Larijani oder auch den ehemaligen Präsidenten Ahmadinejad: Der erste ein Konservativer zwar, aber auch in anderen Kreisen respektiert, der zweite immerhin in den Augen der breiten Öffentlichkeit Hauptverantwortlicher für die internationale Krise um die iranische Atompolitik. Eine Krise, die erst nach Ahmadinejad zum Atomabkommen mit dem Iran führte.
Von 600 Kandidatur-Anmeldungen – im Iran keineswegs etwas Ungewöhnliches – blieben nach Bearbeitung der Liste durch den Wächterrat nur sieben übrig und von diesen traten drei noch im letzten Moment zurück. Auch das keine Überraschung, denn sie empfahlen den Kandidaten, der bereits seit geraumer Zeit als potentieller Sieger gehandelt wurde und es dann auch wurde: Ebrahim Raisi, Chef der Justiz und als radikaler Hardliner bekannt.
„Eine höhere Macht“
Wenn Raisis Wahlsieg aber bereits seit Tagen von zahlreichen Medien mit den Worten vorhergesagt worden war, es stünde „ein Machtwechsel“ bevor, dann entbehrten solche Prophezeiungen doch weitgehend jeder Grundlage: Raisi ist eng liiert mit dem „Obersten Führer“ des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, und dieser kontrolliert bestimmte Bereiche direkt. Unter anderem die Justiz. Raisi war bisher also ein Khamenei direkt Untergebener und daran dürfte sich auch nach seinem Amtsantritt als Präsident kaum etwas ändern. So wie einst Reformpräsident Khatami bei der Amtseinführung von Khamenei den „Tipp“ bekam, er möge „nie vergessen, dass es noch eine höhere Macht gibt“.
Es ist diese „höhere Macht, die sich durch den Wahlausgang vom Freitag nicht ändern wird. Vielleicht sogar im Gegenteil: Khamenei verfolgte mit der von ihm arrangierten Wahl Raisis möglicherweise ganz andere Ziele. Nicht nur, mit dem Gewählten einen geeigneten Nachfolger für das Amt des „Obersten Führers“ zu bekommen, vielleicht aber auch, um endlich mit Reformen zu beginnen gegen Korruption, Misswirtschaft und vieles andere mehr, das in der iranischen Öffentlichkeit längst schon für Unzufriedenheit und Verärgerung geführt hat und nun auch die Ursache war für die geringste Wahlbeteiligung, die es in der Geschichte der „Islamischen Republik“ je gegeben hat: Nur etwa 40% der knapp 60 Mio. Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab und von diesen 28 Millionen stimmten 17,9 für Raisi.
Für die Erneuerung des Atomabkommens?
Im iranischen Auslands-TV „presstv“ wurden diese Zahlen noch vor Abschluss der Stimmenauszählung zu einem „Erdrutsch“ umgedeutet. Ein leichter Hinweis vielleicht darauf, dass man selbst vor Ort nicht so recht zu wissen schien, was das Ergebnis bedeutet. Oder die Bezeichnung entsprang einfach gewohnt gehorsamer Medien-Sprache. Wenn letzteres zutreffen sollte, dann sollte man das Wahlergebnis im Zusammenhang mit anderen Ereignissen sehen, um es besser zu verstehen. Etwa den Wiener Verhandlungen über eine Rückkehr zum Atomvertrag mit dem Iran. Obwohl auch dieser Autor lange fürchtete, dass der erwartete Wahlsieg eines Hardliners diese Verhandlungen scheitern lassen würde, hiess es nun in Wien, das Abkommen werde erst nach der Regierungsbildung in Teheran abgeschlossen. Und man erinnerte sich plötzlich, dass es doch Khamenei gewesen war, der den Wiener Verhandlungen zugestimmt hatte. Raisi könnte diese Zustimmung gar nicht ignorieren.
Plötzlich heisst es nun, Raisi sei für die Erneuerung des Abkommens. Und es wird ein überzeugender zusätzlicher Grund offensichtlich: Teheran fordert in den Wiener Verhandlungen ja die Kündigung der von Donald Trump 2018 erneut verhängten Sanktionen und unter diesen befinden sich auch „persönliche“ Sanktionen. Unter anderem gegen den bisherigen Justizchef Raisi: Ihm wird vorgeworfen, in den achtziger Jahren an der Verfolgung und Hinrichtung Tausender angeblicher Regimegegner beteiligt gewesen zu sein wie auch 2019 wieder beim Vorgehen gegen regierungskritische Demonstranten.
Verständnis für die Unzufriedenheit der Bevölkerung
Verständlich, dass das Image des Iran nicht gerade davon profitieren würde, wenn sein neuester Präsident auf internationalen Fahndungslisten ausgeschrieben bliebe. Und auch der „oberste Führer“ müsste es sich vielleicht dreimal überlegen, ob er sich einen solchen Mann zum Nachfolger aussuchen soll. Die Anzahl möglicher Kandidaten für dieses Amt (auf Lebenszeit) scheint nicht gerade gross zu sein.
Es sind solche „Nebensächlichkeiten“, die doch dazu beitragen, gewisse Dinge – wie jetzt die Wahl – in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Natürlich ohne Garantie, aber es passt in das Bild, das man in letzter Zeit zum Beispiel von offiziellen Reden bekommt. Da klingt plötzlich mehr Verständnis für die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der eigenen Führung durch, da verspricht man schärfere Massnahmen gegen Korruption und Misswirtschaft. Und wenn am Wahltag – wie sonst auch immer – die Wahllokale am Abend länger offen bleiben, dann wird das nicht mit dem angeblichen Wunsch der Bevölkerung begründet, der Welt zu zeigen, dass man das System der Islamischen Republik unterstütze, sondern man begründet die längeren Öffnungszeiten plötzlich mit der Rücksicht gegenüber den Bürgern angesichts der Gefahren, die ihnen weiterhin von der Corona Pandemie drohen.
Sicher kein Erdrutsch, aber sollte da vielleicht doch etwas ein klein wenig in Bewegung gekommen sein?