Seit Beginn seiner Amtszeit wirkt Bundesrat Schneider-Ammann unbeholfen. Er ist kein Blender, ein Redner schon gar nicht. Er tut sich schwer, die Leute zu überzeugen. Wenn er am Fernsehen auftritt, leiden die Zuschauer. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass er eine solide bürgerliche, liberale Mainstream-Politik betreibt, die sich sehen lassen kann.
Wenig solide jedoch wirkt sein Verhalten der letzten Tage. Es geht nicht darum, ob seine Offshore-Konstrukte in Luxemburg und Jersey legal oder illegal waren. Es gibt bis heute keinen Hinweis darauf, dass sie illegal waren.
Ein moralisch aufgeladenes Thema
Es geht darum, dass das Thema Steuern in der heutigen Zeit ein äusserst sensibles Thema ist – emotional und moralisch aufgeladen. Wenn die Frage aufkommt, ob gerade ein heutiger Bundesrat vor seiner Amtszeit „Steueroptimierungen“ betrieben hat, so muss dieser Bundesrat hinstehen. Man erwartet eine Erklärung von ihm.
Doch was tat Schneider-Ammann? Er schwieg lange und kniff. Eine alte Journalisten-Weisheit lautet: „Wer sich versteckt, hat etwas zu verbergen“. Das sollten ein Bundesrat und seine Medienberater wissen.
Auch wenn Schneider-Ammann korrekt gehandelt hat – völlig absurd und aus der Luft gegriffen waren die Hinweise auf seine Offshore-Tätigkeit offenbar doch nicht. Sonst wären sie jetzt nicht von der Steuerverwaltung des Kantons Bern untersucht worden – und werden jetzt sogar noch von der eidgenössischen Steuerverwaltung und der Finanzkontrolle des Kantons Bern unter die Lupe genommen.
Ein Kommunikations-GAU
Sein Argument, er wolle die Untersuchung abwarten, wirkt politisch unklug – in Sachen Kommunikation ist sie ein GAU. Da kommt ihm jedes Feeling für die Stimmung in breiten Volkskreisen abhanden. Steuern und Abgaben – das sind nun mal heisse und heikle Themen. Da hat man den Mut, eine Erklärung abzugeben, vor die Kameras und Journalisten zu stehen.
Er hätte sagen können: „Wir haben in jeder Hinsicht gesetzeskonform gehandelt. Es ist gängige Praxis, dass Firmen via Offshore-Gesellschaften versuchen, Steuern zu sparen, die dann wieder ihren Betrieben zugute kommen – und damit helfen Arbeitsplätze zu sichern. Ich verstehe, dass viele Leute in der Bevölkerung dies nicht nachvollziehen können. Ich bitte Sie, mir zu glauben, dass die Firmen in Luxemburg und Jersey nicht unserer persönlichen Bereicherung dienten. Wir haben 2009 die Gelder aus Jersey in die Schweiz zurückgeführt, weil sich die steuerlichen Verhältnisse in der Schweiz geändert haben.“
Mit einer solchen Erklärung wäre er vertrauenswürdig geblieben. Doch sein langes Kneifen hat Misstrauen erweckt, hat seinem Image etliche Kratzer verpasst.
Von Blocher lernen
Schneider-Ammann könnte etwas von der Familie Blocher lernen. Ems-Chefin Martullo-Blocher steht hin und sagt klipp und klar, dass ihr Chemiekonzern in Guernsey eine Gesellschaft unterhalte und damit drei Millionen Franken gespart habe. Das ist offensive Informationspolitik.
Schneider-Ammann ist defensiv. Nicht nur unbeholfen, sondern fast arrogant, wirkt seine Erklärung, hinter den Offoshore-Berichten stünden Kräfte und Leute, die seine liberale Wirtschaftspolitik zu torpedieren wollten.
Der NZZ sagte er am Freitag: „Ich stehe für eine liberale Wirtschaftsordnung ein. Auf der anderen Seite wird versucht, die Rahmenbedingungen mit Ideen wie 1:12 oder Mindestlohn einzuschränken. Ich wehre mich mit aller Kraft für offene und wettbewerbliche Verhältnisse. Ich vermute, dass man jetzt versucht, auf meinem Buckel diese Auseinandersetzung zu führen.“
Verschwörungstheorie?
Das klingt nach Verschwörungstheorie. Dass auch seriöse Schweizer Firmen zur „Steueroptimierung” Geld offshore anlagen, weiss ein grosser Teil des Volkes nicht. Dass dieses Volk erstaunt reagiert, wenn es solche Meldungen hört, ist nachvollziehbar.
Sein Verhalten mag gesetzeskonform gewesen sein. Dass es Leute gibt, die es moralisch höchst verwerflich finden, ist verständlich.
Selbst die NZZ, sein liberales Leibblatt, ging auf vornehme Distanz zu ihm. Da heisst es, der Umstand dürfte „schwer zu vermitteln sein, dass Offshore-Geschäfte keine Seltenheit sind“. Die Fragen, die der Inlandchef der NZZ am Freitag Schneider-Ammann dann doch stellen durfte, sprechen Bände:
„Wie viel Geld ist Bund und Kanton Bern durch die von Ihnen praktizierten Steueroptimierungen entgangen?"
"Wenn die Ammann-Gruppe Steuern spart, erhöht das ihren Gewinn. Davon profitiert die Familie Ammann."
"Sie stehen selber im Verdacht, Wasser zu predigen und Wein zu trinken."
"Sie haben sich früh in die Debatte um exzessive Managerlöhne eingeschaltet. War das unbedarft angesichts der Vorwürfe, die jetzt auf Sie niederprasseln?"
Die gegen Sie gerichteten Vorwürfe werden kaum so rasch verklingen.
"Können Sie nachvollziehen, dass kritische Stimmen Ihre Offshore-Konstrukte als moralisch verwerflich taxieren?"
"Sie haben lange geschwiegen. Weshalb?"
Gerupfte Federn?
Dass Schneider-Ammann auch am Freitag noch keine Medienkonferenz gab, zeigt, wie ängstlich er ist. Offenbar fürchtet er sich vor einem öffentlichen Auftritt und vor Fragen.
Am Mittwoch hatte der Tages-Anzeiger geschrieben: "Kommenden Sonntag wird der Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann jedenfalls abwesend sein, wenn der Bundesrat zu den Resultaten über die Abstimmung zur Personenfreizügigkeit Stellung nehmen wird, obwohl es sich um die wichtigste Ausmarchung der letzten Jahre handelt."
Kein Auftritt - dafür gab er der NZZ und Le Temps ein Interview. Das birgt weniger Gefahren. Solche Zeitungsinterviews werden vom Interviewten gegengelesen. Er kann noch Korrekturen anbringen.
„Ich habe keinen Fehler gemacht“, sagt jetzt Schneider-Ammann trutzig. Doch, Herr Bundesrat. Sie haben – was die Kommunikation betrifft – einen kapitalen Fehler gemacht. Sie wirken wenig souverän. Die Federn, die ihnen da gerupft wurden, werden nicht so schnell nachwachsen.